für eine Million Gulden erbauliche und nützliche Schriften unter die gemeinen Leute in England ausgetheilt hatten, schrieben ihm einen herzerhebenden Brief, und munterten ihn auf, diese Anstalt auch in Deutschland zu bewerkstelligen. Zugleich nahm auch seine religiöse Korrespondenz, und nicht weniger die Praxis seiner Augenkuren zu; auf der andern Seite aber wurde sein eigentlicher akademischer Beruf immer unfruchtbarer: die deutsche Entschädigung hatte die Provinzen, aus denen gewöhnlich die Universität Marburg besucht wurde, an andere Regenten gebracht, die selbst Universitäten haben, wohin also nun ihre jungen Leute gehen und da studiren müs- sen; die Zahl der Studirenden wurde also merklich kleiner, und wer noch studirte, der wendete sich zu den Brodstudien, zu welchem das Kameralfach nicht gehört; und endlich wird man auch auf allen Universitäten eine Abnahme des Triebs zum Studiren bemerken: die Ursache davon gehört nicht hieher. Genug, Stillings Auditorium wurde immer kleiner, so daß er oft nur zwei bis drei Zuhörer hatte, dieß war ihm uner- träglich -- eine so große Besoldung und so wenig dafür thun zu können, wollte sich mit seinem Gewissen nicht vertragen, und doch war er wie angenagelt, er konnte nicht anders, er mußte aushalten: denn ohne diese Besoldung konnte er nicht leben; bei allem dem füllte nun sein großer und einziger Grundtrieb, für den Herrn und sein Reich allein zu wirken und zu leben -- sein ganzes Wesen; er sahe und hörte alle Tage, wie weit und breit wohlthätig sein religiöser Wirkungskreis war und den mußte er hintansetzen, um eines gar unfruchtbaren Broderwerbens willen.
Endlich kam nun noch ein Hauptumstand zu dem Allen: der Kurfürst von Hessen will zwar von ganzem Herzen die Religion unterstützen, aber Er hat auch einen Grundsatz, der an und für sich selbst ganz richtig ist, nämlich: Jeder Staatsdiener soll sich dem Fach, dem er sich ein- mal gewidmet hat, ganz widmen -- Er sicht gar nicht gern, wenn Einer zu einem andern Beruf übergeht: nun war aber Stilling in dem Fall, daß er gegen die beiden Theile dieses Grundsatzes handeln mußte;
fuͤr eine Million Gulden erbauliche und nuͤtzliche Schriften unter die gemeinen Leute in England ausgetheilt hatten, ſchrieben ihm einen herzerhebenden Brief, und munterten ihn auf, dieſe Anſtalt auch in Deutſchland zu bewerkſtelligen. Zugleich nahm auch ſeine religioͤſe Korreſpondenz, und nicht weniger die Praxis ſeiner Augenkuren zu; auf der andern Seite aber wurde ſein eigentlicher akademiſcher Beruf immer unfruchtbarer: die deutſche Entſchaͤdigung hatte die Provinzen, aus denen gewoͤhnlich die Univerſitaͤt Marburg beſucht wurde, an andere Regenten gebracht, die ſelbſt Univerſitaͤten haben, wohin alſo nun ihre jungen Leute gehen und da ſtudiren muͤſ- ſen; die Zahl der Studirenden wurde alſo merklich kleiner, und wer noch ſtudirte, der wendete ſich zu den Brodſtudien, zu welchem das Kameralfach nicht gehoͤrt; und endlich wird man auch auf allen Univerſitaͤten eine Abnahme des Triebs zum Studiren bemerken: die Urſache davon gehoͤrt nicht hieher. Genug, Stillings Auditorium wurde immer kleiner, ſo daß er oft nur zwei bis drei Zuhoͤrer hatte, dieß war ihm uner- traͤglich — eine ſo große Beſoldung und ſo wenig dafuͤr thun zu koͤnnen, wollte ſich mit ſeinem Gewiſſen nicht vertragen, und doch war er wie angenagelt, er konnte nicht anders, er mußte aushalten: denn ohne dieſe Beſoldung konnte er nicht leben; bei allem dem fuͤllte nun ſein großer und einziger Grundtrieb, fuͤr den Herrn und ſein Reich allein zu wirken und zu leben — ſein ganzes Weſen; er ſahe und hoͤrte alle Tage, wie weit und breit wohlthaͤtig ſein religioͤſer Wirkungskreis war und den mußte er hintanſetzen, um eines gar unfruchtbaren Broderwerbens willen.
Endlich kam nun noch ein Hauptumſtand zu dem Allen: der Kurfuͤrſt von Heſſen will zwar von ganzem Herzen die Religion unterſtuͤtzen, aber Er hat auch einen Grundſatz, der an und fuͤr ſich ſelbſt ganz richtig iſt, naͤmlich: Jeder Staatsdiener ſoll ſich dem Fach, dem er ſich ein- mal gewidmet hat, ganz widmen — Er ſicht gar nicht gern, wenn Einer zu einem andern Beruf uͤbergeht: nun war aber Stilling in dem Fall, daß er gegen die beiden Theile dieſes Grundſatzes handeln mußte;
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fuͤr eine Million Gulden erbauliche und nuͤtzliche Schriften
unter die gemeinen Leute in England ausgetheilt hatten,
ſchrieben ihm einen herzerhebenden Brief, und munterten ihn
auf, dieſe Anſtalt auch in Deutſchland zu bewerkſtelligen.
Zugleich nahm auch ſeine religioͤſe Korreſpondenz, und nicht
weniger die Praxis ſeiner Augenkuren zu; auf der andern
Seite aber wurde ſein eigentlicher akademiſcher Beruf immer
unfruchtbarer: die deutſche Entſchaͤdigung hatte die Provinzen,
aus denen gewoͤhnlich die Univerſitaͤt Marburg beſucht wurde,
an andere Regenten gebracht, die ſelbſt Univerſitaͤten haben,
wohin alſo nun ihre jungen Leute gehen und da ſtudiren muͤſ-
ſen; die Zahl der Studirenden wurde alſo merklich kleiner,
und wer noch ſtudirte, der wendete ſich zu den Brodſtudien,
zu welchem das Kameralfach nicht gehoͤrt; und endlich wird
man auch auf allen Univerſitaͤten eine Abnahme des Triebs
zum Studiren bemerken: die Urſache davon gehoͤrt nicht hieher.
Genug, Stillings Auditorium wurde immer kleiner, ſo daß
er oft nur zwei bis drei Zuhoͤrer hatte, dieß war ihm uner-
traͤglich — eine ſo große Beſoldung und ſo wenig dafuͤr thun
zu koͤnnen, wollte ſich mit ſeinem Gewiſſen nicht vertragen,
und doch war er wie angenagelt, er konnte nicht anders, er
mußte aushalten: denn ohne dieſe Beſoldung konnte er nicht
leben; bei allem dem fuͤllte nun ſein großer und einziger
Grundtrieb, fuͤr den Herrn und ſein Reich allein zu
wirken und zu leben — ſein ganzes Weſen; er ſahe und
hoͤrte alle Tage, wie weit und breit wohlthaͤtig ſein religioͤſer
Wirkungskreis war und den mußte er hintanſetzen, um eines
gar unfruchtbaren Broderwerbens willen.
Endlich kam nun noch ein Hauptumſtand zu dem Allen:
der Kurfuͤrſt von Heſſen will zwar von ganzem Herzen die
Religion unterſtuͤtzen, aber Er hat auch einen Grundſatz, der
an und fuͤr ſich ſelbſt ganz richtig iſt, naͤmlich: Jeder
Staatsdiener ſoll ſich dem Fach, dem er ſich ein-
mal gewidmet hat, ganz widmen — Er ſicht gar
nicht gern, wenn Einer zu einem andern Beruf
uͤbergeht: nun war aber Stilling in dem Fall, daß er
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/564>, abgerufen am 31.10.2024.
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