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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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in der Bibel überhaupt, Rücksicht zu nehmen. Sehr verstän-
dige Männer hielten schon die französische Kokarde für das
Zeichen des Thiers, und glaubten also, das Thier aus dem
Abgrund sey schon aufgestiegen und der Mensch der Sünden
wirklich da. Diese ziemlich allgemeine Sensation unter den
wahren Christen kam Stilling bedenklich vor und er war
Willens, im grauen Manne davor zu warnen.

Auf der andern Seite war es ihm doch auch äußerst wich-
tig, daß der bekannte fromme und gelehrte Prälat Bengel
schon vor fünfzig Jahren in seiner Erklärung der Apocalypse
bestimmt vorausgesagt hatte, daß in dem letzten Jahrzehent
des achtzehnten Jahrhunderts der große Kampf anfangen und
der römische Stuhl gestürzt werden sollte. Dieses hatte nun
ein Ungenannter in Karlsruhe in einer nähern und bestimm-
ten Erläuterung des Bengel'schen apocalyptischen Rech-
nungssystems noch genauer ausfindig gemacht und sogar die
Jahre aus dem neunziger Jahrzehent festgesetzt, in welchen
Rom gestürzt werden sollte, und dieß achtzehn Jahre vorher,
ehe es wirklich eintraf. Dieß Alles machte Stilling auf-
merksam auf Bengels Schriften, und besonders auf das so
eben berührte Buch des Karlsruher ungenannten Verfassers.

Hier kamen nun noch zwei Umstände, die auf Stillings
Gemüth wirkten, und es zu einer so wichtigen Arbeit vorbe-
reiteten: Das Heimweh hatte auf verschiedene Mitglieder der
Herrnhuter Brüdergemeine tiefen und wohlthätigen
Eindruck gemacht; er wurde in dieser Gemeine bekannter, man
fing an, seine Lebensgeschichte allgemeiner zu lesen, und auch
seine übrigen Schriften, besonders der graue Mann, wurde
durchgehends als erbaulich anerkannt. Er wurde von durch-
reisenden Brüdern besucht, auch er las viele ihrer Schriften,
mit einem Wort: die Brüdergemeine wurde ihm immer ehr-
würdiger, besonders auch dadurch, daß er in ihren Schriften
überhaupt, und vorzüglich in ihren Gemein- und Missions-
Nachrichten, auch Prediger-Konferenz-Protokollen, die man
ihm mittheilte, einen ungemein raschen Fortschritt in der Ver-
vollkommnung der Lehre und des Lebens bemerkte, und daß
alle ihre Anstalten von der Vorsehung ganz ausgezeichnet ge-

in der Bibel uͤberhaupt, Ruͤckſicht zu nehmen. Sehr verſtaͤn-
dige Maͤnner hielten ſchon die franzoͤſiſche Kokarde fuͤr das
Zeichen des Thiers, und glaubten alſo, das Thier aus dem
Abgrund ſey ſchon aufgeſtiegen und der Menſch der Suͤnden
wirklich da. Dieſe ziemlich allgemeine Senſation unter den
wahren Chriſten kam Stilling bedenklich vor und er war
Willens, im grauen Manne davor zu warnen.

Auf der andern Seite war es ihm doch auch aͤußerſt wich-
tig, daß der bekannte fromme und gelehrte Praͤlat Bengel
ſchon vor fuͤnfzig Jahren in ſeiner Erklaͤrung der Apocalypſe
beſtimmt vorausgeſagt hatte, daß in dem letzten Jahrzehent
des achtzehnten Jahrhunderts der große Kampf anfangen und
der roͤmiſche Stuhl geſtuͤrzt werden ſollte. Dieſes hatte nun
ein Ungenannter in Karlsruhe in einer naͤhern und beſtimm-
ten Erlaͤuterung des Bengel’ſchen apocalyptiſchen Rech-
nungsſyſtems noch genauer ausfindig gemacht und ſogar die
Jahre aus dem neunziger Jahrzehent feſtgeſetzt, in welchen
Rom geſtuͤrzt werden ſollte, und dieß achtzehn Jahre vorher,
ehe es wirklich eintraf. Dieß Alles machte Stilling auf-
merkſam auf Bengels Schriften, und beſonders auf das ſo
eben beruͤhrte Buch des Karlsruher ungenannten Verfaſſers.

Hier kamen nun noch zwei Umſtaͤnde, die auf Stillings
Gemuͤth wirkten, und es zu einer ſo wichtigen Arbeit vorbe-
reiteten: Das Heimweh hatte auf verſchiedene Mitglieder der
Herrnhuter Bruͤdergemeine tiefen und wohlthaͤtigen
Eindruck gemacht; er wurde in dieſer Gemeine bekannter, man
fing an, ſeine Lebensgeſchichte allgemeiner zu leſen, und auch
ſeine uͤbrigen Schriften, beſonders der graue Mann, wurde
durchgehends als erbaulich anerkannt. Er wurde von durch-
reiſenden Bruͤdern beſucht, auch er las viele ihrer Schriften,
mit einem Wort: die Bruͤdergemeine wurde ihm immer ehr-
wuͤrdiger, beſonders auch dadurch, daß er in ihren Schriften
uͤberhaupt, und vorzuͤglich in ihren Gemein- und Miſſions-
Nachrichten, auch Prediger-Konferenz-Protokollen, die man
ihm mittheilte, einen ungemein raſchen Fortſchritt in der Ver-
vollkommnung der Lehre und des Lebens bemerkte, und daß
alle ihre Anſtalten von der Vorſehung ganz ausgezeichnet ge-

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[506/0514] in der Bibel uͤberhaupt, Ruͤckſicht zu nehmen. Sehr verſtaͤn- dige Maͤnner hielten ſchon die franzoͤſiſche Kokarde fuͤr das Zeichen des Thiers, und glaubten alſo, das Thier aus dem Abgrund ſey ſchon aufgeſtiegen und der Menſch der Suͤnden wirklich da. Dieſe ziemlich allgemeine Senſation unter den wahren Chriſten kam Stilling bedenklich vor und er war Willens, im grauen Manne davor zu warnen. Auf der andern Seite war es ihm doch auch aͤußerſt wich- tig, daß der bekannte fromme und gelehrte Praͤlat Bengel ſchon vor fuͤnfzig Jahren in ſeiner Erklaͤrung der Apocalypſe beſtimmt vorausgeſagt hatte, daß in dem letzten Jahrzehent des achtzehnten Jahrhunderts der große Kampf anfangen und der roͤmiſche Stuhl geſtuͤrzt werden ſollte. Dieſes hatte nun ein Ungenannter in Karlsruhe in einer naͤhern und beſtimm- ten Erlaͤuterung des Bengel’ſchen apocalyptiſchen Rech- nungsſyſtems noch genauer ausfindig gemacht und ſogar die Jahre aus dem neunziger Jahrzehent feſtgeſetzt, in welchen Rom geſtuͤrzt werden ſollte, und dieß achtzehn Jahre vorher, ehe es wirklich eintraf. Dieß Alles machte Stilling auf- merkſam auf Bengels Schriften, und beſonders auf das ſo eben beruͤhrte Buch des Karlsruher ungenannten Verfaſſers. Hier kamen nun noch zwei Umſtaͤnde, die auf Stillings Gemuͤth wirkten, und es zu einer ſo wichtigen Arbeit vorbe- reiteten: Das Heimweh hatte auf verſchiedene Mitglieder der Herrnhuter Bruͤdergemeine tiefen und wohlthaͤtigen Eindruck gemacht; er wurde in dieſer Gemeine bekannter, man fing an, ſeine Lebensgeſchichte allgemeiner zu leſen, und auch ſeine uͤbrigen Schriften, beſonders der graue Mann, wurde durchgehends als erbaulich anerkannt. Er wurde von durch- reiſenden Bruͤdern beſucht, auch er las viele ihrer Schriften, mit einem Wort: die Bruͤdergemeine wurde ihm immer ehr- wuͤrdiger, beſonders auch dadurch, daß er in ihren Schriften uͤberhaupt, und vorzuͤglich in ihren Gemein- und Miſſions- Nachrichten, auch Prediger-Konferenz-Protokollen, die man ihm mittheilte, einen ungemein raſchen Fortſchritt in der Ver- vollkommnung der Lehre und des Lebens bemerkte, und daß alle ihre Anſtalten von der Vorſehung ganz ausgezeichnet ge-

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/514>, abgerufen am 22.11.2024.