auch dieß machte ihm manche traurige Stunde -- sein Kampf war schwer -- aber gerade jetzt fing auch die Vorsehung an, von weitem Anstalten zur Ausführung ihres Plans zu treffen; es ist der Mühe werth, daß ich hier alles mit der genauesten Pünktlichkeit erzähle.
Den 5. Julius dieses 1802. Jahres bekam Stilling von einem, ihm ganz unbekannten armen Handwerksmann, aus einem von Marburg sehr weit entfernten Ort, der auch kein Wort von Stillings Lage wußte und wissen konnte, indem er sie Niemand entdeckte, auch nicht konnte und durfte, einen Brief, in welchem dieser Mann ihm er- zählte, er habe einen merkwürdigen Traum gehabt, in welchem er ihn auf einem großen Felde, auf welchem viele Schätze auf Häufchen umher zerstreut gelegen hätten, hin und her gehend und beschäftigt gesehen; und er habe nun den Auftrag bekommen, ihm zu schreiben, und ihm zu sagen: er solle nun alle diese Schätze beisammen auf einen Hau- fen tragen, dann sich dabei zur Ruhe setzen, und dieses einzigen Schatzes warten.
Stilling hat in seinem ganzen Leben so viele Wirkun- gen des entwickelten Ahnungsvermögens gesehen, gehört und empfunden, auch so viele -- ohne die Theorie vom Ahnungs- vermögen -- unbegreifliche Wahrsagereien hysterischer und hypochondrischer Menschen erlebt, daß er wohl weiß, wohin solche Dinge gemeiniglich gehören, und unter welche Rubrik sie zu bringen sind. Der Inhalt dieses Briefs aber stand so im Einklang mit dem, was in seinem Innern vorging, daß er es unmöglich als eine Sache von ohngefähr ansehen konnte; er schrieb also dem Mann, daß er zwar wohl einsähe, daß die Vereinigung des Mannigfaltigen ins Einfache gut für ihn wäre, aber er müsse von seiner Professur leben, er möchte sich also fer- ner erklären, wie er das meine? Die Antwort war: er solle das der Fügung des Herrn überlassen, der würde es wohl ein- zurichten wissen. Dieser Vorfall brachte in Stillings Ge- müth die erste Ahnung einer nahen Veränderung und Entwick- lung seiner endlichen Bestimmung hervor, und gab ihm nun- mehr die gehörige Richtung, und den Blick auf das für jetzt
auch dieß machte ihm manche traurige Stunde — ſein Kampf war ſchwer — aber gerade jetzt fing auch die Vorſehung an, von weitem Anſtalten zur Ausfuͤhrung ihres Plans zu treffen; es iſt der Muͤhe werth, daß ich hier alles mit der genaueſten Puͤnktlichkeit erzaͤhle.
Den 5. Julius dieſes 1802. Jahres bekam Stilling von einem, ihm ganz unbekannten armen Handwerksmann, aus einem von Marburg ſehr weit entfernten Ort, der auch kein Wort von Stillings Lage wußte und wiſſen konnte, indem er ſie Niemand entdeckte, auch nicht konnte und durfte, einen Brief, in welchem dieſer Mann ihm er- zaͤhlte, er habe einen merkwuͤrdigen Traum gehabt, in welchem er ihn auf einem großen Felde, auf welchem viele Schaͤtze auf Haͤufchen umher zerſtreut gelegen haͤtten, hin und her gehend und beſchaͤftigt geſehen; und er habe nun den Auftrag bekommen, ihm zu ſchreiben, und ihm zu ſagen: er ſolle nun alle dieſe Schaͤtze beiſammen auf einen Hau- fen tragen, dann ſich dabei zur Ruhe ſetzen, und dieſes einzigen Schatzes warten.
Stilling hat in ſeinem ganzen Leben ſo viele Wirkun- gen des entwickelten Ahnungsvermoͤgens geſehen, gehoͤrt und empfunden, auch ſo viele — ohne die Theorie vom Ahnungs- vermoͤgen — unbegreifliche Wahrſagereien hyſteriſcher und hypochondriſcher Menſchen erlebt, daß er wohl weiß, wohin ſolche Dinge gemeiniglich gehoͤren, und unter welche Rubrik ſie zu bringen ſind. Der Inhalt dieſes Briefs aber ſtand ſo im Einklang mit dem, was in ſeinem Innern vorging, daß er es unmoͤglich als eine Sache von ohngefaͤhr anſehen konnte; er ſchrieb alſo dem Mann, daß er zwar wohl einſaͤhe, daß die Vereinigung des Mannigfaltigen ins Einfache gut fuͤr ihn waͤre, aber er muͤſſe von ſeiner Profeſſur leben, er moͤchte ſich alſo fer- ner erklaͤren, wie er das meine? Die Antwort war: er ſolle das der Fuͤgung des Herrn uͤberlaſſen, der wuͤrde es wohl ein- zurichten wiſſen. Dieſer Vorfall brachte in Stillings Ge- muͤth die erſte Ahnung einer nahen Veraͤnderung und Entwick- lung ſeiner endlichen Beſtimmung hervor, und gab ihm nun- mehr die gehoͤrige Richtung, und den Blick auf das fuͤr jetzt
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auch dieß machte ihm manche traurige Stunde — ſein Kampf
war ſchwer — aber gerade jetzt fing auch die Vorſehung
an, von weitem Anſtalten zur Ausfuͤhrung ihres Plans zu
treffen; es iſt der Muͤhe werth, daß ich hier alles mit der
genaueſten Puͤnktlichkeit erzaͤhle.
Den 5. Julius dieſes 1802. Jahres bekam Stilling
von einem, ihm ganz unbekannten armen Handwerksmann,
aus einem von Marburg ſehr weit entfernten Ort, der
auch kein Wort von Stillings Lage wußte und wiſſen
konnte, indem er ſie Niemand entdeckte, auch nicht konnte
und durfte, einen Brief, in welchem dieſer Mann ihm er-
zaͤhlte, er habe einen merkwuͤrdigen Traum gehabt, in welchem
er ihn auf einem großen Felde, auf welchem viele Schaͤtze
auf Haͤufchen umher zerſtreut gelegen haͤtten, hin und her
gehend und beſchaͤftigt geſehen; und er habe nun den Auftrag
bekommen, ihm zu ſchreiben, und ihm zu ſagen: er ſolle
nun alle dieſe Schaͤtze beiſammen auf einen Hau-
fen tragen, dann ſich dabei zur Ruhe ſetzen, und
dieſes einzigen Schatzes warten.
Stilling hat in ſeinem ganzen Leben ſo viele Wirkun-
gen des entwickelten Ahnungsvermoͤgens geſehen, gehoͤrt und
empfunden, auch ſo viele — ohne die Theorie vom Ahnungs-
vermoͤgen — unbegreifliche Wahrſagereien hyſteriſcher und
hypochondriſcher Menſchen erlebt, daß er wohl weiß, wohin
ſolche Dinge gemeiniglich gehoͤren, und unter welche Rubrik
ſie zu bringen ſind. Der Inhalt dieſes Briefs aber ſtand ſo
im Einklang mit dem, was in ſeinem Innern vorging, daß
er es unmoͤglich als eine Sache von ohngefaͤhr anſehen konnte;
er ſchrieb alſo dem Mann, daß er zwar wohl einſaͤhe, daß die
Vereinigung des Mannigfaltigen ins Einfache gut fuͤr ihn waͤre,
aber er muͤſſe von ſeiner Profeſſur leben, er moͤchte ſich alſo fer-
ner erklaͤren, wie er das meine? Die Antwort war: er ſolle
das der Fuͤgung des Herrn uͤberlaſſen, der wuͤrde es wohl ein-
zurichten wiſſen. Dieſer Vorfall brachte in Stillings Ge-
muͤth die erſte Ahnung einer nahen Veraͤnderung und Entwick-
lung ſeiner endlichen Beſtimmung hervor, und gab ihm nun-
mehr die gehoͤrige Richtung, und den Blick auf das fuͤr jetzt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/565>, abgerufen am 22.11.2024.
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