wo ihr Mann wohl so lange bleiben möchte. Indem rasselte die Klinge an der Thüre, und er trat herein. Sie nahm ihm seinen leinenen Quersack von der Schulter, deckte den Tisch und brachte ihm sein Essen. Jemini! sagte Margareth, der Wilhelm ist noch nicht hier. Es wird ihm doch nicht etwa Unglück begegnet seyn. Sind auch wohl Wölfe hier herum? Hat sich wohl, sagte der Vater, und lachte: denn das war so seine Gewohnheit, er lachte oft stark, wenn er ganz allein war.
Der Schulmeister, Wilhelm Stilling, trat hierauf in die Stube. Nachdem er seine Eltern mit einem guten Abend gegrüßt, setzte er sich auf die Bank, legte die Hand an den Backen und war tiefsinnig. -- Er sagte lange kein Wort. Der alte Stilling stocherte seine Zähne mit einem Messer, denn das war so seine Gewohnheit nach Tische zu thun, wenn er auch schon kein Fleisch gegessen hatte. Endlich fing die Mut- ter an: Wilhelm, mir war als bang, dir sollte was wi- derfahren seyn, weil du so lange ausbleibst. Wilhelm ant- wortete: O, Mutter! das hat keine Noth. Mein Vater sagt ja oft, wer auf seinen Berufswegen geht, darf nichts fürch- ten. Hier wurd' er bald bleich, bald roth, endlich brach er stammelnd los, und sagte: Zu Lichthausen (so hieß der Ort, wo er Schule hielt, und dabei den Bauern ihre Kleider machte) wohnt ein armer vertriebener Prediger, ich wäre wohl willens, seine jüngste Tochter zu heirathen; wenn ihr beide Eltern es zufrieden seyd, so wird sich kein Hinderniß mehr finden. Wil- helm, antwortete der Vater, du bist drei und zwanzig Jahr alt; ich habe dich lehren lassen, du hast Erkenntniß genug, kannst dir aber in der Welt nicht selber helfen, denn du hast gebrechliche Füße; das Mädchen ist arm, und zur schweren Arbeit nicht angeführt; was hast du für Gedanken, dich Ins- künftige zu ernähren? Der Schulmeister antwortete: Ich will mit meiner Handthierung mich wohl durchbringen, und mich im übrigen ganz an die göttliche Vorsorge übergeben; die wird mich und meine Dorthe eben sowohl nähren, als alle Vögel des Himmels. Was sagst du, Margareth? sprach der Alte. -- Hm! was sollt ich sagen, versetzte sie: weißt
wo ihr Mann wohl ſo lange bleiben moͤchte. Indem raſſelte die Klinge an der Thuͤre, und er trat herein. Sie nahm ihm ſeinen leinenen Querſack von der Schulter, deckte den Tiſch und brachte ihm ſein Eſſen. Jemini! ſagte Margareth, der Wilhelm iſt noch nicht hier. Es wird ihm doch nicht etwa Ungluͤck begegnet ſeyn. Sind auch wohl Woͤlfe hier herum? Hat ſich wohl, ſagte der Vater, und lachte: denn das war ſo ſeine Gewohnheit, er lachte oft ſtark, wenn er ganz allein war.
Der Schulmeiſter, Wilhelm Stilling, trat hierauf in die Stube. Nachdem er ſeine Eltern mit einem guten Abend gegruͤßt, ſetzte er ſich auf die Bank, legte die Hand an den Backen und war tiefſinnig. — Er ſagte lange kein Wort. Der alte Stilling ſtocherte ſeine Zaͤhne mit einem Meſſer, denn das war ſo ſeine Gewohnheit nach Tiſche zu thun, wenn er auch ſchon kein Fleiſch gegeſſen hatte. Endlich fing die Mut- ter an: Wilhelm, mir war als bang, dir ſollte was wi- derfahren ſeyn, weil du ſo lange ausbleibſt. Wilhelm ant- wortete: O, Mutter! das hat keine Noth. Mein Vater ſagt ja oft, wer auf ſeinen Berufswegen geht, darf nichts fuͤrch- ten. Hier wurd’ er bald bleich, bald roth, endlich brach er ſtammelnd los, und ſagte: Zu Lichthauſen (ſo hieß der Ort, wo er Schule hielt, und dabei den Bauern ihre Kleider machte) wohnt ein armer vertriebener Prediger, ich waͤre wohl willens, ſeine juͤngſte Tochter zu heirathen; wenn ihr beide Eltern es zufrieden ſeyd, ſo wird ſich kein Hinderniß mehr finden. Wil- helm, antwortete der Vater, du biſt drei und zwanzig Jahr alt; ich habe dich lehren laſſen, du haſt Erkenntniß genug, kannſt dir aber in der Welt nicht ſelber helfen, denn du haſt gebrechliche Fuͤße; das Maͤdchen iſt arm, und zur ſchweren Arbeit nicht angefuͤhrt; was haſt du fuͤr Gedanken, dich Ins- kuͤnftige zu ernaͤhren? Der Schulmeiſter antwortete: Ich will mit meiner Handthierung mich wohl durchbringen, und mich im uͤbrigen ganz an die goͤttliche Vorſorge uͤbergeben; die wird mich und meine Dorthe eben ſowohl naͤhren, als alle Voͤgel des Himmels. Was ſagſt du, Margareth? ſprach der Alte. — Hm! was ſollt ich ſagen, verſetzte ſie: weißt
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wo ihr Mann wohl ſo lange bleiben moͤchte. Indem raſſelte
die Klinge an der Thuͤre, und er trat herein. Sie nahm ihm
ſeinen leinenen Querſack von der Schulter, deckte den Tiſch und
brachte ihm ſein Eſſen. Jemini! ſagte Margareth, der
Wilhelm iſt noch nicht hier. Es wird ihm doch nicht etwa
Ungluͤck begegnet ſeyn. Sind auch wohl Woͤlfe hier herum?
Hat ſich wohl, ſagte der Vater, und lachte: denn das war ſo
ſeine Gewohnheit, er lachte oft ſtark, wenn er ganz allein war.
Der Schulmeiſter, Wilhelm Stilling, trat hierauf in
die Stube. Nachdem er ſeine Eltern mit einem guten Abend
gegruͤßt, ſetzte er ſich auf die Bank, legte die Hand an den
Backen und war tiefſinnig. — Er ſagte lange kein Wort.
Der alte Stilling ſtocherte ſeine Zaͤhne mit einem Meſſer, denn
das war ſo ſeine Gewohnheit nach Tiſche zu thun, wenn er
auch ſchon kein Fleiſch gegeſſen hatte. Endlich fing die Mut-
ter an: Wilhelm, mir war als bang, dir ſollte was wi-
derfahren ſeyn, weil du ſo lange ausbleibſt. Wilhelm ant-
wortete: O, Mutter! das hat keine Noth. Mein Vater ſagt
ja oft, wer auf ſeinen Berufswegen geht, darf nichts fuͤrch-
ten. Hier wurd’ er bald bleich, bald roth, endlich brach er
ſtammelnd los, und ſagte: Zu Lichthauſen (ſo hieß der Ort,
wo er Schule hielt, und dabei den Bauern ihre Kleider machte)
wohnt ein armer vertriebener Prediger, ich waͤre wohl willens,
ſeine juͤngſte Tochter zu heirathen; wenn ihr beide Eltern es
zufrieden ſeyd, ſo wird ſich kein Hinderniß mehr finden. Wil-
helm, antwortete der Vater, du biſt drei und zwanzig Jahr
alt; ich habe dich lehren laſſen, du haſt Erkenntniß genug,
kannſt dir aber in der Welt nicht ſelber helfen, denn du haſt
gebrechliche Fuͤße; das Maͤdchen iſt arm, und zur ſchweren
Arbeit nicht angefuͤhrt; was haſt du fuͤr Gedanken, dich Ins-
kuͤnftige zu ernaͤhren? Der Schulmeiſter antwortete: Ich will
mit meiner Handthierung mich wohl durchbringen, und mich
im uͤbrigen ganz an die goͤttliche Vorſorge uͤbergeben; die
wird mich und meine Dorthe eben ſowohl naͤhren, als alle
Voͤgel des Himmels. Was ſagſt du, Margareth? ſprach
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/38>, abgerufen am 21.11.2024.
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