nun aber weder das ästhetische Gefühl, noch die Schönheit der Tugend, die durch den Fall Adams verlornen sittlichen Kräfte geben kann, so nimmt unter der Herrschaft der Aufklärung die Sittenlosigkeit unaufhaltbar zu, das Verderben wächst mit be- schleunigter Bewegung, die Menschheit sinkt in die allersinnlo- seste Barbarey zurück, und die göttlichen Gerichte üben strenge und gerechte Rache über ein Volk aus, das alle Mittel zur sitt- lichen Besserung und Veredlung verachtet.
Dagegen beweißt die Erfahrung aller Jahrhunderte an Mi- lionen einzelnen Menschen, daß die altchristliche Glau- benslehre ihre Anhänger zu guten und heiligen Bürgern, Ehe- gatten, Freunden, Eltern und Kindern gebildet habe; die Auf- klärung kann wohl hin und wieder einen honnetten Menschen, und bürgerliche Tugend -- aber doch nur zur Noth -- zu Stande bringen; ein solcher Mensch kann zu Zeiten eine glänzende That ausüben, aber im Verborgenen, völlig unbekannt, aus wahrer Gottes- und Menschenliebe, auch den Feinden, mit Aufopferung, Wohlthaten erzeigen, das ist schlechterdings nur da möglich, wo der Geist Christi herrschend ist.
Nun entsteht aber die höchst wichtige Frage: woher es doch komme, daß solche edle, Wahrheitliebende Män- ner bei allen diesen unzweifelbaren Erfahrungen, denn doch noch immer bei ihrem Aufklärungssy- stem bleiben? Hierauf dient zur Antwort: es gibt zwei Prämissen -- zwei Grundlagen aller religiösen Demon- stration; sind diese Prämissen falsch, so wird auch jede mathe- matisch richtige Beweisführung falsch und unrichtig: und das ist hier gerade der Fall.
Die ganze christliche Glaubenslehre gründet sich auf folgen- den Grundsatz: Gott schuf die ersten Menschen als frei wirkende Wesen, mit der Tendenz zu immer wachsender sittlicher Vollkommenheit, und da- mit in gleichem Schritt gehenden Genuß des höch- sten Gutes; sie ließen sich aber durch ein unbe- kanntes böses Wesen verführen, daß sie ihre Ten- denz zu immer wachsender sinnlichen Vervoll- kommnung, und damit in gleichem Schritt gehen-
nun aber weder das aͤſthetiſche Gefuͤhl, noch die Schoͤnheit der Tugend, die durch den Fall Adams verlornen ſittlichen Kraͤfte geben kann, ſo nimmt unter der Herrſchaft der Aufklaͤrung die Sittenloſigkeit unaufhaltbar zu, das Verderben waͤchst mit be- ſchleunigter Bewegung, die Menſchheit ſinkt in die allerſinnlo- ſeſte Barbarey zuruͤck, und die goͤttlichen Gerichte uͤben ſtrenge und gerechte Rache uͤber ein Volk aus, das alle Mittel zur ſitt- lichen Beſſerung und Veredlung verachtet.
Dagegen beweißt die Erfahrung aller Jahrhunderte an Mi- lionen einzelnen Menſchen, daß die altchriſtliche Glau- benslehre ihre Anhaͤnger zu guten und heiligen Buͤrgern, Ehe- gatten, Freunden, Eltern und Kindern gebildet habe; die Auf- klaͤrung kann wohl hin und wieder einen honnetten Menſchen, und buͤrgerliche Tugend — aber doch nur zur Noth — zu Stande bringen; ein ſolcher Menſch kann zu Zeiten eine glaͤnzende That ausuͤben, aber im Verborgenen, voͤllig unbekannt, aus wahrer Gottes- und Menſchenliebe, auch den Feinden, mit Aufopferung, Wohlthaten erzeigen, das iſt ſchlechterdings nur da moͤglich, wo der Geiſt Chriſti herrſchend iſt.
Nun entſteht aber die hoͤchſt wichtige Frage: woher es doch komme, daß ſolche edle, Wahrheitliebende Maͤn- ner bei allen dieſen unzweifelbaren Erfahrungen, denn doch noch immer bei ihrem Aufklaͤrungsſy- ſtem bleiben? Hierauf dient zur Antwort: es gibt zwei Praͤmiſſen — zwei Grundlagen aller religioͤſen Demon- ſtration; ſind dieſe Praͤmiſſen falſch, ſo wird auch jede mathe- matiſch richtige Beweisfuͤhrung falſch und unrichtig: und das iſt hier gerade der Fall.
Die ganze chriſtliche Glaubenslehre gruͤndet ſich auf folgen- den Grundſatz: Gott ſchuf die erſten Menſchen als frei wirkende Weſen, mit der Tendenz zu immer wachſender ſittlicher Vollkommenheit, und da- mit in gleichem Schritt gehenden Genuß des hoͤch- ſten Gutes; ſie ließen ſich aber durch ein unbe- kanntes boͤſes Weſen verfuͤhren, daß ſie ihre Ten- denz zu immer wachſender ſinnlichen Vervoll- kommnung, und damit in gleichem Schritt gehen-
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nun aber weder das aͤſthetiſche Gefuͤhl, noch die Schoͤnheit der
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Sittenloſigkeit unaufhaltbar zu, das Verderben waͤchst mit be-
ſchleunigter Bewegung, die Menſchheit ſinkt in die allerſinnlo-
ſeſte Barbarey zuruͤck, und die goͤttlichen Gerichte uͤben ſtrenge
und gerechte Rache uͤber ein Volk aus, das alle Mittel zur ſitt-
lichen Beſſerung und Veredlung verachtet.
Dagegen beweißt die Erfahrung aller Jahrhunderte an Mi-
lionen einzelnen Menſchen, daß die altchriſtliche Glau-
benslehre ihre Anhaͤnger zu guten und heiligen Buͤrgern, Ehe-
gatten, Freunden, Eltern und Kindern gebildet habe; die Auf-
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und buͤrgerliche Tugend — aber doch nur zur Noth — zu Stande
bringen; ein ſolcher Menſch kann zu Zeiten eine glaͤnzende That
ausuͤben, aber im Verborgenen, voͤllig unbekannt, aus wahrer
Gottes- und Menſchenliebe, auch den Feinden, mit Aufopferung,
Wohlthaten erzeigen, das iſt ſchlechterdings nur da moͤglich,
wo der Geiſt Chriſti herrſchend iſt.
Nun entſteht aber die hoͤchſt wichtige Frage: woher es doch
komme, daß ſolche edle, Wahrheitliebende Maͤn-
ner bei allen dieſen unzweifelbaren Erfahrungen,
denn doch noch immer bei ihrem Aufklaͤrungsſy-
ſtem bleiben? Hierauf dient zur Antwort: es gibt zwei
Praͤmiſſen — zwei Grundlagen aller religioͤſen Demon-
ſtration; ſind dieſe Praͤmiſſen falſch, ſo wird auch jede mathe-
matiſch richtige Beweisfuͤhrung falſch und unrichtig: und das iſt
hier gerade der Fall.
Die ganze chriſtliche Glaubenslehre gruͤndet ſich auf folgen-
den Grundſatz: Gott ſchuf die erſten Menſchen als
frei wirkende Weſen, mit der Tendenz zu immer
wachſender ſittlicher Vollkommenheit, und da-
mit in gleichem Schritt gehenden Genuß des hoͤch-
ſten Gutes; ſie ließen ſich aber durch ein unbe-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/612>, abgerufen am 24.11.2024.
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