nie heirathen könnte, und daß sie nie die geringste Veranlas- sung zu dieser Aufforderung gegeben habe. Allein das half alles nichts; nun wendete er sich an die Eltern und suchte ihnen zu beweisen, daß es ihre Pflicht sey, ihre Tochter zur Heirath mit ihm zu zwingen -- und als man diesen Be- weis nicht gültig fand, so suchte er Gewalt zu brauchen; ein- mal kam er unvermuthet in Stillings Haus, als Stil- ling eben auf dem Katheder war, er stürmte ins Zimmer, wo Hannchen war; zum Glück hatte sie eine gute Freundin bei sich, ihr Angstgeschrei hörte der Vater, er und Bruder Coing liefen herzu, und beide machten dem unsinnigen Men- schen die bittersten Vorwürfe.
Dann logirte er sich gegenüber in einen Gasthof ein, damit er jeden Augenblick das Trauerspiel wiederholen könnte; allein man brachte Hannchen an einen entlegenen Ort in Sicher- heit, so daß er wieder abzog. Ein Andermal kam er unver- sehens; Hannchen war abwesend, und betrug sich so wild und unbändig, daß ihn Stilling vor die Hausthüre promoviren mußte; nun lief er in Coings Haus, wo Mutter Coing todtkrank lag, dort warf ihn Elise, die eben da war, eben- falls mit starkem Arm vor die Hausthür; nun gerieth er in Verzweiflung, man holte ihn von der Lahn zurück, er warf sich vor Stilling Haus auf den Boden, und endlich wurde er mit Mühe wieder an seinen, einige Stunden weit entlege- nen Wohnort gebracht; hernach schwärmte er auf dem Lande umher, und bestürmte Stilling mit drohenden Briefen, so daß er endlich die Obrigkeit um Hülfe ansprechen, und sich auf diese Weise Sicherheit verschaffen mußte.
Der arme bedauernswürdige Mensch ging in die Fremde, wo er in der Blüthe seiner Jahre gestorben ist. Es wird El- tern, Jünglingen und Jungfrauen nicht schwer fallen, aus die- ser traurigen, und für Stilling und die Seinigen so schreck- lichen Geschichte, den gehörigen Nutzen und zweckmäßige Be- lehrung zu ziehen.
Dem guten Hannchen wurde indessen die feurige Prü- fung mit Segen vergolten; fünf Stunden von Marburg in dem Darmstädtischen Dorf Dexbach stand ein jun-
nie heirathen koͤnnte, und daß ſie nie die geringſte Veranlaſ- ſung zu dieſer Aufforderung gegeben habe. Allein das half alles nichts; nun wendete er ſich an die Eltern und ſuchte ihnen zu beweiſen, daß es ihre Pflicht ſey, ihre Tochter zur Heirath mit ihm zu zwingen — und als man dieſen Be- weis nicht guͤltig fand, ſo ſuchte er Gewalt zu brauchen; ein- mal kam er unvermuthet in Stillings Haus, als Stil- ling eben auf dem Katheder war, er ſtuͤrmte ins Zimmer, wo Hannchen war; zum Gluͤck hatte ſie eine gute Freundin bei ſich, ihr Angſtgeſchrei hoͤrte der Vater, er und Bruder Coing liefen herzu, und beide machten dem unſinnigen Men- ſchen die bitterſten Vorwuͤrfe.
Dann logirte er ſich gegenuͤber in einen Gaſthof ein, damit er jeden Augenblick das Trauerſpiel wiederholen koͤnnte; allein man brachte Hannchen an einen entlegenen Ort in Sicher- heit, ſo daß er wieder abzog. Ein Andermal kam er unver- ſehens; Hannchen war abweſend, und betrug ſich ſo wild und unbaͤndig, daß ihn Stilling vor die Hausthuͤre promoviren mußte; nun lief er in Coings Haus, wo Mutter Coing todtkrank lag, dort warf ihn Eliſe, die eben da war, eben- falls mit ſtarkem Arm vor die Hausthuͤr; nun gerieth er in Verzweiflung, man holte ihn von der Lahn zuruͤck, er warf ſich vor Stilling Haus auf den Boden, und endlich wurde er mit Muͤhe wieder an ſeinen, einige Stunden weit entlege- nen Wohnort gebracht; hernach ſchwaͤrmte er auf dem Lande umher, und beſtuͤrmte Stilling mit drohenden Briefen, ſo daß er endlich die Obrigkeit um Huͤlfe anſprechen, und ſich auf dieſe Weiſe Sicherheit verſchaffen mußte.
Der arme bedauernswuͤrdige Menſch ging in die Fremde, wo er in der Bluͤthe ſeiner Jahre geſtorben iſt. Es wird El- tern, Juͤnglingen und Jungfrauen nicht ſchwer fallen, aus die- ſer traurigen, und fuͤr Stilling und die Seinigen ſo ſchreck- lichen Geſchichte, den gehoͤrigen Nutzen und zweckmaͤßige Be- lehrung zu ziehen.
Dem guten Hannchen wurde indeſſen die feurige Pruͤ- fung mit Segen vergolten; fuͤnf Stunden von Marburg in dem Darmſtaͤdtiſchen Dorf Dexbach ſtand ein jun-
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ihnen zu beweiſen, daß es ihre Pflicht ſey, ihre Tochter zur
Heirath mit ihm zu zwingen — und als man dieſen Be-
weis nicht guͤltig fand, ſo ſuchte er Gewalt zu brauchen; ein-
mal kam er unvermuthet in Stillings Haus, als Stil-
ling eben auf dem Katheder war, er ſtuͤrmte ins Zimmer,
wo Hannchen war; zum Gluͤck hatte ſie eine gute Freundin
bei ſich, ihr Angſtgeſchrei hoͤrte der Vater, er und Bruder
Coing liefen herzu, und beide machten dem unſinnigen Men-
ſchen die bitterſten Vorwuͤrfe.
Dann logirte er ſich gegenuͤber in einen Gaſthof ein, damit
er jeden Augenblick das Trauerſpiel wiederholen koͤnnte; allein
man brachte Hannchen an einen entlegenen Ort in Sicher-
heit, ſo daß er wieder abzog. Ein Andermal kam er unver-
ſehens; Hannchen war abweſend, und betrug ſich ſo wild und
unbaͤndig, daß ihn Stilling vor die Hausthuͤre promoviren
mußte; nun lief er in Coings Haus, wo Mutter Coing
todtkrank lag, dort warf ihn Eliſe, die eben da war, eben-
falls mit ſtarkem Arm vor die Hausthuͤr; nun gerieth er in
Verzweiflung, man holte ihn von der Lahn zuruͤck, er warf
ſich vor Stilling Haus auf den Boden, und endlich wurde
er mit Muͤhe wieder an ſeinen, einige Stunden weit entlege-
nen Wohnort gebracht; hernach ſchwaͤrmte er auf dem Lande
umher, und beſtuͤrmte Stilling mit drohenden Briefen, ſo
daß er endlich die Obrigkeit um Huͤlfe anſprechen, und ſich
auf dieſe Weiſe Sicherheit verſchaffen mußte.
Der arme bedauernswuͤrdige Menſch ging in die Fremde,
wo er in der Bluͤthe ſeiner Jahre geſtorben iſt. Es wird El-
tern, Juͤnglingen und Jungfrauen nicht ſchwer fallen, aus die-
ſer traurigen, und fuͤr Stilling und die Seinigen ſo ſchreck-
lichen Geſchichte, den gehoͤrigen Nutzen und zweckmaͤßige Be-
lehrung zu ziehen.
Dem guten Hannchen wurde indeſſen die feurige Pruͤ-
fung mit Segen vergolten; fuͤnf Stunden von Marburg
in dem Darmſtaͤdtiſchen Dorf Dexbach ſtand ein jun-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/474>, abgerufen am 22.11.2024.
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