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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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"Du hättest sie ihr wohl schenken können; die bekommst
du dein Lebetag nicht wieder!"

Das war auch meine Meinung, daß ich ihr das Geld
schenken wollte. Hätt' ich es ihr aber gesagt, das Mädchen
hätte sich noch mehr geschämt. Ach, sagte sie, bester liebster
Vater Stilling! (das gute Kind weinte blutige Thränen)
wenn ich seh', wie mein alter Papa sein trocken Brod im Mund
herumschlägt, und kann es nicht kauen, so blutet mir das Herz.

Meine Margareth lief, holte einen großen Topf süße Milch,
und seitdem hat sie alle Woche ein paarmal süße Milch da-
hin geschickt.

"Und du kannst leiden, daß Wilhelm das Mädchen
nimmt?"

Wenn er's haben will, von Herzen gern. Gesunde Leute
können was verdienen, reiche Leute können das Ihrige verlieren.

"Du hast vorhin gesagt, du wüßtest noch nichts davon. Du
weißt doch, wie du sagst, daß er sich noch nicht mit ihr ver-
sprochen hat."

Das weiß ich! -- Er fragt mich gewiß vorher.

"Hör'! Er dich fragen? Ja, da kannst du lange warten!"

Stähler! ich kenne meinen Wilhelm. Ich hab' meinen
Kindern immer gesagt, sie könnten so arm und so reich hei-
rathen als sie wollten und könnten, sie sollten nur auf Fleiß
und Frömmigkeit sehen. Meine Margareth hatte nichts,
und ich ein Gut mit vielen Schulden. Gott hat mich gesegnet,
ich kann jedem hundert Gulden baar mitgeben.

"Ich bin kein Gleichviels-Mann, wie du! Ich muß wis-
sen was ich thue, und meine Kinder sollen heirathen, wie ich's
vor's beste erkenne."

Ein jeder macht die Schuh nach seinem Leisten, sagte
Stilling. Nun war er nah vor seiner Hausthür.

Margareth Stilling hatte schon ihre Töchter zu Bette ge-
hen lassen. Ein Stück Pfannenkuchen stand vor ihrem Ebert
auf einem irdenen Teller in der heißen Asche; sie hatte auch
noch ein wenig Butter dazu gethan. Ein Kümpfchen mit ge-
brockter Milch stand auf der Bank, und sie begann zu sorgen,

„Du haͤtteſt ſie ihr wohl ſchenken koͤnnen; die bekommſt
du dein Lebetag nicht wieder!“

Das war auch meine Meinung, daß ich ihr das Geld
ſchenken wollte. Haͤtt’ ich es ihr aber geſagt, das Maͤdchen
haͤtte ſich noch mehr geſchaͤmt. Ach, ſagte ſie, beſter liebſter
Vater Stilling! (das gute Kind weinte blutige Thraͤnen)
wenn ich ſeh’, wie mein alter Papa ſein trocken Brod im Mund
herumſchlaͤgt, und kann es nicht kauen, ſo blutet mir das Herz.

Meine Margareth lief, holte einen großen Topf ſuͤße Milch,
und ſeitdem hat ſie alle Woche ein paarmal ſuͤße Milch da-
hin geſchickt.

„Und du kannſt leiden, daß Wilhelm das Maͤdchen
nimmt?“

Wenn er’s haben will, von Herzen gern. Geſunde Leute
koͤnnen was verdienen, reiche Leute koͤnnen das Ihrige verlieren.

„Du haſt vorhin geſagt, du wuͤßteſt noch nichts davon. Du
weißt doch, wie du ſagſt, daß er ſich noch nicht mit ihr ver-
ſprochen hat.“

Das weiß ich! — Er fragt mich gewiß vorher.

„Hoͤr’! Er dich fragen? Ja, da kannſt du lange warten!“

Staͤhler! ich kenne meinen Wilhelm. Ich hab’ meinen
Kindern immer geſagt, ſie koͤnnten ſo arm und ſo reich hei-
rathen als ſie wollten und koͤnnten, ſie ſollten nur auf Fleiß
und Froͤmmigkeit ſehen. Meine Margareth hatte nichts,
und ich ein Gut mit vielen Schulden. Gott hat mich geſegnet,
ich kann jedem hundert Gulden baar mitgeben.

„Ich bin kein Gleichviels-Mann, wie du! Ich muß wiſ-
ſen was ich thue, und meine Kinder ſollen heirathen, wie ich’s
vor’s beſte erkenne.“

Ein jeder macht die Schuh nach ſeinem Leiſten, ſagte
Stilling. Nun war er nah vor ſeiner Hausthuͤr.

Margareth Stilling hatte ſchon ihre Toͤchter zu Bette ge-
hen laſſen. Ein Stuͤck Pfannenkuchen ſtand vor ihrem Ebert
auf einem irdenen Teller in der heißen Aſche; ſie hatte auch
noch ein wenig Butter dazu gethan. Ein Kuͤmpfchen mit ge-
brockter Milch ſtand auf der Bank, und ſie begann zu ſorgen,

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[29/0037] „Du haͤtteſt ſie ihr wohl ſchenken koͤnnen; die bekommſt du dein Lebetag nicht wieder!“ Das war auch meine Meinung, daß ich ihr das Geld ſchenken wollte. Haͤtt’ ich es ihr aber geſagt, das Maͤdchen haͤtte ſich noch mehr geſchaͤmt. Ach, ſagte ſie, beſter liebſter Vater Stilling! (das gute Kind weinte blutige Thraͤnen) wenn ich ſeh’, wie mein alter Papa ſein trocken Brod im Mund herumſchlaͤgt, und kann es nicht kauen, ſo blutet mir das Herz. Meine Margareth lief, holte einen großen Topf ſuͤße Milch, und ſeitdem hat ſie alle Woche ein paarmal ſuͤße Milch da- hin geſchickt. „Und du kannſt leiden, daß Wilhelm das Maͤdchen nimmt?“ Wenn er’s haben will, von Herzen gern. Geſunde Leute koͤnnen was verdienen, reiche Leute koͤnnen das Ihrige verlieren. „Du haſt vorhin geſagt, du wuͤßteſt noch nichts davon. Du weißt doch, wie du ſagſt, daß er ſich noch nicht mit ihr ver- ſprochen hat.“ Das weiß ich! — Er fragt mich gewiß vorher. „Hoͤr’! Er dich fragen? Ja, da kannſt du lange warten!“ Staͤhler! ich kenne meinen Wilhelm. Ich hab’ meinen Kindern immer geſagt, ſie koͤnnten ſo arm und ſo reich hei- rathen als ſie wollten und koͤnnten, ſie ſollten nur auf Fleiß und Froͤmmigkeit ſehen. Meine Margareth hatte nichts, und ich ein Gut mit vielen Schulden. Gott hat mich geſegnet, ich kann jedem hundert Gulden baar mitgeben. „Ich bin kein Gleichviels-Mann, wie du! Ich muß wiſ- ſen was ich thue, und meine Kinder ſollen heirathen, wie ich’s vor’s beſte erkenne.“ Ein jeder macht die Schuh nach ſeinem Leiſten, ſagte Stilling. Nun war er nah vor ſeiner Hausthuͤr. Margareth Stilling hatte ſchon ihre Toͤchter zu Bette ge- hen laſſen. Ein Stuͤck Pfannenkuchen ſtand vor ihrem Ebert auf einem irdenen Teller in der heißen Aſche; ſie hatte auch noch ein wenig Butter dazu gethan. Ein Kuͤmpfchen mit ge- brockter Milch ſtand auf der Bank, und ſie begann zu ſorgen,

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/37>, abgerufen am 03.12.2024.