den Genuß der irdischen Güter anwendeten. Die- sen Grundsatz lehrt uns die heilige Schrift; und daß er un- zweifelbar wahr sey, das lehrt uns eine beinahe sechstausendjährige Erfahrung. Hieraus folgt nun unmittelbar:
Wäre der Mensch in seinem natürlichen Zustand geblie- ben, so wäre ihm auch die Befolgung der Sittenlehre natürlich gewesen, sein Kopf hätte sie ihm gesagt, und sein Herz hätte sie befolgt; dann war also die Naturreligion die einzige wahre. In dem gegenwärtigen gefallenen Zustand aber, wo die Sinn- lichkeit allwaltend herrscht, und die sittlichen Kräfte gelähmt sind, kann man von dem schwächern Theil nicht fordern, daß es das Stärkere überwinden soll, folglich ist in der Natur kein Weg zur Erlösung, sondern der Schöpfer muß wiederum ins Mittel treten, wenn die Menschheit gerettet werden soll.
Wer nun auf diese Vordersätze eine richtige logische Demon- stration gegründet, der findet die ganze christliche Heilslehre sehr vernünftig, und die heutige Aufklärung sehr unvernünftig.
Der Grundsatz der Aufklärung aber ist nun folgender: die ganze Schöpfung ist ein zusammenhängendes Ganze, welchem der Schöpfer seine geistigen und physischen Kräfte angeschaffen, und ihnen ihre ewige und unveränderliche Gesetze gegeben hat, nach welchem sie unaufhaltbar wirken; so daß also nun keine göttliche Einwirkung mehr nöthig ist; folglich geht Alles in der ganzen Schöpfung einen unabänderlichen nothwendigen Gang, der das allgemeine Beste aller Wesen zum Zweck hat. Die Menschenklasse ist ein Theil dieses Ganzen, und die ewigen Gesetze der Natur wirken so, daß der freie Wille jedes Menschen bei jeder Hand- lung so gelenkt wird, daß er das thut. Die Sit- tenlehre enthält die Gesetze, nach denen der freie Wille geleitet werden muß. Dieser Grundsatz ist der eigentliche Determinismus, und man mag sich verstecken und verwahren wie man will, bei allen, auch den gemäßigsten Neologen, ist er mehr oder weniger offener oder versteckter, die Grundidee von Allem.
den Genuß der irdiſchen Guͤter anwendeten. Die- ſen Grundſatz lehrt uns die heilige Schrift; und daß er un- zweifelbar wahr ſey, das lehrt uns eine beinahe ſechstauſendjaͤhrige Erfahrung. Hieraus folgt nun unmittelbar:
Waͤre der Menſch in ſeinem natuͤrlichen Zuſtand geblie- ben, ſo waͤre ihm auch die Befolgung der Sittenlehre natuͤrlich geweſen, ſein Kopf haͤtte ſie ihm geſagt, und ſein Herz haͤtte ſie befolgt; dann war alſo die Naturreligion die einzige wahre. In dem gegenwaͤrtigen gefallenen Zuſtand aber, wo die Sinn- lichkeit allwaltend herrſcht, und die ſittlichen Kraͤfte gelaͤhmt ſind, kann man von dem ſchwaͤchern Theil nicht fordern, daß es das Staͤrkere uͤberwinden ſoll, folglich iſt in der Natur kein Weg zur Erloͤſung, ſondern der Schoͤpfer muß wiederum ins Mittel treten, wenn die Menſchheit gerettet werden ſoll.
Wer nun auf dieſe Vorderſaͤtze eine richtige logiſche Demon- ſtration gegruͤndet, der findet die ganze chriſtliche Heilslehre ſehr vernuͤnftig, und die heutige Aufklaͤrung ſehr unvernuͤnftig.
Der Grundſatz der Aufklaͤrung aber iſt nun folgender: die ganze Schoͤpfung iſt ein zuſammenhaͤngendes Ganze, welchem der Schoͤpfer ſeine geiſtigen und phyſiſchen Kraͤfte angeſchaffen, und ihnen ihre ewige und unveraͤnderliche Geſetze gegeben hat, nach welchem ſie unaufhaltbar wirken; ſo daß alſo nun keine goͤttliche Einwirkung mehr noͤthig iſt; folglich geht Alles in der ganzen Schoͤpfung einen unabaͤnderlichen nothwendigen Gang, der das allgemeine Beſte aller Weſen zum Zweck hat. Die Menſchenklaſſe iſt ein Theil dieſes Ganzen, und die ewigen Geſetze der Natur wirken ſo, daß der freie Wille jedes Menſchen bei jeder Hand- lung ſo gelenkt wird, daß er das thut. Die Sit- tenlehre enthaͤlt die Geſetze, nach denen der freie Wille geleitet werden muß. Dieſer Grundſatz iſt der eigentliche Determinismus, und man mag ſich verſtecken und verwahren wie man will, bei allen, auch den gemaͤßigſten Neologen, iſt er mehr oder weniger offener oder verſteckter, die Grundidee von Allem.
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den Genuß der irdiſchen Guͤter anwendeten. Die-
ſen Grundſatz lehrt uns die heilige Schrift; und daß er un-
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Erfahrung. Hieraus folgt nun unmittelbar:
Waͤre der Menſch in ſeinem natuͤrlichen Zuſtand geblie-
ben, ſo waͤre ihm auch die Befolgung der Sittenlehre natuͤrlich
geweſen, ſein Kopf haͤtte ſie ihm geſagt, und ſein Herz haͤtte
ſie befolgt; dann war alſo die Naturreligion die einzige wahre.
In dem gegenwaͤrtigen gefallenen Zuſtand aber, wo die Sinn-
lichkeit allwaltend herrſcht, und die ſittlichen Kraͤfte gelaͤhmt
ſind, kann man von dem ſchwaͤchern Theil nicht fordern, daß
es das Staͤrkere uͤberwinden ſoll, folglich iſt in der Natur kein
Weg zur Erloͤſung, ſondern der Schoͤpfer muß wiederum ins
Mittel treten, wenn die Menſchheit gerettet werden ſoll.
Wer nun auf dieſe Vorderſaͤtze eine richtige logiſche Demon-
ſtration gegruͤndet, der findet die ganze chriſtliche Heilslehre ſehr
vernuͤnftig, und die heutige Aufklaͤrung ſehr unvernuͤnftig.
Der Grundſatz der Aufklaͤrung aber iſt nun folgender: die
ganze Schoͤpfung iſt ein zuſammenhaͤngendes
Ganze, welchem der Schoͤpfer ſeine geiſtigen und
phyſiſchen Kraͤfte angeſchaffen, und ihnen ihre
ewige und unveraͤnderliche Geſetze gegeben hat,
nach welchem ſie unaufhaltbar wirken; ſo daß
alſo nun keine goͤttliche Einwirkung mehr noͤthig
iſt; folglich geht Alles in der ganzen Schoͤpfung
einen unabaͤnderlichen nothwendigen Gang, der
das allgemeine Beſte aller Weſen zum Zweck hat.
Die Menſchenklaſſe iſt ein Theil dieſes Ganzen,
und die ewigen Geſetze der Natur wirken ſo, daß
der freie Wille jedes Menſchen bei jeder Hand-
lung ſo gelenkt wird, daß er das thut. Die Sit-
tenlehre enthaͤlt die Geſetze, nach denen der freie
Wille geleitet werden muß. Dieſer Grundſatz iſt der
eigentliche Determinismus, und man mag ſich verſtecken
und verwahren wie man will, bei allen, auch den gemaͤßigſten
Neologen, iſt er mehr oder weniger offener oder verſteckter,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/613>, abgerufen am 24.11.2024.
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