liches über die Offenbarung Johannis dem christli- lichen Lesen mitzutheilen; um sich nun in dieser wichtigen und schweren Materie in Etwas zu orientiren, so nahm er die vorhin bemerkte Karlsruher Erläuterung zur Hand, setzte sich damit an seinen Pult, und fing an zu lesen. Plötz- lich und ganz unerwartet durchdrang ihn eine sanfte und innige sehr wohlthätige Rührung, die in ihm den Entschluß erzeugte, die ganze Apocalypse aus dem griechischen Grundtext zu über- setzen, sie Vers für Vers zu erklären, und das Bengel'sche Rechnungs-System beizubehalten, weil es bis dahin anwend- bar gewesen, und besonders in diesen Zeiten so merkwürdig eingetroffen wäre. Er begab sich also auf der Stelle an diese Arbeit und hoffte, der Geist des Herrn würde ihn bei allen dunkeln Stellen erleuchten und in alle Wahrheit führen. Stil- lings Siegsgeschichte der christlichen Religion ist also kein vorher durchdachtes ausstudirtes Werk, sondern sie wurde so stückweise in den Nebenstunden unter Gebet und Flehen um Licht und Gnade niedergeschrieben und dann ohne weiters an Freund Raw nach Nürnberg zur Buchdrucker- presse geschickt. Sobald Stilling nur die Zeit dazu findet, so wird er in Nachträgen zur Siegsgeschichte noch Manches näher bestimmen, berichtigen und erläutern.
Wer nicht vorsätzlich und boshafter Weise alles übel aus- legen und zu Bolzen drehen will, sondern nur ehrlich und billig denkt, der wird Stilling nicht beschuldigen, daß er bei seinen Lesern die Idee erregen wolle, er schreibe aus gött- licher Inspiration; sondern mein Zweck ist, sie zu überzeugen, daß seine Schriften -- sie mögen mehr oder weniger mangel- haft seyn -- doch unter der besondern Leitung der Vorsehung stehen -- dafür ist ihm seine ganze Führung, und dann auch der ungemeine, unerwartete Segen, der auf seinen Schriften ruht, Bürge. Dieß war auch wieder bei der Siegsgeschichte der Fall: denn kaum war ein Jahr verflossen, so wurde sie schon zum zweitenmal aufgelegt.
Diesen ganzen Sommer durch war Stillings Schwer- muth auf den höchsten Grad gestiegen -- er dachte manch- mal über diesen Zustand nach, und brauchte seine ganze medi-
liches uͤber die Offenbarung Johannis dem chriſtli- lichen Leſen mitzutheilen; um ſich nun in dieſer wichtigen und ſchweren Materie in Etwas zu orientiren, ſo nahm er die vorhin bemerkte Karlsruher Erlaͤuterung zur Hand, ſetzte ſich damit an ſeinen Pult, und fing an zu leſen. Ploͤtz- lich und ganz unerwartet durchdrang ihn eine ſanfte und innige ſehr wohlthaͤtige Ruͤhrung, die in ihm den Entſchluß erzeugte, die ganze Apocalypſe aus dem griechiſchen Grundtext zu uͤber- ſetzen, ſie Vers fuͤr Vers zu erklaͤren, und das Bengel’ſche Rechnungs-Syſtem beizubehalten, weil es bis dahin anwend- bar geweſen, und beſonders in dieſen Zeiten ſo merkwuͤrdig eingetroffen waͤre. Er begab ſich alſo auf der Stelle an dieſe Arbeit und hoffte, der Geiſt des Herrn wuͤrde ihn bei allen dunkeln Stellen erleuchten und in alle Wahrheit fuͤhren. Stil- lings Siegsgeſchichte der chriſtlichen Religion iſt alſo kein vorher durchdachtes ausſtudirtes Werk, ſondern ſie wurde ſo ſtuͤckweiſe in den Nebenſtunden unter Gebet und Flehen um Licht und Gnade niedergeſchrieben und dann ohne weiters an Freund Raw nach Nuͤrnberg zur Buchdrucker- preſſe geſchickt. Sobald Stilling nur die Zeit dazu findet, ſo wird er in Nachtraͤgen zur Siegsgeſchichte noch Manches naͤher beſtimmen, berichtigen und erlaͤutern.
Wer nicht vorſaͤtzlich und boshafter Weiſe alles uͤbel aus- legen und zu Bolzen drehen will, ſondern nur ehrlich und billig denkt, der wird Stilling nicht beſchuldigen, daß er bei ſeinen Leſern die Idee erregen wolle, er ſchreibe aus goͤtt- licher Inſpiration; ſondern mein Zweck iſt, ſie zu uͤberzeugen, daß ſeine Schriften — ſie moͤgen mehr oder weniger mangel- haft ſeyn — doch unter der beſondern Leitung der Vorſehung ſtehen — dafuͤr iſt ihm ſeine ganze Fuͤhrung, und dann auch der ungemeine, unerwartete Segen, der auf ſeinen Schriften ruht, Buͤrge. Dieß war auch wieder bei der Siegsgeſchichte der Fall: denn kaum war ein Jahr verfloſſen, ſo wurde ſie ſchon zum zweitenmal aufgelegt.
Dieſen ganzen Sommer durch war Stillings Schwer- muth auf den hoͤchſten Grad geſtiegen — er dachte manch- mal uͤber dieſen Zuſtand nach, und brauchte ſeine ganze medi-
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liches uͤber die Offenbarung Johannis dem chriſtli-
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die vorhin bemerkte Karlsruher Erlaͤuterung zur Hand,
ſetzte ſich damit an ſeinen Pult, und fing an zu leſen. Ploͤtz-
lich und ganz unerwartet durchdrang ihn eine ſanfte und innige
ſehr wohlthaͤtige Ruͤhrung, die in ihm den Entſchluß erzeugte,
die ganze Apocalypſe aus dem griechiſchen Grundtext zu uͤber-
ſetzen, ſie Vers fuͤr Vers zu erklaͤren, und das Bengel’ſche
Rechnungs-Syſtem beizubehalten, weil es bis dahin anwend-
bar geweſen, und beſonders in dieſen Zeiten ſo merkwuͤrdig
eingetroffen waͤre. Er begab ſich alſo auf der Stelle an dieſe
Arbeit und hoffte, der Geiſt des Herrn wuͤrde ihn bei allen
dunkeln Stellen erleuchten und in alle Wahrheit fuͤhren. Stil-
lings Siegsgeſchichte der chriſtlichen Religion iſt
alſo kein vorher durchdachtes ausſtudirtes Werk, ſondern ſie
wurde ſo ſtuͤckweiſe in den Nebenſtunden unter Gebet und
Flehen um Licht und Gnade niedergeſchrieben und dann ohne
weiters an Freund Raw nach Nuͤrnberg zur Buchdrucker-
preſſe geſchickt. Sobald Stilling nur die Zeit dazu findet,
ſo wird er in Nachtraͤgen zur Siegsgeſchichte noch Manches
naͤher beſtimmen, berichtigen und erlaͤutern.
Wer nicht vorſaͤtzlich und boshafter Weiſe alles uͤbel aus-
legen und zu Bolzen drehen will, ſondern nur ehrlich und
billig denkt, der wird Stilling nicht beſchuldigen, daß er
bei ſeinen Leſern die Idee erregen wolle, er ſchreibe aus goͤtt-
licher Inſpiration; ſondern mein Zweck iſt, ſie zu uͤberzeugen,
daß ſeine Schriften — ſie moͤgen mehr oder weniger mangel-
haft ſeyn — doch unter der beſondern Leitung der
Vorſehung ſtehen — dafuͤr iſt ihm ſeine ganze Fuͤhrung,
und dann auch der ungemeine, unerwartete Segen, der auf
ſeinen Schriften ruht, Buͤrge. Dieß war auch wieder bei der
Siegsgeſchichte der Fall: denn kaum war ein Jahr verfloſſen,
ſo wurde ſie ſchon zum zweitenmal aufgelegt.
Dieſen ganzen Sommer durch war Stillings Schwer-
muth auf den hoͤchſten Grad geſtiegen — er dachte manch-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/516>, abgerufen am 22.11.2024.
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