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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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im von Hamm'schen Familienhause in Marburg, welches
der Tante Duising eigenthümlich zugehört.

Der gute Schwarz hatte mit seinem Hannchen im
1796sten Jahr etwas Rechts zu leiden gehabt: er hatte sein
einsames Dexbach verlassen und eine Pfarrstelle zu Echzell
in der Wetterau angenommen, wo er nun allen Schrecken
des Kriegs ausgesetzt war. Hannchen war auch mit unter
den fünf und vierzig tausend Flüchtenden, und sie hielt
ihr drittes Kindbett ruhig bei ihren Eltern zu Marburg und
reiste dann wieder auf ihren Posten.

Das Jahr 1797 war eben nicht merkwürdig in Stillings
Lebensgang, Alles rückte so in der gewöhnten Sphäre fort,
außer daß sich Stillings innere Leiden eher vermehrten als
verminderten -- ihn drückte beständig eine innige Wehmuth,
eine unbeschreibliche Freudenlosigkeit raubte ihm allen Genuß.
Das Einzige, was ihn aufrecht hielt, war sein häuslicher Zir-
kel, in welchem es Jedem wohl wurde, der sich darin befand.
Elise und ihre beiden Schwestern Maria und Amalia
waren die Werkzeuge, die der Herr brauchte, um seinem Kreuz-
träger das Tragen zu erleichtern, obgleich Elise selbst unter
ihrer Bürde beinahe erlag.

Von allem dem empfand Vater Wilhelm gar nichts, er
war Kind und wurde es immer mehr, und damit es ihm an
keiner Aufwartung fehlen möchte, so ließ Stilling seiner
ältesten Schwester Tochter Mariechen kommen, die dann
ihre Pflicht am Großvater treulich so lang erfüllte, bis ihre
Aufwartung sich nicht mehr für ein junges Mädchen schickte
und eine alte Wittwe angenommen wurde, die Tag und Nacht
seiner wartete. Mariechens Charakter entwickelte sich zu
ihrem Vortheil, sie genießt die Achtung und Liebe aller guten
Menschen, und sie wird von Stilling und Elise als Kind
geliebt. Mit Vater Wilhelm kam es nach und nach so weit,
daß er Niemand, und am Ende sogar seinen Sohn nicht mehr
kannte; von seiner zweiten Heirath und Kinder wußte er fast
gar nichts mehr, aber von seiner Heirath mit Dortchen und
von seinen Jugendjahren sprach er zuweilen in einzelnen Ideen.
Sobald man aber vom Christenthum zu reden anfing, so kam

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im von Hamm’ſchen Familienhauſe in Marburg, welches
der Tante Duiſing eigenthuͤmlich zugehoͤrt.

Der gute Schwarz hatte mit ſeinem Hannchen im
1796ſten Jahr etwas Rechts zu leiden gehabt: er hatte ſein
einſames Dexbach verlaſſen und eine Pfarrſtelle zu Echzell
in der Wetterau angenommen, wo er nun allen Schrecken
des Kriegs ausgeſetzt war. Hannchen war auch mit unter
den fuͤnf und vierzig tauſend Fluͤchtenden, und ſie hielt
ihr drittes Kindbett ruhig bei ihren Eltern zu Marburg und
reiste dann wieder auf ihren Poſten.

Das Jahr 1797 war eben nicht merkwuͤrdig in Stillings
Lebensgang, Alles ruͤckte ſo in der gewoͤhnten Sphaͤre fort,
außer daß ſich Stillings innere Leiden eher vermehrten als
verminderten — ihn druͤckte beſtaͤndig eine innige Wehmuth,
eine unbeſchreibliche Freudenloſigkeit raubte ihm allen Genuß.
Das Einzige, was ihn aufrecht hielt, war ſein haͤuslicher Zir-
kel, in welchem es Jedem wohl wurde, der ſich darin befand.
Eliſe und ihre beiden Schweſtern Maria und Amalia
waren die Werkzeuge, die der Herr brauchte, um ſeinem Kreuz-
traͤger das Tragen zu erleichtern, obgleich Eliſe ſelbſt unter
ihrer Buͤrde beinahe erlag.

Von allem dem empfand Vater Wilhelm gar nichts, er
war Kind und wurde es immer mehr, und damit es ihm an
keiner Aufwartung fehlen moͤchte, ſo ließ Stilling ſeiner
aͤlteſten Schweſter Tochter Mariechen kommen, die dann
ihre Pflicht am Großvater treulich ſo lang erfuͤllte, bis ihre
Aufwartung ſich nicht mehr fuͤr ein junges Maͤdchen ſchickte
und eine alte Wittwe angenommen wurde, die Tag und Nacht
ſeiner wartete. Mariechens Charakter entwickelte ſich zu
ihrem Vortheil, ſie genießt die Achtung und Liebe aller guten
Menſchen, und ſie wird von Stilling und Eliſe als Kind
geliebt. Mit Vater Wilhelm kam es nach und nach ſo weit,
daß er Niemand, und am Ende ſogar ſeinen Sohn nicht mehr
kannte; von ſeiner zweiten Heirath und Kinder wußte er faſt
gar nichts mehr, aber von ſeiner Heirath mit Dortchen und
von ſeinen Jugendjahren ſprach er zuweilen in einzelnen Ideen.
Sobald man aber vom Chriſtenthum zu reden anfing, ſo kam

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[503/0511] im von Hamm’ſchen Familienhauſe in Marburg, welches der Tante Duiſing eigenthuͤmlich zugehoͤrt. Der gute Schwarz hatte mit ſeinem Hannchen im 1796ſten Jahr etwas Rechts zu leiden gehabt: er hatte ſein einſames Dexbach verlaſſen und eine Pfarrſtelle zu Echzell in der Wetterau angenommen, wo er nun allen Schrecken des Kriegs ausgeſetzt war. Hannchen war auch mit unter den fuͤnf und vierzig tauſend Fluͤchtenden, und ſie hielt ihr drittes Kindbett ruhig bei ihren Eltern zu Marburg und reiste dann wieder auf ihren Poſten. Das Jahr 1797 war eben nicht merkwuͤrdig in Stillings Lebensgang, Alles ruͤckte ſo in der gewoͤhnten Sphaͤre fort, außer daß ſich Stillings innere Leiden eher vermehrten als verminderten — ihn druͤckte beſtaͤndig eine innige Wehmuth, eine unbeſchreibliche Freudenloſigkeit raubte ihm allen Genuß. Das Einzige, was ihn aufrecht hielt, war ſein haͤuslicher Zir- kel, in welchem es Jedem wohl wurde, der ſich darin befand. Eliſe und ihre beiden Schweſtern Maria und Amalia waren die Werkzeuge, die der Herr brauchte, um ſeinem Kreuz- traͤger das Tragen zu erleichtern, obgleich Eliſe ſelbſt unter ihrer Buͤrde beinahe erlag. Von allem dem empfand Vater Wilhelm gar nichts, er war Kind und wurde es immer mehr, und damit es ihm an keiner Aufwartung fehlen moͤchte, ſo ließ Stilling ſeiner aͤlteſten Schweſter Tochter Mariechen kommen, die dann ihre Pflicht am Großvater treulich ſo lang erfuͤllte, bis ihre Aufwartung ſich nicht mehr fuͤr ein junges Maͤdchen ſchickte und eine alte Wittwe angenommen wurde, die Tag und Nacht ſeiner wartete. Mariechens Charakter entwickelte ſich zu ihrem Vortheil, ſie genießt die Achtung und Liebe aller guten Menſchen, und ſie wird von Stilling und Eliſe als Kind geliebt. Mit Vater Wilhelm kam es nach und nach ſo weit, daß er Niemand, und am Ende ſogar ſeinen Sohn nicht mehr kannte; von ſeiner zweiten Heirath und Kinder wußte er faſt gar nichts mehr, aber von ſeiner Heirath mit Dortchen und von ſeinen Jugendjahren ſprach er zuweilen in einzelnen Ideen. Sobald man aber vom Chriſtenthum zu reden anfing, ſo kam 33 *

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/511>, abgerufen am 22.11.2024.