ich dir sagen, räche dich an ihm so viel du willst; der Mann, der das gethan hat, bist du und also schlimmer als die Leute, die nur blos die Fenster eingeschlagen haben. Freymuth verstummte, und war wie vom Donner gerührt, er schwieg eine Weile, endlich fing er an: Gott im Himmel, Du hast Recht! -- Ich bin wohl ein rechter Bösewicht gewesen, will mich an Leuten rächen, die besser sind als ich. -- Ja, Frau! ich bin der gottloseste Mensch auf Erden! Er sprang auf, lief die Treppen hinauf auf sein Schlafzimmer, lag da drei Tage und drei Nächte platt auf der Erde, aß nichts, bloß daß er sich zuweilen Etwas zu trinken geben ließ. Seine Frau leistete ihm so viel Gesellschaft als sie konnte, und half ihm beten, damit er bei Gott durch den Erlöser Gnade erlan- gen möchte.
Am vierten Tage des Morgens stand er auf, war vergnügt, lobte Gott, und sagte: nun bin ich gewiß, daß mir meine schweren Sünden vergeben sind! Von dem Augenblick an war er ganz umgekehrt; so demüthig, als er vorhin stolz, so sanft- müthig, als er vorher trotzig und zornig, und so von Herzen fromm, als er vorhin gottlos gewesen war.
Dieser Mann wäre ein Gegenstand für meinen Freund La- vater. Seine Gesichtsbildung ist die roheste und wildeste von der Welt; es dürfte nur eine Leidenschaft, zum Beispiel der Zorn, rege werden, die Lebensgeister brauchten nur jeden Muskel des Gesichts zu spannen, so würde er rasend aussehen. Jetzt aber ist er einem Löwen ähnlich, der in ein Lamm ver- wandelt worden ist. Friede und Ruhe ist jedem Gesichtsmus- kel eingedrückt, und das gibt ihm ein eben so frommes Aus- sehen, als er vorhin wild war.
Nach dem Essen schickte Glöckner seine Magd in Frey- muths Haus, und ließ da ansagen, daß Freunde bei ihm angekommen wären. Freymuth und seine Frau kamen als- bald, und bewillkommten Isaac und Stilling. Dieser Letztere hatte den ganzen Abend seine Betrachtungen über die beiden Leute; bald mußte er des Löwen Sanftmuth, bald des Lammes Heldenmuth bewundern. Alle Sechs waren sehr ver-
ich dir ſagen, raͤche dich an ihm ſo viel du willſt; der Mann, der das gethan hat, biſt du und alſo ſchlimmer als die Leute, die nur blos die Fenſter eingeſchlagen haben. Freymuth verſtummte, und war wie vom Donner geruͤhrt, er ſchwieg eine Weile, endlich fing er an: Gott im Himmel, Du haſt Recht! — Ich bin wohl ein rechter Boͤſewicht geweſen, will mich an Leuten raͤchen, die beſſer ſind als ich. — Ja, Frau! ich bin der gottloſeſte Menſch auf Erden! Er ſprang auf, lief die Treppen hinauf auf ſein Schlafzimmer, lag da drei Tage und drei Naͤchte platt auf der Erde, aß nichts, bloß daß er ſich zuweilen Etwas zu trinken geben ließ. Seine Frau leiſtete ihm ſo viel Geſellſchaft als ſie konnte, und half ihm beten, damit er bei Gott durch den Erloͤſer Gnade erlan- gen moͤchte.
Am vierten Tage des Morgens ſtand er auf, war vergnuͤgt, lobte Gott, und ſagte: nun bin ich gewiß, daß mir meine ſchweren Suͤnden vergeben ſind! Von dem Augenblick an war er ganz umgekehrt; ſo demuͤthig, als er vorhin ſtolz, ſo ſanft- muͤthig, als er vorher trotzig und zornig, und ſo von Herzen fromm, als er vorhin gottlos geweſen war.
Dieſer Mann waͤre ein Gegenſtand fuͤr meinen Freund La- vater. Seine Geſichtsbildung iſt die roheſte und wildeſte von der Welt; es duͤrfte nur eine Leidenſchaft, zum Beiſpiel der Zorn, rege werden, die Lebensgeiſter brauchten nur jeden Muskel des Geſichts zu ſpannen, ſo wuͤrde er raſend ausſehen. Jetzt aber iſt er einem Loͤwen aͤhnlich, der in ein Lamm ver- wandelt worden iſt. Friede und Ruhe iſt jedem Geſichtsmus- kel eingedruͤckt, und das gibt ihm ein eben ſo frommes Aus- ſehen, als er vorhin wild war.
Nach dem Eſſen ſchickte Gloͤckner ſeine Magd in Frey- muths Haus, und ließ da anſagen, daß Freunde bei ihm angekommen waͤren. Freymuth und ſeine Frau kamen als- bald, und bewillkommten Iſaac und Stilling. Dieſer Letztere hatte den ganzen Abend ſeine Betrachtungen uͤber die beiden Leute; bald mußte er des Loͤwen Sanftmuth, bald des Lammes Heldenmuth bewundern. Alle Sechs waren ſehr ver-
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ich dir ſagen, raͤche dich an ihm ſo viel du willſt; der Mann,
der das gethan hat, biſt du und alſo ſchlimmer als die Leute,
die nur blos die Fenſter eingeſchlagen haben. Freymuth
verſtummte, und war wie vom Donner geruͤhrt, er ſchwieg
eine Weile, endlich fing er an: Gott im Himmel, Du haſt
Recht! — Ich bin wohl ein rechter Boͤſewicht geweſen, will
mich an Leuten raͤchen, die beſſer ſind als ich. — Ja, Frau!
ich bin der gottloſeſte Menſch auf Erden! Er ſprang auf,
lief die Treppen hinauf auf ſein Schlafzimmer, lag da drei
Tage und drei Naͤchte platt auf der Erde, aß nichts, bloß
daß er ſich zuweilen Etwas zu trinken geben ließ. Seine
Frau leiſtete ihm ſo viel Geſellſchaft als ſie konnte, und half
ihm beten, damit er bei Gott durch den Erloͤſer Gnade erlan-
gen moͤchte.
Am vierten Tage des Morgens ſtand er auf, war vergnuͤgt,
lobte Gott, und ſagte: nun bin ich gewiß, daß mir meine
ſchweren Suͤnden vergeben ſind! Von dem Augenblick an war
er ganz umgekehrt; ſo demuͤthig, als er vorhin ſtolz, ſo ſanft-
muͤthig, als er vorher trotzig und zornig, und ſo von Herzen
fromm, als er vorhin gottlos geweſen war.
Dieſer Mann waͤre ein Gegenſtand fuͤr meinen Freund La-
vater. Seine Geſichtsbildung iſt die roheſte und wildeſte
von der Welt; es duͤrfte nur eine Leidenſchaft, zum Beiſpiel
der Zorn, rege werden, die Lebensgeiſter brauchten nur jeden
Muskel des Geſichts zu ſpannen, ſo wuͤrde er raſend ausſehen.
Jetzt aber iſt er einem Loͤwen aͤhnlich, der in ein Lamm ver-
wandelt worden iſt. Friede und Ruhe iſt jedem Geſichtsmus-
kel eingedruͤckt, und das gibt ihm ein eben ſo frommes Aus-
ſehen, als er vorhin wild war.
Nach dem Eſſen ſchickte Gloͤckner ſeine Magd in Frey-
muths Haus, und ließ da anſagen, daß Freunde bei ihm
angekommen waͤren. Freymuth und ſeine Frau kamen als-
bald, und bewillkommten Iſaac und Stilling. Dieſer
Letztere hatte den ganzen Abend ſeine Betrachtungen uͤber die
beiden Leute; bald mußte er des Loͤwen Sanftmuth, bald des
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/237>, abgerufen am 25.11.2024.
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