In einigen Tagen kam dann auch die Nachricht von Burg- dorf, daß dort Alles ruhig sey, daher machten sich Stilling und Elise Mittwochs den 29. September auf den Weg: in Liestall operirte er Jemand, zu Leufelfingen speisten sie bei Freundin Flühebacherin, zu Olten fanden sie Freunde und Freundinnen von Aarau, mit denen sie Thee tranken, und zu Aarburg holte sie der würdige Schultheiß Senn von Zofingen ab, bei dem sie übernachten sollten. Als sie nun so in den Abendstunden das herrliche Aarthal hinauf fuhren, und die zum Untergang sich neigende Sonne die ganze Landschaft überstrahlte, so sahe Stilling auf einmal im Südwesten über dem Horizont eine purpurfarbige Lufterschei- nung, prächtig anzusehen; bald entdeckte er, daß es ein Schnee- gebirge, wahrscheinlich die Jungfrau oder das Jungfer- horn war. Wer so Etwas nie gesehen hat, der kann sich auch keine Vorstellung davon machen, es ist eben, als sehe man in eine überirdische Landschaft, ins Reich des Lichts, allein bei diesem Sehen bleibts auch, denn dorthin zu klettern, und da im ewigen Schnee und Eis zu hausen, das möchte wohl eben nicht angenehm seyn. Freund Senn, der in seinem Kabriolet voraus fuhr, drehte sich um, und sagte: welch' eine Ma- jestät Gottes -- ich habe nun die Schneeberge so viel hundertmal beleuchtet gesehen, und doch rührt mich der Anblick noch immer.
Nach einer sehr liebreichen Bewirthung im Sennischen Hause zu Zofingen, fuhren sie des andern Morgens nach Burgdorf, wo sie des Abends um 6 Uhr ankamen, und sich ins Pfarrhaus einlogirten. Die Stadt Burgdorf liegt auf einem Hügel, der einem Sattel ähnlich ist, auf der Spitze gegen Abend steht die Kirche mit dem Pfarrhaus, und auf der Spitze gegen Morgen liegt das Schloß, zwischen beiden Spitzen auf dem Sattel selbst befindet sich die Stadt, die dann wie eine bunte Satteldecke an beiden Seiten hinabhängt; an der Nordseite rast die Emme, ein reißender Waldstrom, vorbei, von beiden Spiz- zen hat man eine vortreffliche Aussicht: gegen Nordwesten den Jura, dort das blaue Gebirge genannt, und im Süden erscheint dann wieder die prächtige Alpenreihe vom Mutterhorn und Schreckhorn an, bis weit über die Jungfrau hinaus.
Stillings sämmtl. Schriften. I. Band. 37
In einigen Tagen kam dann auch die Nachricht von Burg- dorf, daß dort Alles ruhig ſey, daher machten ſich Stilling und Eliſe Mittwochs den 29. September auf den Weg: in Lieſtall operirte er Jemand, zu Leufelfingen ſpeisten ſie bei Freundin Fluͤhebacherin, zu Olten fanden ſie Freunde und Freundinnen von Aarau, mit denen ſie Thee tranken, und zu Aarburg holte ſie der wuͤrdige Schultheiß Senn von Zofingen ab, bei dem ſie uͤbernachten ſollten. Als ſie nun ſo in den Abendſtunden das herrliche Aarthal hinauf fuhren, und die zum Untergang ſich neigende Sonne die ganze Landſchaft uͤberſtrahlte, ſo ſahe Stilling auf einmal im Suͤdweſten uͤber dem Horizont eine purpurfarbige Lufterſchei- nung, praͤchtig anzuſehen; bald entdeckte er, daß es ein Schnee- gebirge, wahrſcheinlich die Jungfrau oder das Jungfer- horn war. Wer ſo Etwas nie geſehen hat, der kann ſich auch keine Vorſtellung davon machen, es iſt eben, als ſehe man in eine uͤberirdiſche Landſchaft, ins Reich des Lichts, allein bei dieſem Sehen bleibts auch, denn dorthin zu klettern, und da im ewigen Schnee und Eis zu hauſen, das moͤchte wohl eben nicht angenehm ſeyn. Freund Senn, der in ſeinem Kabriolet voraus fuhr, drehte ſich um, und ſagte: welch’ eine Ma- jeſtaͤt Gottes — ich habe nun die Schneeberge ſo viel hundertmal beleuchtet geſehen, und doch ruͤhrt mich der Anblick noch immer.
Nach einer ſehr liebreichen Bewirthung im Senniſchen Hauſe zu Zofingen, fuhren ſie des andern Morgens nach Burgdorf, wo ſie des Abends um 6 Uhr ankamen, und ſich ins Pfarrhaus einlogirten. Die Stadt Burgdorf liegt auf einem Huͤgel, der einem Sattel aͤhnlich iſt, auf der Spitze gegen Abend ſteht die Kirche mit dem Pfarrhaus, und auf der Spitze gegen Morgen liegt das Schloß, zwiſchen beiden Spitzen auf dem Sattel ſelbſt befindet ſich die Stadt, die dann wie eine bunte Satteldecke an beiden Seiten hinabhaͤngt; an der Nordſeite rast die Emme, ein reißender Waldſtrom, vorbei, von beiden Spiz- zen hat man eine vortreffliche Ausſicht: gegen Nordweſten den Jura, dort das blaue Gebirge genannt, und im Suͤden erſcheint dann wieder die praͤchtige Alpenreihe vom Mutterhorn und Schreckhorn an, bis weit uͤber die Jungfrau hinaus.
Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band. 37
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dorf, daß dort Alles ruhig ſey, daher machten ſich Stilling
und Eliſe Mittwochs den 29. September auf den Weg: in
Lieſtall operirte er Jemand, zu Leufelfingen ſpeisten ſie
bei Freundin Fluͤhebacherin, zu Olten fanden ſie Freunde
und Freundinnen von Aarau, mit denen ſie Thee tranken,
und zu Aarburg holte ſie der wuͤrdige Schultheiß Senn
von Zofingen ab, bei dem ſie uͤbernachten ſollten. Als ſie
nun ſo in den Abendſtunden das herrliche Aarthal hinauf
fuhren, und die zum Untergang ſich neigende Sonne die ganze
Landſchaft uͤberſtrahlte, ſo ſahe Stilling auf einmal im
Suͤdweſten uͤber dem Horizont eine purpurfarbige Lufterſchei-
nung, praͤchtig anzuſehen; bald entdeckte er, daß es ein Schnee-
gebirge, wahrſcheinlich die Jungfrau oder das Jungfer-
horn war. Wer ſo Etwas nie geſehen hat, der kann ſich
auch keine Vorſtellung davon machen, es iſt eben, als ſehe
man in eine uͤberirdiſche Landſchaft, ins Reich des Lichts,
allein bei dieſem Sehen bleibts auch, denn dorthin zu klettern,
und da im ewigen Schnee und Eis zu hauſen, das moͤchte
wohl eben nicht angenehm ſeyn. Freund Senn, der in ſeinem
Kabriolet voraus fuhr, drehte ſich um, und ſagte: welch’ eine Ma-
jeſtaͤt Gottes — ich habe nun die Schneeberge ſo viel hundertmal
beleuchtet geſehen, und doch ruͤhrt mich der Anblick noch immer.
Nach einer ſehr liebreichen Bewirthung im Senniſchen
Hauſe zu Zofingen, fuhren ſie des andern Morgens nach
Burgdorf, wo ſie des Abends um 6 Uhr ankamen, und
ſich ins Pfarrhaus einlogirten. Die Stadt Burgdorf liegt auf
einem Huͤgel, der einem Sattel aͤhnlich iſt, auf der Spitze gegen
Abend ſteht die Kirche mit dem Pfarrhaus, und auf der Spitze
gegen Morgen liegt das Schloß, zwiſchen beiden Spitzen auf dem
Sattel ſelbſt befindet ſich die Stadt, die dann wie eine bunte
Satteldecke an beiden Seiten hinabhaͤngt; an der Nordſeite rast
die Emme, ein reißender Waldſtrom, vorbei, von beiden Spiz-
zen hat man eine vortreffliche Ausſicht: gegen Nordweſten den
Jura, dort das blaue Gebirge genannt, und im Suͤden erſcheint
dann wieder die praͤchtige Alpenreihe vom Mutterhorn und
Schreckhorn an, bis weit uͤber die Jungfrau hinaus.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/573>, abgerufen am 22.11.2024.
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