Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

lang auf seiner Laufbahn begleitete, und mit seinem Dunstkreis
anwehte.

Freilich hatte er, wie oben gemeldet, auf einer Seite nach-
theilig auf Stilling gewirkt; allein das verschwand nun in
dem neuen Familienkreise gar bald, und er wurde nachher,
durch noch andere mitwirkende Ursachen, noch weit gegründe-
ter in der Versöhungslehre als vorher; auf der andern Seite
aber gehörte Raschmann auf eine merkwürdige Weise unter
die Werkzeuge zu Stillings Ausbildung: durch ihn erfuhr
er große, geheime und wichtige Dinge -- Dinge,
die ins Große und Ganze gehen -- Was Barruel
und der Triumph der Philosophie erzählen wol-
len, in der Hauptsache auch richtig erzählen; in
Nebensachen aber auch irren
, das wurde ihm jetzt
bekannt.

Man muß aber ja nicht denken, daß Raschmann Stil-
ling vorsätzlich
in dem Allem unterrichtet habe, sondern
er war sehr redselig; wenn er nun seine Freunde zu Gast hatte,
so kam immer, bald hier, bald da, ein Bruchstück zum Vor-
schein, und da Stilling ein gutes Gedächtniß hat, so
behielt er Alles genau, und so erfuhr er in drei Jahren, welche
Raschmann in Marburg verlebte, den ganzen Zusam-
menhang dessen, was seitdem so große und furchtbare Erschei-
nungen am Kirchen- und politischen Himmel hervorgebracht
hat; wenn er nun das, was er selbst erfahren und gelesen
hatte, mit jenen Bruchstücken verband, und eines durchs an-
dere berichtigte, so kam ein richtiges und wahres Ganzes
heraus. Wie nöthig und nützlich diese Kenntniß Stilling
war, ist und noch seyn wird, das kann der beurtheilen, der
einen hellen Blick in den Zweck seines Daseyns hat.



Die ersten Wochen in Elisens Ehestand waren angenehm,
ihr Weg war mit Blumen bestreut. Auch Stilling hatte
außer seinem quälenden Magenweh keine Leiden, aber vierzehn
Tage vor Weihnachten fand sich sein beständiger Hausfreund
wieder recht ernstlich ein.


lang auf ſeiner Laufbahn begleitete, und mit ſeinem Dunſtkreis
anwehte.

Freilich hatte er, wie oben gemeldet, auf einer Seite nach-
theilig auf Stilling gewirkt; allein das verſchwand nun in
dem neuen Familienkreiſe gar bald, und er wurde nachher,
durch noch andere mitwirkende Urſachen, noch weit gegruͤnde-
ter in der Verſoͤhungslehre als vorher; auf der andern Seite
aber gehoͤrte Raſchmann auf eine merkwuͤrdige Weiſe unter
die Werkzeuge zu Stillings Ausbildung: durch ihn erfuhr
er große, geheime und wichtige Dinge — Dinge,
die ins Große und Ganze gehen — Was Barruel
und der Triumph der Philoſophie erzaͤhlen wol-
len, in der Hauptſache auch richtig erzaͤhlen; in
Nebenſachen aber auch irren
, das wurde ihm jetzt
bekannt.

Man muß aber ja nicht denken, daß Raſchmann Stil-
ling vorſaͤtzlich
in dem Allem unterrichtet habe, ſondern
er war ſehr redſelig; wenn er nun ſeine Freunde zu Gaſt hatte,
ſo kam immer, bald hier, bald da, ein Bruchſtuͤck zum Vor-
ſchein, und da Stilling ein gutes Gedaͤchtniß hat, ſo
behielt er Alles genau, und ſo erfuhr er in drei Jahren, welche
Raſchmann in Marburg verlebte, den ganzen Zuſam-
menhang deſſen, was ſeitdem ſo große und furchtbare Erſchei-
nungen am Kirchen- und politiſchen Himmel hervorgebracht
hat; wenn er nun das, was er ſelbſt erfahren und geleſen
hatte, mit jenen Bruchſtuͤcken verband, und eines durchs an-
dere berichtigte, ſo kam ein richtiges und wahres Ganzes
heraus. Wie noͤthig und nuͤtzlich dieſe Kenntniß Stilling
war, iſt und noch ſeyn wird, das kann der beurtheilen, der
einen hellen Blick in den Zweck ſeines Daſeyns hat.



Die erſten Wochen in Eliſens Eheſtand waren angenehm,
ihr Weg war mit Blumen beſtreut. Auch Stilling hatte
außer ſeinem quaͤlenden Magenweh keine Leiden, aber vierzehn
Tage vor Weihnachten fand ſich ſein beſtaͤndiger Hausfreund
wieder recht ernſtlich ein.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0472" n="464"/>
lang auf &#x017F;einer Laufbahn begleitete, und mit &#x017F;einem Dun&#x017F;tkreis<lb/>
anwehte.</p><lb/>
            <p>Freilich hatte er, wie oben gemeldet, auf einer Seite nach-<lb/>
theilig auf <hi rendition="#g">Stilling</hi> gewirkt; allein das ver&#x017F;chwand nun in<lb/>
dem neuen Familienkrei&#x017F;e gar bald, und er wurde nachher,<lb/>
durch noch andere mitwirkende Ur&#x017F;achen, noch weit gegru&#x0364;nde-<lb/>
ter in der Ver&#x017F;o&#x0364;hungslehre als vorher; auf der andern Seite<lb/>
aber geho&#x0364;rte <hi rendition="#g">Ra&#x017F;chmann</hi> auf eine merkwu&#x0364;rdige Wei&#x017F;e unter<lb/>
die Werkzeuge zu <hi rendition="#g">Stillings</hi> Ausbildung: durch ihn erfuhr<lb/>
er <hi rendition="#g">große, geheime</hi> und <hi rendition="#g">wichtige Dinge &#x2014; Dinge,<lb/>
die ins Große und Ganze gehen &#x2014; Was Barruel<lb/>
und der Triumph der Philo&#x017F;ophie erza&#x0364;hlen wol-<lb/>
len, in der Haupt&#x017F;ache auch richtig erza&#x0364;hlen; in<lb/>
Neben&#x017F;achen aber auch irren</hi>, das wurde ihm jetzt<lb/>
bekannt.</p><lb/>
            <p>Man muß aber ja nicht denken, daß <hi rendition="#g">Ra&#x017F;chmann Stil-<lb/>
ling vor&#x017F;a&#x0364;tzlich</hi> in dem Allem unterrichtet habe, &#x017F;ondern<lb/>
er war &#x017F;ehr red&#x017F;elig; wenn er nun &#x017F;eine Freunde zu Ga&#x017F;t hatte,<lb/>
&#x017F;o kam immer, bald hier, bald da, ein Bruch&#x017F;tu&#x0364;ck zum Vor-<lb/>
&#x017F;chein, und da <hi rendition="#g">Stilling</hi> ein gutes <hi rendition="#g">Geda&#x0364;chtniß</hi> hat, &#x017F;o<lb/>
behielt er Alles genau, und &#x017F;o erfuhr er in drei Jahren, welche<lb/><hi rendition="#g">Ra&#x017F;chmann</hi> in <hi rendition="#g">Marburg</hi> verlebte, den ganzen Zu&#x017F;am-<lb/>
menhang de&#x017F;&#x017F;en, was &#x017F;eitdem &#x017F;o große und furchtbare Er&#x017F;chei-<lb/>
nungen am Kirchen- und politi&#x017F;chen Himmel hervorgebracht<lb/>
hat; wenn er nun das, was er &#x017F;elb&#x017F;t erfahren und gele&#x017F;en<lb/>
hatte, mit jenen Bruch&#x017F;tu&#x0364;cken verband, und eines durchs an-<lb/>
dere berichtigte, &#x017F;o kam ein richtiges und wahres <hi rendition="#g">Ganzes</hi><lb/>
heraus. Wie no&#x0364;thig und nu&#x0364;tzlich die&#x017F;e Kenntniß <hi rendition="#g">Stilling</hi><lb/>
war, i&#x017F;t und noch &#x017F;eyn wird, das kann der beurtheilen, der<lb/>
einen hellen Blick in den Zweck &#x017F;eines Da&#x017F;eyns hat.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Die er&#x017F;ten Wochen in <hi rendition="#g">Eli&#x017F;ens</hi> Ehe&#x017F;tand waren angenehm,<lb/>
ihr Weg war mit Blumen be&#x017F;treut. Auch <hi rendition="#g">Stilling</hi> hatte<lb/>
außer &#x017F;einem qua&#x0364;lenden Magenweh keine Leiden, aber vierzehn<lb/>
Tage vor Weihnachten fand &#x017F;ich &#x017F;ein be&#x017F;ta&#x0364;ndiger Hausfreund<lb/>
wieder recht ern&#x017F;tlich ein.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[464/0472] lang auf ſeiner Laufbahn begleitete, und mit ſeinem Dunſtkreis anwehte. Freilich hatte er, wie oben gemeldet, auf einer Seite nach- theilig auf Stilling gewirkt; allein das verſchwand nun in dem neuen Familienkreiſe gar bald, und er wurde nachher, durch noch andere mitwirkende Urſachen, noch weit gegruͤnde- ter in der Verſoͤhungslehre als vorher; auf der andern Seite aber gehoͤrte Raſchmann auf eine merkwuͤrdige Weiſe unter die Werkzeuge zu Stillings Ausbildung: durch ihn erfuhr er große, geheime und wichtige Dinge — Dinge, die ins Große und Ganze gehen — Was Barruel und der Triumph der Philoſophie erzaͤhlen wol- len, in der Hauptſache auch richtig erzaͤhlen; in Nebenſachen aber auch irren, das wurde ihm jetzt bekannt. Man muß aber ja nicht denken, daß Raſchmann Stil- ling vorſaͤtzlich in dem Allem unterrichtet habe, ſondern er war ſehr redſelig; wenn er nun ſeine Freunde zu Gaſt hatte, ſo kam immer, bald hier, bald da, ein Bruchſtuͤck zum Vor- ſchein, und da Stilling ein gutes Gedaͤchtniß hat, ſo behielt er Alles genau, und ſo erfuhr er in drei Jahren, welche Raſchmann in Marburg verlebte, den ganzen Zuſam- menhang deſſen, was ſeitdem ſo große und furchtbare Erſchei- nungen am Kirchen- und politiſchen Himmel hervorgebracht hat; wenn er nun das, was er ſelbſt erfahren und geleſen hatte, mit jenen Bruchſtuͤcken verband, und eines durchs an- dere berichtigte, ſo kam ein richtiges und wahres Ganzes heraus. Wie noͤthig und nuͤtzlich dieſe Kenntniß Stilling war, iſt und noch ſeyn wird, das kann der beurtheilen, der einen hellen Blick in den Zweck ſeines Daſeyns hat. Die erſten Wochen in Eliſens Eheſtand waren angenehm, ihr Weg war mit Blumen beſtreut. Auch Stilling hatte außer ſeinem quaͤlenden Magenweh keine Leiden, aber vierzehn Tage vor Weihnachten fand ſich ſein beſtaͤndiger Hausfreund wieder recht ernſtlich ein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/472
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/472>, abgerufen am 03.09.2024.