hörte, in sein Eigenes verwandelte, welches Wilhelmen so wohl gefiel, daß er seine Freude nicht bergen konnte.
Einstmals an einem schönen Herbstabend gingen unsere bei- den Liebhaber des seligen Dortchens in den Ruinen des Schlosses herum, und suchten Schneckenhäuschen, die daselbst sehr häufig waren. Dortchen hatte daran ihre größte Be- lustigung gehabt. Heinrich fand neben einer Mauer unter einem Stein ein Zulegmesserchen mit gelben Buckeln und grü- nen Stiel. Es war noch gar nicht rostig, theils, weil es am Trocknen lag, theils, weil es so bedeckt gelegen, daß es nicht darauf regnen konnte. Heinrich war froh über diesen Fund, lief zu seinem Vater und zeigte es ihm. Wilhelm besah es, wurde blaß, fing an zu schluchzen und zu heulen. Hein- rich erschrack, ihm standen auch schon die Thränen in den Augen, ohne zu wissen warum; auch durfte er nicht fragen. Er drehte das Messer herum, und sah, daß auf der Klinge mit Etzwasser geschrieben stand: Johanna Dorothea Ca- tharina Stilling. Er schrie laut, und lag da, wie ein Todter. Wilhelm hörte sowohl das Lesen des Namens, als auch den lauten Schrei; er setzte sich neben den Knaben, schüttelte an ihm, und suchte ihn wieder zurechte zu bringen. Indem er damit beschäftiget war, ward ihm wohl in seiner Seele; er fand sich getröstet, er nahm den Knaben in seine Arme, drückte ihn an seine Brust, und empfand ein Vergnü- gen, das über Alles ging. Er nahete sich zu Gott, wie zu seinem Freund, und meinte bis in die Herrlichkeit des Him- mels aufgezogen zu seyn und Dortchen unter den Engeln zu sehen. Indeß kam Heinrich wieder zu sich, und fand sich in seines Vaters Armen. Er wußte sich nicht zu besinnen, daß ihn sein Vater jemals in den Armen gehabt. Seine ganze Seele wurde durchdrungen, Thränen der stärksten Empfindung floßen über seine schneeweißen vollen Wangen herab. Vater, habt ihr mich lieb? -- fragte er. Niemals hatte Wilhelm mit seinem Kinde weder gescherzt noch getändelt; daher wußte der Knabe von keinem andern Vater, als einem ernsthaften und strengen Mann, den er fürchten und verehren mußte. Wilhelms Kopf sank Heinrichen auf die Brust; er
hoͤrte, in ſein Eigenes verwandelte, welches Wilhelmen ſo wohl gefiel, daß er ſeine Freude nicht bergen konnte.
Einſtmals an einem ſchoͤnen Herbſtabend gingen unſere bei- den Liebhaber des ſeligen Dortchens in den Ruinen des Schloſſes herum, und ſuchten Schneckenhaͤuschen, die daſelbſt ſehr haͤufig waren. Dortchen hatte daran ihre groͤßte Be- luſtigung gehabt. Heinrich fand neben einer Mauer unter einem Stein ein Zulegmeſſerchen mit gelben Buckeln und gruͤ- nen Stiel. Es war noch gar nicht roſtig, theils, weil es am Trocknen lag, theils, weil es ſo bedeckt gelegen, daß es nicht darauf regnen konnte. Heinrich war froh uͤber dieſen Fund, lief zu ſeinem Vater und zeigte es ihm. Wilhelm beſah es, wurde blaß, fing an zu ſchluchzen und zu heulen. Hein- rich erſchrack, ihm ſtanden auch ſchon die Thraͤnen in den Augen, ohne zu wiſſen warum; auch durfte er nicht fragen. Er drehte das Meſſer herum, und ſah, daß auf der Klinge mit Etzwaſſer geſchrieben ſtand: Johanna Dorothea Ca- tharina Stilling. Er ſchrie laut, und lag da, wie ein Todter. Wilhelm hoͤrte ſowohl das Leſen des Namens, als auch den lauten Schrei; er ſetzte ſich neben den Knaben, ſchuͤttelte an ihm, und ſuchte ihn wieder zurechte zu bringen. Indem er damit beſchaͤftiget war, ward ihm wohl in ſeiner Seele; er fand ſich getroͤſtet, er nahm den Knaben in ſeine Arme, druͤckte ihn an ſeine Bruſt, und empfand ein Vergnuͤ- gen, das uͤber Alles ging. Er nahete ſich zu Gott, wie zu ſeinem Freund, und meinte bis in die Herrlichkeit des Him- mels aufgezogen zu ſeyn und Dortchen unter den Engeln zu ſehen. Indeß kam Heinrich wieder zu ſich, und fand ſich in ſeines Vaters Armen. Er wußte ſich nicht zu beſinnen, daß ihn ſein Vater jemals in den Armen gehabt. Seine ganze Seele wurde durchdrungen, Thraͤnen der ſtaͤrkſten Empfindung floßen uͤber ſeine ſchneeweißen vollen Wangen herab. Vater, habt ihr mich lieb? — fragte er. Niemals hatte Wilhelm mit ſeinem Kinde weder geſcherzt noch getaͤndelt; daher wußte der Knabe von keinem andern Vater, als einem ernſthaften und ſtrengen Mann, den er fuͤrchten und verehren mußte. Wilhelms Kopf ſank Heinrichen auf die Bruſt; er
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hoͤrte, in ſein Eigenes verwandelte, welches Wilhelmen
ſo wohl gefiel, daß er ſeine Freude nicht bergen konnte.
Einſtmals an einem ſchoͤnen Herbſtabend gingen unſere bei-
den Liebhaber des ſeligen Dortchens in den Ruinen des
Schloſſes herum, und ſuchten Schneckenhaͤuschen, die daſelbſt
ſehr haͤufig waren. Dortchen hatte daran ihre groͤßte Be-
luſtigung gehabt. Heinrich fand neben einer Mauer unter
einem Stein ein Zulegmeſſerchen mit gelben Buckeln und gruͤ-
nen Stiel. Es war noch gar nicht roſtig, theils, weil es am
Trocknen lag, theils, weil es ſo bedeckt gelegen, daß es nicht
darauf regnen konnte. Heinrich war froh uͤber dieſen Fund,
lief zu ſeinem Vater und zeigte es ihm. Wilhelm beſah
es, wurde blaß, fing an zu ſchluchzen und zu heulen. Hein-
rich erſchrack, ihm ſtanden auch ſchon die Thraͤnen in den
Augen, ohne zu wiſſen warum; auch durfte er nicht fragen.
Er drehte das Meſſer herum, und ſah, daß auf der Klinge mit
Etzwaſſer geſchrieben ſtand: Johanna Dorothea Ca-
tharina Stilling. Er ſchrie laut, und lag da, wie ein
Todter. Wilhelm hoͤrte ſowohl das Leſen des Namens,
als auch den lauten Schrei; er ſetzte ſich neben den Knaben,
ſchuͤttelte an ihm, und ſuchte ihn wieder zurechte zu bringen.
Indem er damit beſchaͤftiget war, ward ihm wohl in ſeiner
Seele; er fand ſich getroͤſtet, er nahm den Knaben in ſeine
Arme, druͤckte ihn an ſeine Bruſt, und empfand ein Vergnuͤ-
gen, das uͤber Alles ging. Er nahete ſich zu Gott, wie zu
ſeinem Freund, und meinte bis in die Herrlichkeit des Him-
mels aufgezogen zu ſeyn und Dortchen unter den Engeln zu
ſehen. Indeß kam Heinrich wieder zu ſich, und fand ſich
in ſeines Vaters Armen. Er wußte ſich nicht zu beſinnen,
daß ihn ſein Vater jemals in den Armen gehabt. Seine ganze
Seele wurde durchdrungen, Thraͤnen der ſtaͤrkſten Empfindung
floßen uͤber ſeine ſchneeweißen vollen Wangen herab. Vater,
habt ihr mich lieb? — fragte er. Niemals hatte Wilhelm
mit ſeinem Kinde weder geſcherzt noch getaͤndelt; daher wußte
der Knabe von keinem andern Vater, als einem ernſthaften
und ſtrengen Mann, den er fuͤrchten und verehren mußte.
Wilhelms Kopf ſank Heinrichen auf die Bruſt; er
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/80>, abgerufen am 25.11.2024.
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