Eberhard Stilling und Margareth seine eheliche Hausfrau, erlebten nun eine neue Periode in ihrer Haushal- tung. Da war nun ein neuer Hausvater und eine neue Haus- mutter in ihrer Familie entstanden. Die Frage war also: Wo sollen diese Beide sitzen, wenn wir speisen? -- Um die Dun- kelheit im Vortrag zu vermeiden, muß ich erzählen, wie eigent- lich Vater Stilling seine Ordnung und Rang am Tische be- obachtete. Oben in der Stube war eine Bank von einem ei- chenen Brett längs der Wand genagelt, die bis hinter den Ofen reichte. Vor dieser Bank, dem Ofen gegenüber, stand der Tisch, als Klappe an die Wand befestigt, damit man ihn an dieselbe aufschlagen konnte. Er war aus einer eichenen Diele von Vater Stilling selbsten ganz fest und treuherzig ausgearbeitet. An diesem Tisch saß Eberhard Stilling oben an der Wand, wo er durch das Brett befestigt war, und zwar vor demselben. Vielleicht hatte er sich diesen vortheil- haften Platz darum gewählt, damit er seinen linken Ellenbo- gen auf das Brett stützen, und zugleich ungehindert mit der rechten Hand essen könnte. Doch davon ist keine Gewißheit, denn er hat sich nie in seinem Leben deutlich darüber erkläret. An seiner rechten Seite vor dem Tisch saßen seine vier Töch- ter, damit sie ungehindert ab- und zugehen könnten. Zwi- schen dem Tisch und dem Ofen hatte Margareth ihren Platz; eines Theils, weil sie leicht fror, und andern Theils, damit sie füglich über den Tisch sehen konnte, ob etwa hier oder dort Etwas fehlte. Hinter dem Tisch hatten Johann und Wilhelm gesessen, weil aber der eine verheirathet war, und der andere Schule hielt, so waren diese Plätze leer, bis jetzt, da sie dem jungen Ehepaar, nach reiflicher Ueberlegung, an- gewiesen wurden.
Zuweilen kam Johann Stilling seine Eltern zu besuchen. Das ganze Haus freute sich, wenn er kam; denn er war ein besonderer Mann. Ein jeder Bauer im Dorfe hatte auch Ehrfurcht vor ihm. Schon in seiner frühen Jugend hatte er einen hölzernen Teller zum Astrolabium, und eine feine, schöne Butterdose von schönem Buchenholz zum Compas umgeschaf-
Eberhard Stilling und Margareth ſeine eheliche Hausfrau, erlebten nun eine neue Periode in ihrer Haushal- tung. Da war nun ein neuer Hausvater und eine neue Haus- mutter in ihrer Familie entſtanden. Die Frage war alſo: Wo ſollen dieſe Beide ſitzen, wenn wir ſpeiſen? — Um die Dun- kelheit im Vortrag zu vermeiden, muß ich erzaͤhlen, wie eigent- lich Vater Stilling ſeine Ordnung und Rang am Tiſche be- obachtete. Oben in der Stube war eine Bank von einem ei- chenen Brett laͤngs der Wand genagelt, die bis hinter den Ofen reichte. Vor dieſer Bank, dem Ofen gegenuͤber, ſtand der Tiſch, als Klappe an die Wand befeſtigt, damit man ihn an dieſelbe aufſchlagen konnte. Er war aus einer eichenen Diele von Vater Stilling ſelbſten ganz feſt und treuherzig ausgearbeitet. An dieſem Tiſch ſaß Eberhard Stilling oben an der Wand, wo er durch das Brett befeſtigt war, und zwar vor demſelben. Vielleicht hatte er ſich dieſen vortheil- haften Platz darum gewaͤhlt, damit er ſeinen linken Ellenbo- gen auf das Brett ſtuͤtzen, und zugleich ungehindert mit der rechten Hand eſſen koͤnnte. Doch davon iſt keine Gewißheit, denn er hat ſich nie in ſeinem Leben deutlich daruͤber erklaͤret. An ſeiner rechten Seite vor dem Tiſch ſaßen ſeine vier Toͤch- ter, damit ſie ungehindert ab- und zugehen koͤnnten. Zwi- ſchen dem Tiſch und dem Ofen hatte Margareth ihren Platz; eines Theils, weil ſie leicht fror, und andern Theils, damit ſie fuͤglich uͤber den Tiſch ſehen konnte, ob etwa hier oder dort Etwas fehlte. Hinter dem Tiſch hatten Johann und Wilhelm geſeſſen, weil aber der eine verheirathet war, und der andere Schule hielt, ſo waren dieſe Plaͤtze leer, bis jetzt, da ſie dem jungen Ehepaar, nach reiflicher Ueberlegung, an- gewieſen wurden.
Zuweilen kam Johann Stilling ſeine Eltern zu beſuchen. Das ganze Haus freute ſich, wenn er kam; denn er war ein beſonderer Mann. Ein jeder Bauer im Dorfe hatte auch Ehrfurcht vor ihm. Schon in ſeiner fruͤhen Jugend hatte er einen hoͤlzernen Teller zum Aſtrolabium, und eine feine, ſchoͤne Butterdoſe von ſchoͤnem Buchenholz zum Compas umgeſchaf-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0050"n="42"/><p><hirendition="#g">Eberhard Stilling</hi> und <hirendition="#g">Margareth</hi>ſeine eheliche<lb/>
Hausfrau, erlebten nun eine neue Periode in ihrer Haushal-<lb/>
tung. Da war nun ein neuer Hausvater und eine neue Haus-<lb/>
mutter in ihrer Familie entſtanden. Die Frage war alſo: Wo<lb/>ſollen dieſe Beide ſitzen, wenn wir ſpeiſen? — Um die Dun-<lb/>
kelheit im Vortrag zu vermeiden, muß ich erzaͤhlen, wie eigent-<lb/>
lich Vater <hirendition="#g">Stilling</hi>ſeine Ordnung und Rang am Tiſche be-<lb/>
obachtete. Oben in der Stube war eine Bank von einem ei-<lb/>
chenen Brett laͤngs der Wand genagelt, die bis hinter den<lb/>
Ofen reichte. Vor dieſer Bank, dem Ofen gegenuͤber, ſtand<lb/>
der Tiſch, als Klappe an die Wand befeſtigt, damit man ihn<lb/>
an dieſelbe aufſchlagen konnte. Er war aus einer eichenen<lb/>
Diele von Vater <hirendition="#g">Stilling</hi>ſelbſten ganz feſt und treuherzig<lb/>
ausgearbeitet. An dieſem Tiſch ſaß <hirendition="#g">Eberhard Stilling</hi><lb/>
oben an der Wand, wo er durch das Brett befeſtigt war, und<lb/>
zwar vor demſelben. Vielleicht hatte er ſich dieſen vortheil-<lb/>
haften Platz darum gewaͤhlt, damit er ſeinen linken Ellenbo-<lb/>
gen auf das Brett ſtuͤtzen, und zugleich ungehindert mit der<lb/>
rechten Hand eſſen koͤnnte. Doch davon iſt keine Gewißheit,<lb/>
denn er hat ſich nie in ſeinem Leben deutlich daruͤber erklaͤret.<lb/>
An ſeiner rechten Seite vor dem Tiſch ſaßen ſeine vier Toͤch-<lb/>
ter, damit ſie ungehindert ab- und zugehen koͤnnten. Zwi-<lb/>ſchen dem Tiſch und dem Ofen hatte Margareth ihren Platz;<lb/>
eines Theils, weil ſie leicht fror, und andern Theils, damit<lb/>ſie fuͤglich uͤber den Tiſch ſehen konnte, ob etwa hier oder<lb/>
dort Etwas fehlte. Hinter dem Tiſch hatten Johann und<lb/>
Wilhelm geſeſſen, weil aber der eine verheirathet war, und<lb/>
der andere Schule hielt, ſo waren dieſe Plaͤtze leer, bis jetzt,<lb/>
da ſie dem jungen Ehepaar, nach reiflicher Ueberlegung, an-<lb/>
gewieſen wurden.</p><lb/><p>Zuweilen kam <hirendition="#g">Johann Stilling</hi>ſeine Eltern zu beſuchen.<lb/>
Das ganze Haus freute ſich, wenn er kam; denn er war ein<lb/>
beſonderer Mann. Ein jeder Bauer im Dorfe hatte auch<lb/>
Ehrfurcht vor ihm. Schon in ſeiner fruͤhen Jugend hatte er<lb/>
einen hoͤlzernen Teller zum Aſtrolabium, und eine feine, ſchoͤne<lb/>
Butterdoſe von ſchoͤnem Buchenholz zum Compas umgeſchaf-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[42/0050]
Eberhard Stilling und Margareth ſeine eheliche
Hausfrau, erlebten nun eine neue Periode in ihrer Haushal-
tung. Da war nun ein neuer Hausvater und eine neue Haus-
mutter in ihrer Familie entſtanden. Die Frage war alſo: Wo
ſollen dieſe Beide ſitzen, wenn wir ſpeiſen? — Um die Dun-
kelheit im Vortrag zu vermeiden, muß ich erzaͤhlen, wie eigent-
lich Vater Stilling ſeine Ordnung und Rang am Tiſche be-
obachtete. Oben in der Stube war eine Bank von einem ei-
chenen Brett laͤngs der Wand genagelt, die bis hinter den
Ofen reichte. Vor dieſer Bank, dem Ofen gegenuͤber, ſtand
der Tiſch, als Klappe an die Wand befeſtigt, damit man ihn
an dieſelbe aufſchlagen konnte. Er war aus einer eichenen
Diele von Vater Stilling ſelbſten ganz feſt und treuherzig
ausgearbeitet. An dieſem Tiſch ſaß Eberhard Stilling
oben an der Wand, wo er durch das Brett befeſtigt war, und
zwar vor demſelben. Vielleicht hatte er ſich dieſen vortheil-
haften Platz darum gewaͤhlt, damit er ſeinen linken Ellenbo-
gen auf das Brett ſtuͤtzen, und zugleich ungehindert mit der
rechten Hand eſſen koͤnnte. Doch davon iſt keine Gewißheit,
denn er hat ſich nie in ſeinem Leben deutlich daruͤber erklaͤret.
An ſeiner rechten Seite vor dem Tiſch ſaßen ſeine vier Toͤch-
ter, damit ſie ungehindert ab- und zugehen koͤnnten. Zwi-
ſchen dem Tiſch und dem Ofen hatte Margareth ihren Platz;
eines Theils, weil ſie leicht fror, und andern Theils, damit
ſie fuͤglich uͤber den Tiſch ſehen konnte, ob etwa hier oder
dort Etwas fehlte. Hinter dem Tiſch hatten Johann und
Wilhelm geſeſſen, weil aber der eine verheirathet war, und
der andere Schule hielt, ſo waren dieſe Plaͤtze leer, bis jetzt,
da ſie dem jungen Ehepaar, nach reiflicher Ueberlegung, an-
gewieſen wurden.
Zuweilen kam Johann Stilling ſeine Eltern zu beſuchen.
Das ganze Haus freute ſich, wenn er kam; denn er war ein
beſonderer Mann. Ein jeder Bauer im Dorfe hatte auch
Ehrfurcht vor ihm. Schon in ſeiner fruͤhen Jugend hatte er
einen hoͤlzernen Teller zum Aſtrolabium, und eine feine, ſchoͤne
Butterdoſe von ſchoͤnem Buchenholz zum Compas umgeſchaf-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/50>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.