Stähler lachte herzlich, eben wie ein Fuchs lachen würde, wenn er könnte, der dem wachsamen Hahn ein Hühnchen ent- führt hat, und fuhr fort:
"Ebert, du hast viel Vertrauen auf deine Kinder. Ich denke aber, du wirst wohl die Pfeife in den Sack stecken, wenn ich dir alles sagen werde, was ich weiß."
Stilling drehte sich um, stand und stützte sich auf seine Holzaxt, lächelte mit dem zufriedensten und zuversichtlichsten Gesichte, und sagte: Was weißest du denn, Stähler, das mir so weh in der Seele thun soll?
"Hast du gehört, Nachbar Stilling, daß dein Wilhelm, der Schulmeister, heirathet?"
Nein, davon weiß ich noch nichts.
"So will ich dir sagen, daß er des vertriebenen Predigers Moritzens Tochter zu Lichthausen haben will, und daß er sich mit ihr versprochen hat."
Daß er sich mit ihr versprochen hat, ist nicht wahr; daß er sie aber haben will, das kann seyn.
Nun gingen sie wieder.
"Kann das seyn? Ebert! -- Kannst du das leiden? Ein Bettelmensch, das nichts hat, kannst du das deinem Sohn geben?"
Gebettelt haben des ehrlichen Mannes Kinder nie; und wann sie's hätten? -- Aber welche Tochter mag es seyn? Moritz hat zwo Töchter.
"Dortchen."
Mit Dortchen will ich mein Leben beschließen. Nie will ich es vergessen! Sie kam einmal zu mir auf einen Sonntag Nachmittag, grüßte mich und Margareth von ihrem Vater, setzte sich und schwieg. Ich sah ihr an den Augen an, daß sie was wollte, auf den Backen aber las ich, daß sie's nicht sa- gen konnte. Ich fragte sie, braucht ihr was? Sie schwieg und seufzte. Ich ging und holte ihr vier Reichsthaler; da! sagte ich, die will ich euch leihen, bis ihr mir sie wieder ge- ben könnt.
Staͤhler lachte herzlich, eben wie ein Fuchs lachen wuͤrde, wenn er koͤnnte, der dem wachſamen Hahn ein Huͤhnchen ent- fuͤhrt hat, und fuhr fort:
„Ebert, du haſt viel Vertrauen auf deine Kinder. Ich denke aber, du wirſt wohl die Pfeife in den Sack ſtecken, wenn ich dir alles ſagen werde, was ich weiß.“
Stilling drehte ſich um, ſtand und ſtuͤtzte ſich auf ſeine Holzaxt, laͤchelte mit dem zufriedenſten und zuverſichtlichſten Geſichte, und ſagte: Was weißeſt du denn, Staͤhler, das mir ſo weh in der Seele thun ſoll?
„Haſt du gehoͤrt, Nachbar Stilling, daß dein Wilhelm, der Schulmeiſter, heirathet?“
Nein, davon weiß ich noch nichts.
„So will ich dir ſagen, daß er des vertriebenen Predigers Moritzens Tochter zu Lichthauſen haben will, und daß er ſich mit ihr verſprochen hat.“
Daß er ſich mit ihr verſprochen hat, iſt nicht wahr; daß er ſie aber haben will, das kann ſeyn.
Nun gingen ſie wieder.
„Kann das ſeyn? Ebert! — Kannſt du das leiden? Ein Bettelmenſch, das nichts hat, kannſt du das deinem Sohn geben?“
Gebettelt haben des ehrlichen Mannes Kinder nie; und wann ſie’s haͤtten? — Aber welche Tochter mag es ſeyn? Moritz hat zwo Toͤchter.
„Dortchen.“
Mit Dortchen will ich mein Leben beſchließen. Nie will ich es vergeſſen! Sie kam einmal zu mir auf einen Sonntag Nachmittag, gruͤßte mich und Margareth von ihrem Vater, ſetzte ſich und ſchwieg. Ich ſah ihr an den Augen an, daß ſie was wollte, auf den Backen aber las ich, daß ſie’s nicht ſa- gen konnte. Ich fragte ſie, braucht ihr was? Sie ſchwieg und ſeufzte. Ich ging und holte ihr vier Reichsthaler; da! ſagte ich, die will ich euch leihen, bis ihr mir ſie wieder ge- ben koͤnnt.
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Staͤhler lachte herzlich, eben wie ein Fuchs lachen wuͤrde,
wenn er koͤnnte, der dem wachſamen Hahn ein Huͤhnchen ent-
fuͤhrt hat, und fuhr fort:
„Ebert, du haſt viel Vertrauen auf deine Kinder. Ich denke
aber, du wirſt wohl die Pfeife in den Sack ſtecken, wenn ich
dir alles ſagen werde, was ich weiß.“
Stilling drehte ſich um, ſtand und ſtuͤtzte ſich auf ſeine
Holzaxt, laͤchelte mit dem zufriedenſten und zuverſichtlichſten
Geſichte, und ſagte: Was weißeſt du denn, Staͤhler, das
mir ſo weh in der Seele thun ſoll?
„Haſt du gehoͤrt, Nachbar Stilling, daß dein Wilhelm,
der Schulmeiſter, heirathet?“
Nein, davon weiß ich noch nichts.
„So will ich dir ſagen, daß er des vertriebenen Predigers
Moritzens Tochter zu Lichthauſen haben will, und daß er
ſich mit ihr verſprochen hat.“
Daß er ſich mit ihr verſprochen hat, iſt nicht wahr; daß er
ſie aber haben will, das kann ſeyn.
Nun gingen ſie wieder.
„Kann das ſeyn? Ebert! — Kannſt du das leiden? Ein
Bettelmenſch, das nichts hat, kannſt du das deinem Sohn
geben?“
Gebettelt haben des ehrlichen Mannes Kinder nie; und
wann ſie’s haͤtten? — Aber welche Tochter mag es ſeyn?
Moritz hat zwo Toͤchter.
„Dortchen.“
Mit Dortchen will ich mein Leben beſchließen. Nie will
ich es vergeſſen! Sie kam einmal zu mir auf einen Sonntag
Nachmittag, gruͤßte mich und Margareth von ihrem Vater,
ſetzte ſich und ſchwieg. Ich ſah ihr an den Augen an, daß ſie
was wollte, auf den Backen aber las ich, daß ſie’s nicht ſa-
gen konnte. Ich fragte ſie, braucht ihr was? Sie ſchwieg
und ſeufzte. Ich ging und holte ihr vier Reichsthaler; da!
ſagte ich, die will ich euch leihen, bis ihr mir ſie wieder ge-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/36>, abgerufen am 03.12.2024.
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