Unten am nördlichen Berge, der Geisenberg genannt, der wie ein Zuckerhut gegen die Wolken steigt, und auf dessen Spitze Ruinen eines alten Schlosses liegen, steht ein Haus, worin Stillings Eltern und Voreltern gewohnt haben.
Vor ungefähr dreißig Jahren lebte noch darin ein ehrwür- diger Greis, Eberhard Stilling, ein Bauer und Koh- lenbrenner. Er hielt sich den ganzen Sommer durch im Walde auf und brannte Kohlen; kam aber wöchentlich einmal nach Hause, um nach seinen Leuten zu sehen, und sich wieder auf eine Woche mit Speisen zu versehen. Er kam gemeiniglich Sonnabends Abends, um den Sonntag nach Florenburg in die Kirche gehen zu können, allwo er ein Mitglied des Kirchen- raths war. Hierin bestanden auch die mehresten Geschäfte seines Lebens. Sechs großgezogene Kinder hatte er, wovon die zween ältesten Söhne, die vier jüngsten aber Töchter waren.
Einsmals, als Eberhard den Berg herunter kam, und mit dem ruhigsten Gemüthe die untergehende Sonne betrach- tete, die Melodie des Liedes: Der lieben Sonnen Lauf und Pracht hat nun den Tag vollführet, auf einem Blatt pfiff, und dabei das Lied durchdachte, kam sein Nach- bar Stähler hinter ihm her, der ein wenig geschwinder gegangen war, und sich eben nicht viel um die untergehende Sonne bekümmert haben mochte. Nachdem er eine Weile schon nahe hinter ihm gewesen, auch ein paarmal fruchtlos gehustet hatte, fing er ein Gespräch an, das ich hier wörtlich beifü- gen muß.
"Guten Abend, Ebert!"
Dank hab, Stähler! (indem er fortfuhr, auf dem Blatt zu pfeifen.)
"Wenn das Wetter so bleibt, so werden wir unser Gehölze bald zugerichtet haben. Ich denke, dann sind wir in drei Wochen fertig."
Es kann seyn. (Nun pfiff er wieder fort.)
"Es will so nicht recht mehr mit mir fort, Junge! Ich
Unten am noͤrdlichen Berge, der Geiſenberg genannt, der wie ein Zuckerhut gegen die Wolken ſteigt, und auf deſſen Spitze Ruinen eines alten Schloſſes liegen, ſteht ein Haus, worin Stillings Eltern und Voreltern gewohnt haben.
Vor ungefaͤhr dreißig Jahren lebte noch darin ein ehrwuͤr- diger Greis, Eberhard Stilling, ein Bauer und Koh- lenbrenner. Er hielt ſich den ganzen Sommer durch im Walde auf und brannte Kohlen; kam aber woͤchentlich einmal nach Hauſe, um nach ſeinen Leuten zu ſehen, und ſich wieder auf eine Woche mit Speiſen zu verſehen. Er kam gemeiniglich Sonnabends Abends, um den Sonntag nach Florenburg in die Kirche gehen zu koͤnnen, allwo er ein Mitglied des Kirchen- raths war. Hierin beſtanden auch die mehreſten Geſchaͤfte ſeines Lebens. Sechs großgezogene Kinder hatte er, wovon die zween aͤlteſten Soͤhne, die vier juͤngſten aber Toͤchter waren.
Einsmals, als Eberhard den Berg herunter kam, und mit dem ruhigſten Gemuͤthe die untergehende Sonne betrach- tete, die Melodie des Liedes: Der lieben Sonnen Lauf und Pracht hat nun den Tag vollfuͤhret, auf einem Blatt pfiff, und dabei das Lied durchdachte, kam ſein Nach- bar Staͤhler hinter ihm her, der ein wenig geſchwinder gegangen war, und ſich eben nicht viel um die untergehende Sonne bekuͤmmert haben mochte. Nachdem er eine Weile ſchon nahe hinter ihm geweſen, auch ein paarmal fruchtlos gehuſtet hatte, fing er ein Geſpraͤch an, das ich hier woͤrtlich beifuͤ- gen muß.
„Guten Abend, Ebert!“
Dank hab, Staͤhler! (indem er fortfuhr, auf dem Blatt zu pfeifen.)
„Wenn das Wetter ſo bleibt, ſo werden wir unſer Gehoͤlze bald zugerichtet haben. Ich denke, dann ſind wir in drei Wochen fertig.“
Es kann ſeyn. (Nun pfiff er wieder fort.)
„Es will ſo nicht recht mehr mit mir fort, Junge! Ich
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Unten am noͤrdlichen Berge, der Geiſenberg genannt,
der wie ein Zuckerhut gegen die Wolken ſteigt, und auf deſſen
Spitze Ruinen eines alten Schloſſes liegen, ſteht ein Haus,
worin Stillings Eltern und Voreltern gewohnt haben.
Vor ungefaͤhr dreißig Jahren lebte noch darin ein ehrwuͤr-
diger Greis, Eberhard Stilling, ein Bauer und Koh-
lenbrenner. Er hielt ſich den ganzen Sommer durch im Walde
auf und brannte Kohlen; kam aber woͤchentlich einmal nach
Hauſe, um nach ſeinen Leuten zu ſehen, und ſich wieder auf
eine Woche mit Speiſen zu verſehen. Er kam gemeiniglich
Sonnabends Abends, um den Sonntag nach Florenburg in
die Kirche gehen zu koͤnnen, allwo er ein Mitglied des Kirchen-
raths war. Hierin beſtanden auch die mehreſten Geſchaͤfte
ſeines Lebens. Sechs großgezogene Kinder hatte er, wovon
die zween aͤlteſten Soͤhne, die vier juͤngſten aber Toͤchter
waren.
Einsmals, als Eberhard den Berg herunter kam, und
mit dem ruhigſten Gemuͤthe die untergehende Sonne betrach-
tete, die Melodie des Liedes: Der lieben Sonnen Lauf
und Pracht hat nun den Tag vollfuͤhret, auf einem
Blatt pfiff, und dabei das Lied durchdachte, kam ſein Nach-
bar Staͤhler hinter ihm her, der ein wenig geſchwinder
gegangen war, und ſich eben nicht viel um die untergehende
Sonne bekuͤmmert haben mochte. Nachdem er eine Weile ſchon
nahe hinter ihm geweſen, auch ein paarmal fruchtlos gehuſtet
hatte, fing er ein Geſpraͤch an, das ich hier woͤrtlich beifuͤ-
gen muß.
„Guten Abend, Ebert!“
Dank hab, Staͤhler! (indem er fortfuhr, auf dem Blatt zu
pfeifen.)
„Wenn das Wetter ſo bleibt, ſo werden wir unſer Gehoͤlze
bald zugerichtet haben. Ich denke, dann ſind wir in drei
Wochen fertig.“
Es kann ſeyn. (Nun pfiff er wieder fort.)
„Es will ſo nicht recht mehr mit mir fort, Junge! Ich
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1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/34>, abgerufen am 23.11.2024.
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