fen, und von einem Hügel geometrische Observationen ange- stellt. Denn zu der Zeit ließ der Landesfürst eine Landcharte verfertigen. Johann hatte zugesehen, wann der Ingenieur operirte. Zu dieser Zeit aber war er wirklich ein geschickter Land- messer, wurde auch von Edeln und Unedeln bei Theilung der Güter gebraucht. Große Künstler haben gemeiniglich die Tu- gend an sich, daß ihr erfinderischer Geist immer etwas Neues sucht; daher ist ihnen dasjenige, was sie schon erfunden ha- ben, und was sie wissen, viel zu langweilig, es ferner zu ver- feinern. Johann Stilling war also arm: denn was er konnte, versäumte er, [u]m dasjenige zu wissen, was er noch nicht konnte. Seine gute einfältige Frau wünschte oft, daß ihr Mann seine Künsteleien auf Feld und Wiesen zu verbessern wenden möchte, damit sie mehr Brod hätten. Allein, laßt uns der guten Frau ihre Einfalt verzeihen; sie verstand es nicht besser; wenigstens Johann war klug genug hiezu. Er schwieg oder lächelte.
Die Quadratur des Zirkels und die immerwährende Bewe- gung beschäftigten ihn zu diese[r] Zeit. War er nun in ein Geheimniß tiefer eingedrungen, so lief er geschwind nach Tie- fenbach, um seinen Eltern und Geschwistern seine Entdeckung zu erzählen. Kam er denn unten durchs Dorf herauf, und es erblickte ihn Jemand aus Stillings Hause, so lief man gleich nach Hause und rief Alle zusammen, um ihn an der Thüre zu empfangen. Ein Jedes arbeitete dann mit doppel- tem Fleiß, um nach dem Abendessen nichts mehr zu thun zu haben. Dann setzte man sich um den Tisch, stützte die El- lenbogen darauf, und die Hände an die Backen -- Aller Au- gen war auf Johanns Mund gerichtet.
Alle halfen denn an der Quadratur des Zirkels erfin- den; selbst der alte Stilling verwendete vielen Fleiß auf die Sache. Ich würde dem erfinderischen, oder besser, dem gu- ten und natürlichen Verstande dieses Mannes Gewalt anthun, wenn ich sagen sollte: er hätte nichts in dieser Sache gelei- stet. Bei seinem Kohlenbrennen beschäftigte er sich damit. Er zog eine Schnur um sein Birnmostfaß, schnitt sie mit seinem
fen, und von einem Huͤgel geometriſche Obſervationen ange- ſtellt. Denn zu der Zeit ließ der Landesfuͤrſt eine Landcharte verfertigen. Johann hatte zugeſehen, wann der Ingenieur operirte. Zu dieſer Zeit aber war er wirklich ein geſchickter Land- meſſer, wurde auch von Edeln und Unedeln bei Theilung der Guͤter gebraucht. Große Kuͤnſtler haben gemeiniglich die Tu- gend an ſich, daß ihr erfinderiſcher Geiſt immer etwas Neues ſucht; daher iſt ihnen dasjenige, was ſie ſchon erfunden ha- ben, und was ſie wiſſen, viel zu langweilig, es ferner zu ver- feinern. Johann Stilling war alſo arm: denn was er konnte, verſaͤumte er, [u]m dasjenige zu wiſſen, was er noch nicht konnte. Seine gute einfaͤltige Frau wuͤnſchte oft, daß ihr Mann ſeine Kuͤnſteleien auf Feld und Wieſen zu verbeſſern wenden moͤchte, damit ſie mehr Brod haͤtten. Allein, laßt uns der guten Frau ihre Einfalt verzeihen; ſie verſtand es nicht beſſer; wenigſtens Johann war klug genug hiezu. Er ſchwieg oder laͤchelte.
Die Quadratur des Zirkels und die immerwaͤhrende Bewe- gung beſchaͤftigten ihn zu dieſe[r] Zeit. War er nun in ein Geheimniß tiefer eingedrungen, ſo lief er geſchwind nach Tie- fenbach, um ſeinen Eltern und Geſchwiſtern ſeine Entdeckung zu erzaͤhlen. Kam er denn unten durchs Dorf herauf, und es erblickte ihn Jemand aus Stillings Hauſe, ſo lief man gleich nach Hauſe und rief Alle zuſammen, um ihn an der Thuͤre zu empfangen. Ein Jedes arbeitete dann mit doppel- tem Fleiß, um nach dem Abendeſſen nichts mehr zu thun zu haben. Dann ſetzte man ſich um den Tiſch, ſtuͤtzte die El- lenbogen darauf, und die Haͤnde an die Backen — Aller Au- gen war auf Johanns Mund gerichtet.
Alle halfen denn an der Quadratur des Zirkels erfin- den; ſelbſt der alte Stilling verwendete vielen Fleiß auf die Sache. Ich wuͤrde dem erfinderiſchen, oder beſſer, dem gu- ten und natuͤrlichen Verſtande dieſes Mannes Gewalt anthun, wenn ich ſagen ſollte: er haͤtte nichts in dieſer Sache gelei- ſtet. Bei ſeinem Kohlenbrennen beſchaͤftigte er ſich damit. Er zog eine Schnur um ſein Birnmoſtfaß, ſchnitt ſie mit ſeinem
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fen, und von einem Huͤgel geometriſche Obſervationen ange-
ſtellt. Denn zu der Zeit ließ der Landesfuͤrſt eine Landcharte
verfertigen. Johann hatte zugeſehen, wann der Ingenieur
operirte. Zu dieſer Zeit aber war er wirklich ein geſchickter Land-
meſſer, wurde auch von Edeln und Unedeln bei Theilung der
Guͤter gebraucht. Große Kuͤnſtler haben gemeiniglich die Tu-
gend an ſich, daß ihr erfinderiſcher Geiſt immer etwas Neues
ſucht; daher iſt ihnen dasjenige, was ſie ſchon erfunden ha-
ben, und was ſie wiſſen, viel zu langweilig, es ferner zu ver-
feinern. Johann Stilling war alſo arm: denn was er
konnte, verſaͤumte er, um dasjenige zu wiſſen, was er noch nicht
konnte. Seine gute einfaͤltige Frau wuͤnſchte oft, daß ihr
Mann ſeine Kuͤnſteleien auf Feld und Wieſen zu verbeſſern
wenden moͤchte, damit ſie mehr Brod haͤtten. Allein, laßt
uns der guten Frau ihre Einfalt verzeihen; ſie verſtand es
nicht beſſer; wenigſtens Johann war klug genug hiezu. Er
ſchwieg oder laͤchelte.
Die Quadratur des Zirkels und die immerwaͤhrende Bewe-
gung beſchaͤftigten ihn zu dieſer Zeit. War er nun in ein
Geheimniß tiefer eingedrungen, ſo lief er geſchwind nach Tie-
fenbach, um ſeinen Eltern und Geſchwiſtern ſeine Entdeckung
zu erzaͤhlen. Kam er denn unten durchs Dorf herauf, und
es erblickte ihn Jemand aus Stillings Hauſe, ſo lief man
gleich nach Hauſe und rief Alle zuſammen, um ihn an der
Thuͤre zu empfangen. Ein Jedes arbeitete dann mit doppel-
tem Fleiß, um nach dem Abendeſſen nichts mehr zu thun zu
haben. Dann ſetzte man ſich um den Tiſch, ſtuͤtzte die El-
lenbogen darauf, und die Haͤnde an die Backen — Aller Au-
gen war auf Johanns Mund gerichtet.
Alle halfen denn an der Quadratur des Zirkels erfin-
den; ſelbſt der alte Stilling verwendete vielen Fleiß auf die
Sache. Ich wuͤrde dem erfinderiſchen, oder beſſer, dem gu-
ten und natuͤrlichen Verſtande dieſes Mannes Gewalt anthun,
wenn ich ſagen ſollte: er haͤtte nichts in dieſer Sache gelei-
ſtet. Bei ſeinem Kohlenbrennen beſchaͤftigte er ſich damit. Er
zog eine Schnur um ſein Birnmoſtfaß, ſchnitt ſie mit ſeinem
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/51>, abgerufen am 04.12.2024.
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