alt; ein merkwürdiger Mann hat mir das in Oet- tingen gesagt.
So treu und rechtschaffen auch Hannchen war, so war sie doch der Erziehung ihrer kleinen Geschwister damals noch nicht gewachsen; dafür hatte aber die Verklärte auch schon ge- sorgt, denn sie hatte verordnet, daß Lisette so lange zu ih- rer Freundin Mieg nach Heidelberg gebracht werden sollte, bis ihr Vater wieder geheirathet hätte, und eben so lang sollte auch Karoline bei einer andern guten Freundin, die einige Meilen weit von Marburg wohnte, verpflegt werden. Das Erste wurde einige Wochen hernach ausgeführt: Stilling schickte sie mit einer Magd nach Frankfurt ins Krafti- sche Haus, wo sie Freundin Mieg abholte; Karoline aber nahm Mutter Coing zu sich, denn sie sagte: es ist hart, dem tiefgebeugten Vater zwei Kinder auf Einmal zu entziehen und sie so weit von ihm zu entfernen. Stilling war da- mit zufrieden, denn er war überzeugt, daß Selma Elisen beide Kinder übertragen hätte, wenn es dem Wohlstand nicht zuwider gewesen wäre; -- dieser gebot nun dem Coing'schen Hause, sich etwas zurückzuziehen; statt dessen drängte sich ein anderes zur Hülfe hervor.
Der jetzige geheime Rath und Regierungs-Direktor Rieß in Marburg war damals noch Regierungsrath und fürstli- cher Commissarius bei der Universitäts-Güterverwaltung, bei welcher auch Stilling als Kameralist gleich von Anfang an war angestellt worden: beide Männer kannten und liebten sich. Kaum war also Selma verschieden, so kam Rieß und übernahm die ganze Besorgung, die die Umstände erforderten; Stilling mußte alsofort mit ihm in sein Haus gehen und da bleiben, bis alles vorbei war. Seine gute Gattin nahm zu- gleich auch den kleinen Säugling weg und verschaffte ihm al- sofort eine Amme, und dann sorgte auch Rieß für die Be- erdigung der Leiche, so daß sich Stilling schlechterdings um nichts zu bekümmern brauchte. Das Kind wurde auch im Rieß'schen Hause getauft und Rieß und Coing nebst Rasch- mann und den Grafen, die sich dazu erboten, waren die Ge- vattern. Dergleichen Handlungen werden dereinst hoch ange-
alt; ein merkwuͤrdiger Mann hat mir das in Oet- tingen geſagt.
So treu und rechtſchaffen auch Hannchen war, ſo war ſie doch der Erziehung ihrer kleinen Geſchwiſter damals noch nicht gewachſen; dafuͤr hatte aber die Verklaͤrte auch ſchon ge- ſorgt, denn ſie hatte verordnet, daß Liſette ſo lange zu ih- rer Freundin Mieg nach Heidelberg gebracht werden ſollte, bis ihr Vater wieder geheirathet haͤtte, und eben ſo lang ſollte auch Karoline bei einer andern guten Freundin, die einige Meilen weit von Marburg wohnte, verpflegt werden. Das Erſte wurde einige Wochen hernach ausgefuͤhrt: Stilling ſchickte ſie mit einer Magd nach Frankfurt ins Krafti- ſche Haus, wo ſie Freundin Mieg abholte; Karoline aber nahm Mutter Coing zu ſich, denn ſie ſagte: es iſt hart, dem tiefgebeugten Vater zwei Kinder auf Einmal zu entziehen und ſie ſo weit von ihm zu entfernen. Stilling war da- mit zufrieden, denn er war uͤberzeugt, daß Selma Eliſen beide Kinder uͤbertragen haͤtte, wenn es dem Wohlſtand nicht zuwider geweſen waͤre; — dieſer gebot nun dem Coing’ſchen Hauſe, ſich etwas zuruͤckzuziehen; ſtatt deſſen draͤngte ſich ein anderes zur Huͤlfe hervor.
Der jetzige geheime Rath und Regierungs-Direktor Rieß in Marburg war damals noch Regierungsrath und fuͤrſtli- cher Commiſſarius bei der Univerſitaͤts-Guͤterverwaltung, bei welcher auch Stilling als Kameraliſt gleich von Anfang an war angeſtellt worden: beide Maͤnner kannten und liebten ſich. Kaum war alſo Selma verſchieden, ſo kam Rieß und uͤbernahm die ganze Beſorgung, die die Umſtaͤnde erforderten; Stilling mußte alſofort mit ihm in ſein Haus gehen und da bleiben, bis alles vorbei war. Seine gute Gattin nahm zu- gleich auch den kleinen Saͤugling weg und verſchaffte ihm al- ſofort eine Amme, und dann ſorgte auch Rieß fuͤr die Be- erdigung der Leiche, ſo daß ſich Stilling ſchlechterdings um nichts zu bekuͤmmern brauchte. Das Kind wurde auch im Rieß’ſchen Hauſe getauft und Rieß und Coing nebſt Raſch- mann und den Grafen, die ſich dazu erboten, waren die Ge- vattern. Dergleichen Handlungen werden dereinſt hoch ange-
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alt; ein merkwuͤrdiger Mann hat mir das in Oet-
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So treu und rechtſchaffen auch Hannchen war, ſo war
ſie doch der Erziehung ihrer kleinen Geſchwiſter damals noch
nicht gewachſen; dafuͤr hatte aber die Verklaͤrte auch ſchon ge-
ſorgt, denn ſie hatte verordnet, daß Liſette ſo lange zu ih-
rer Freundin Mieg nach Heidelberg gebracht werden ſollte,
bis ihr Vater wieder geheirathet haͤtte, und eben ſo lang ſollte
auch Karoline bei einer andern guten Freundin, die einige
Meilen weit von Marburg wohnte, verpflegt werden. Das
Erſte wurde einige Wochen hernach ausgefuͤhrt: Stilling
ſchickte ſie mit einer Magd nach Frankfurt ins Krafti-
ſche Haus, wo ſie Freundin Mieg abholte; Karoline
aber nahm Mutter Coing zu ſich, denn ſie ſagte: es iſt hart,
dem tiefgebeugten Vater zwei Kinder auf Einmal zu entziehen
und ſie ſo weit von ihm zu entfernen. Stilling war da-
mit zufrieden, denn er war uͤberzeugt, daß Selma Eliſen
beide Kinder uͤbertragen haͤtte, wenn es dem Wohlſtand nicht
zuwider geweſen waͤre; — dieſer gebot nun dem Coing’ſchen
Hauſe, ſich etwas zuruͤckzuziehen; ſtatt deſſen draͤngte ſich ein
anderes zur Huͤlfe hervor.
Der jetzige geheime Rath und Regierungs-Direktor Rieß
in Marburg war damals noch Regierungsrath und fuͤrſtli-
cher Commiſſarius bei der Univerſitaͤts-Guͤterverwaltung, bei
welcher auch Stilling als Kameraliſt gleich von Anfang an
war angeſtellt worden: beide Maͤnner kannten und liebten ſich.
Kaum war alſo Selma verſchieden, ſo kam Rieß und
uͤbernahm die ganze Beſorgung, die die Umſtaͤnde erforderten;
Stilling mußte alſofort mit ihm in ſein Haus gehen und da
bleiben, bis alles vorbei war. Seine gute Gattin nahm zu-
gleich auch den kleinen Saͤugling weg und verſchaffte ihm al-
ſofort eine Amme, und dann ſorgte auch Rieß fuͤr die Be-
erdigung der Leiche, ſo daß ſich Stilling ſchlechterdings um
nichts zu bekuͤmmern brauchte. Das Kind wurde auch im
Rieß’ſchen Hauſe getauft und Rieß und Coing nebſt Raſch-
mann und den Grafen, die ſich dazu erboten, waren die Ge-
vattern. Dergleichen Handlungen werden dereinſt hoch ange-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/467>, abgerufen am 22.11.2024.
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