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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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bin schon acht und sechzig Jahr alt, und du wirst halt sieben-
zig haben."

Das soll wohl seyn. Da geht die Sonne hinter den Berg
unter, ich kann mich nicht genug erfreuen über die Güte und
Liebe Gottes. Ich war so eben in Gedanken darüber; es ist
auch mit uns Abend, Nachbar Stähler! der Schatten des
Todes steigt uns täglich näher, er wird uns erwischen, ehe
wir's uns versehen. Ich muß der ewigen Güte danken, die
mich nicht nur heute, sondern den ganzen Lebenstag durch mit
vielem Beistand getragen, erhalten und versorgt hat.

"Das kann wohl seyn."

Ich erwarte auch wirklich ohne Furcht den wichtigen Augen-
blick, wo ich von diesem schweren, alten und starren Leib be-
freit werden soll, um mit den Seelen meiner Voreltern, und
anderer heiligen Männer, in einer ewigen Ruhe umgehen zu
können. Da werd' ich finden: Doctor Luther, Calvi-
nus, Oecolompadius, Bucerus
, und Andere mehr,
die mir unser sel. Pastor, Herr Winterberg, so oft gerühmt,
und gesagt hatte, daß sie nächst den Aposteln, die frömmsten
Männer gewesen.

"Das kann möglich seyn! Aber sag' mir Ebert, haft du
die Leute, die du da herzählst, noch gekannt?"

Wie schwatzest du? die sind über zweihundert Jahr todt.

"So; -- das wäre!"

Dabei sind alle meine Kinder groß, sie haben schreiben und
lesen gelernt, sie können ihr Brod verdienen, und haben mich
und meine Margareth bald nicht mehr nöthig.

"Nöthig? -- hat sich wohl! -- Wie leicht kann sich ein
Mädchen oder Junge verlaufen, sich irgend mit armen Leuten
abgeben, und seiner Familie einen Klatsch anhängen, wenn
die Eltern nicht mehr Acht geben können!"

Vor dem allem ist mir nicht bange. Gott Lob! daß mein
Achtgeben nicht nöthig ist. Ich hab' meinen Kindern durch
meine Unterweisung und Leben einen so großen Abscheu gegen
das Böse eingepflanzt, daß ich mich nicht mehr zu fürchten
brauche.


bin ſchon acht und ſechzig Jahr alt, und du wirſt halt ſieben-
zig haben.“

Das ſoll wohl ſeyn. Da geht die Sonne hinter den Berg
unter, ich kann mich nicht genug erfreuen uͤber die Guͤte und
Liebe Gottes. Ich war ſo eben in Gedanken daruͤber; es iſt
auch mit uns Abend, Nachbar Staͤhler! der Schatten des
Todes ſteigt uns taͤglich naͤher, er wird uns erwiſchen, ehe
wir’s uns verſehen. Ich muß der ewigen Guͤte danken, die
mich nicht nur heute, ſondern den ganzen Lebenstag durch mit
vielem Beiſtand getragen, erhalten und verſorgt hat.

„Das kann wohl ſeyn.“

Ich erwarte auch wirklich ohne Furcht den wichtigen Augen-
blick, wo ich von dieſem ſchweren, alten und ſtarren Leib be-
freit werden ſoll, um mit den Seelen meiner Voreltern, und
anderer heiligen Maͤnner, in einer ewigen Ruhe umgehen zu
koͤnnen. Da werd’ ich finden: Doctor Luther, Calvi-
nus, Oecolompadius, Bucerus
, und Andere mehr,
die mir unſer ſel. Paſtor, Herr Winterberg, ſo oft geruͤhmt,
und geſagt hatte, daß ſie naͤchſt den Apoſteln, die froͤmmſten
Maͤnner geweſen.

„Das kann moͤglich ſeyn! Aber ſag’ mir Ebert, haft du
die Leute, die du da herzaͤhlſt, noch gekannt?“

Wie ſchwatzeſt du? die ſind uͤber zweihundert Jahr todt.

„So; — das waͤre!“

Dabei ſind alle meine Kinder groß, ſie haben ſchreiben und
leſen gelernt, ſie koͤnnen ihr Brod verdienen, und haben mich
und meine Margareth bald nicht mehr noͤthig.

„Noͤthig? — hat ſich wohl! — Wie leicht kann ſich ein
Maͤdchen oder Junge verlaufen, ſich irgend mit armen Leuten
abgeben, und ſeiner Familie einen Klatſch anhaͤngen, wenn
die Eltern nicht mehr Acht geben koͤnnen!“

Vor dem allem iſt mir nicht bange. Gott Lob! daß mein
Achtgeben nicht noͤthig iſt. Ich hab’ meinen Kindern durch
meine Unterweiſung und Leben einen ſo großen Abſcheu gegen
das Boͤſe eingepflanzt, daß ich mich nicht mehr zu fuͤrchten
brauche.


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[27/0035] bin ſchon acht und ſechzig Jahr alt, und du wirſt halt ſieben- zig haben.“ Das ſoll wohl ſeyn. Da geht die Sonne hinter den Berg unter, ich kann mich nicht genug erfreuen uͤber die Guͤte und Liebe Gottes. Ich war ſo eben in Gedanken daruͤber; es iſt auch mit uns Abend, Nachbar Staͤhler! der Schatten des Todes ſteigt uns taͤglich naͤher, er wird uns erwiſchen, ehe wir’s uns verſehen. Ich muß der ewigen Guͤte danken, die mich nicht nur heute, ſondern den ganzen Lebenstag durch mit vielem Beiſtand getragen, erhalten und verſorgt hat. „Das kann wohl ſeyn.“ Ich erwarte auch wirklich ohne Furcht den wichtigen Augen- blick, wo ich von dieſem ſchweren, alten und ſtarren Leib be- freit werden ſoll, um mit den Seelen meiner Voreltern, und anderer heiligen Maͤnner, in einer ewigen Ruhe umgehen zu koͤnnen. Da werd’ ich finden: Doctor Luther, Calvi- nus, Oecolompadius, Bucerus, und Andere mehr, die mir unſer ſel. Paſtor, Herr Winterberg, ſo oft geruͤhmt, und geſagt hatte, daß ſie naͤchſt den Apoſteln, die froͤmmſten Maͤnner geweſen. „Das kann moͤglich ſeyn! Aber ſag’ mir Ebert, haft du die Leute, die du da herzaͤhlſt, noch gekannt?“ Wie ſchwatzeſt du? die ſind uͤber zweihundert Jahr todt. „So; — das waͤre!“ Dabei ſind alle meine Kinder groß, ſie haben ſchreiben und leſen gelernt, ſie koͤnnen ihr Brod verdienen, und haben mich und meine Margareth bald nicht mehr noͤthig. „Noͤthig? — hat ſich wohl! — Wie leicht kann ſich ein Maͤdchen oder Junge verlaufen, ſich irgend mit armen Leuten abgeben, und ſeiner Familie einen Klatſch anhaͤngen, wenn die Eltern nicht mehr Acht geben koͤnnen!“ Vor dem allem iſt mir nicht bange. Gott Lob! daß mein Achtgeben nicht noͤthig iſt. Ich hab’ meinen Kindern durch meine Unterweiſung und Leben einen ſo großen Abſcheu gegen das Boͤſe eingepflanzt, daß ich mich nicht mehr zu fuͤrchten brauche.

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/35>, abgerufen am 23.11.2024.