zinische Vernunft, um in dieser Sache auf den Grund zu kommen, aber er fand keinen. Hypochondrie war es nicht, wenigstens nicht die gewöhnliche, sondern es war eigentlich Freudenleerheit, auf welche auch der reinste sinnliche Ge- nuß keinen Eindruck machte; die ganze Welt wurde ihm fremd, so, als ob sie ihn nichts anginge, Alles was andern, auch guten Menschen, Vergnügen machte, war ihm ganz gleichgül- tig -- Nichts! -- ganz und gar Nichts! -- als sein großer Gesichtspunkt, der ihm aber Theils dunkel, Theils ganz un- erreichbar schien, füllte seine ganze Seele aus, auf den starrte er hin, sonst auf Nichts. Seine ganze Seele, Herz und Ver- stand, hing mit der ganzen Fülle der Liebe an Christo, aber nicht anders als mit einer wehmüthigen Empfindung. Das Schlimmste war, daß er diese schwere Lage Niemand klagen konnte, weil ihn Niemand verstand; -- ein paarmal entdeckte er sich frommen Freunden in den Niederlanden, allein diese nahmen es ihm sogar übel, daß er glaubte in einem so erhabe- nen mystischen Zustand zu stehen: denn er hatte seine Gemüthsver- fassung den Stand des dunkeln Glaubens genannt. O Gott, es ist schwer, den Weg des heiligen Kreuzes zu gehen! -- aber hernach bringt er auch unaussprechlichen Segen.
Die wahre Ursache, warum ihn sein himmlicher Führer in diese traurige Gemüthsstimmung gerathen ließ, war wohl fürs Erste, um ihn vor dem Stolz, und der allen Sinn für Religion und Christenthum tödtenden Eitelkeit zu bewahren, in welche er ohne diesen Pfahl im Fleisch gewiß gerathen wäre, weil ihm von allen Seiten her, aus der Nähe und Ferne, von Hohen und Niedern, Gelehrten und Ungelehrten, außerordentlich viel Schönes und Herzerhebendes zum Lob gesagt wurde; in diesem Zustand freute es ihn einen Augen- blick, so wie Einen ein warmer Sonnenstrahl an einem dun- keln Dezembertage; dann aber war es wieder wie vorher, und ihm gerade so zu Muth, als wenn es ihn gar nicht an- ginge. Fürs zweite aber mochte auch wohl der himmlische Schmelzer diesen Sohn Levi noch aus andern höhern Ursa- chen auf diesen Treibheerd setzen, um gewisse Grundtriebe des Verderbens radical auszubrennen.
ziniſche Vernunft, um in dieſer Sache auf den Grund zu kommen, aber er fand keinen. Hypochondrie war es nicht, wenigſtens nicht die gewoͤhnliche, ſondern es war eigentlich Freudenleerheit, auf welche auch der reinſte ſinnliche Ge- nuß keinen Eindruck machte; die ganze Welt wurde ihm fremd, ſo, als ob ſie ihn nichts anginge, Alles was andern, auch guten Menſchen, Vergnuͤgen machte, war ihm ganz gleichguͤl- tig — Nichts! — ganz und gar Nichts! — als ſein großer Geſichtspunkt, der ihm aber Theils dunkel, Theils ganz un- erreichbar ſchien, fuͤllte ſeine ganze Seele aus, auf den ſtarrte er hin, ſonſt auf Nichts. Seine ganze Seele, Herz und Ver- ſtand, hing mit der ganzen Fuͤlle der Liebe an Chriſto, aber nicht anders als mit einer wehmuͤthigen Empfindung. Das Schlimmſte war, daß er dieſe ſchwere Lage Niemand klagen konnte, weil ihn Niemand verſtand; — ein paarmal entdeckte er ſich frommen Freunden in den Niederlanden, allein dieſe nahmen es ihm ſogar uͤbel, daß er glaubte in einem ſo erhabe- nen myſtiſchen Zuſtand zu ſtehen: denn er hatte ſeine Gemuͤthsver- faſſung den Stand des dunkeln Glaubens genannt. O Gott, es iſt ſchwer, den Weg des heiligen Kreuzes zu gehen! — aber hernach bringt er auch unausſprechlichen Segen.
Die wahre Urſache, warum ihn ſein himmlicher Fuͤhrer in dieſe traurige Gemuͤthsſtimmung gerathen ließ, war wohl fuͤrs Erſte, um ihn vor dem Stolz, und der allen Sinn fuͤr Religion und Chriſtenthum toͤdtenden Eitelkeit zu bewahren, in welche er ohne dieſen Pfahl im Fleiſch gewiß gerathen waͤre, weil ihm von allen Seiten her, aus der Naͤhe und Ferne, von Hohen und Niedern, Gelehrten und Ungelehrten, außerordentlich viel Schoͤnes und Herzerhebendes zum Lob geſagt wurde; in dieſem Zuſtand freute es ihn einen Augen- blick, ſo wie Einen ein warmer Sonnenſtrahl an einem dun- keln Dezembertage; dann aber war es wieder wie vorher, und ihm gerade ſo zu Muth, als wenn es ihn gar nicht an- ginge. Fuͤrs zweite aber mochte auch wohl der himmliſche Schmelzer dieſen Sohn Levi noch aus andern hoͤhern Urſa- chen auf dieſen Treibheerd ſetzen, um gewiſſe Grundtriebe des Verderbens radical auszubrennen.
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ziniſche Vernunft, um in dieſer Sache auf den Grund zu
kommen, aber er fand keinen. Hypochondrie war es nicht,
wenigſtens nicht die gewoͤhnliche, ſondern es war eigentlich
Freudenleerheit, auf welche auch der reinſte ſinnliche Ge-
nuß keinen Eindruck machte; die ganze Welt wurde ihm fremd,
ſo, als ob ſie ihn nichts anginge, Alles was andern, auch
guten Menſchen, Vergnuͤgen machte, war ihm ganz gleichguͤl-
tig — Nichts! — ganz und gar Nichts! — als ſein großer
Geſichtspunkt, der ihm aber Theils dunkel, Theils ganz un-
erreichbar ſchien, fuͤllte ſeine ganze Seele aus, auf den ſtarrte
er hin, ſonſt auf Nichts. Seine ganze Seele, Herz und Ver-
ſtand, hing mit der ganzen Fuͤlle der Liebe an Chriſto, aber
nicht anders als mit einer wehmuͤthigen Empfindung. Das
Schlimmſte war, daß er dieſe ſchwere Lage Niemand klagen
konnte, weil ihn Niemand verſtand; — ein paarmal entdeckte
er ſich frommen Freunden in den Niederlanden, allein
dieſe nahmen es ihm ſogar uͤbel, daß er glaubte in einem ſo erhabe-
nen myſtiſchen Zuſtand zu ſtehen: denn er hatte ſeine Gemuͤthsver-
faſſung den Stand des dunkeln Glaubens genannt. O
Gott, es iſt ſchwer, den Weg des heiligen Kreuzes zu gehen! —
aber hernach bringt er auch unausſprechlichen Segen.
Die wahre Urſache, warum ihn ſein himmlicher Fuͤhrer
in dieſe traurige Gemuͤthsſtimmung gerathen ließ, war wohl
fuͤrs Erſte, um ihn vor dem Stolz, und der allen Sinn fuͤr
Religion und Chriſtenthum toͤdtenden Eitelkeit zu bewahren,
in welche er ohne dieſen Pfahl im Fleiſch gewiß gerathen
waͤre, weil ihm von allen Seiten her, aus der Naͤhe und
Ferne, von Hohen und Niedern, Gelehrten und Ungelehrten,
außerordentlich viel Schoͤnes und Herzerhebendes zum Lob
geſagt wurde; in dieſem Zuſtand freute es ihn einen Augen-
blick, ſo wie Einen ein warmer Sonnenſtrahl an einem dun-
keln Dezembertage; dann aber war es wieder wie vorher,
und ihm gerade ſo zu Muth, als wenn es ihn gar nicht an-
ginge. Fuͤrs zweite aber mochte auch wohl der himmliſche
Schmelzer dieſen Sohn Levi noch aus andern hoͤhern Urſa-
chen auf dieſen Treibheerd ſetzen, um gewiſſe Grundtriebe des
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/517>, abgerufen am 22.11.2024.
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