Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Versuch einer Grundlehre sämmtlicher Kameralwissenschaften. Lautern, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeine
ewig glückselig mache. Daraus folgt aber un-
widersprechlich: daß diejenige Religion
falsch sei, welche den Menschen zeitlich
und ewig unglücklich macht.
Wenn also
der Staatswirth sieht, daß jemand im Staa-
te einen Lehrbegrif hegt, der ihn und andre
zeitlich unglücklich macht, so soll er densel-
ben so bestimmen, daß er auf seinen Neben-
menschen zu wirken unfähig wird; in Ab-
sicht auf die zukünftige Seligkeit aber, soll
er sich begnügen, wenn ein jeder Mensch nur
Gelegenheit hat, seine Begrife zu verbessern.

§. 406. Aus diesem allem ziehe ich nun
den richtigen Schluß: daß die Landespo-
lizei alle Religionen im Staate dulden
müsse, die der zeitlichen Glückseligkeit
des einzelnen Bürgers und des allge-
meinen Staates nicht hinderlich sind,
und daß sie derowegen jeder Kirche un-
ter obiger Einschränkung ihre gänzliche
Religionsfreiheit vergönnen müsse, wenn
sie anders die höchste Glückseligkeit des
Einzelnen und Ganzen befördern will.

§. 407.

Allgemeine
ewig gluͤckſelig mache. Daraus folgt aber un-
widerſprechlich: daß diejenige Religion
falſch ſei, welche den Menſchen zeitlich
und ewig ungluͤcklich macht.
Wenn alſo
der Staatswirth ſieht, daß jemand im Staa-
te einen Lehrbegrif hegt, der ihn und andre
zeitlich ungluͤcklich macht, ſo ſoll er denſel-
ben ſo beſtimmen, daß er auf ſeinen Neben-
menſchen zu wirken unfaͤhig wird; in Ab-
ſicht auf die zukuͤnftige Seligkeit aber, ſoll
er ſich begnuͤgen, wenn ein jeder Menſch nur
Gelegenheit hat, ſeine Begrife zu verbeſſern.

§. 406. Aus dieſem allem ziehe ich nun
den richtigen Schluß: daß die Landespo-
lizei alle Religionen im Staate dulden
muͤſſe, die der zeitlichen Gluͤckſeligkeit
des einzelnen Buͤrgers und des allge-
meinen Staates nicht hinderlich ſind,
und daß ſie derowegen jeder Kirche un-
ter obiger Einſchraͤnkung ihre gaͤnzliche
Religionsfreiheit vergoͤnnen muͤſſe, wenn
ſie anders die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit des
Einzelnen und Ganzen befoͤrdern will.

§. 407.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0222" n="202"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine</hi></fw><lb/>
ewig glu&#x0364;ck&#x017F;elig mache. Daraus folgt aber un-<lb/>
wider&#x017F;prechlich: <hi rendition="#fr">daß diejenige Religion<lb/>
fal&#x017F;ch &#x017F;ei, welche den Men&#x017F;chen zeitlich<lb/>
und ewig unglu&#x0364;cklich macht.</hi> Wenn al&#x017F;o<lb/>
der Staatswirth &#x017F;ieht, daß jemand im Staa-<lb/>
te einen Lehrbegrif hegt, der ihn und andre<lb/><hi rendition="#fr">zeitlich</hi> unglu&#x0364;cklich macht, &#x017F;o &#x017F;oll er den&#x017F;el-<lb/>
ben &#x017F;o be&#x017F;timmen, daß er auf &#x017F;einen Neben-<lb/>
men&#x017F;chen zu wirken unfa&#x0364;hig wird; in Ab-<lb/>
&#x017F;icht auf die zuku&#x0364;nftige Seligkeit aber, &#x017F;oll<lb/>
er &#x017F;ich begnu&#x0364;gen, wenn ein jeder Men&#x017F;ch nur<lb/>
Gelegenheit hat, &#x017F;eine Begrife zu verbe&#x017F;&#x017F;ern.</p><lb/>
            <p>§. 406. Aus die&#x017F;em allem ziehe ich nun<lb/>
den richtigen Schluß: <hi rendition="#fr">daß die Landespo-<lb/>
lizei alle Religionen im Staate dulden<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, die der zeitlichen Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit<lb/>
des einzelnen Bu&#x0364;rgers und des allge-<lb/>
meinen Staates nicht hinderlich &#x017F;ind,<lb/>
und daß &#x017F;ie derowegen jeder Kirche un-<lb/>
ter obiger Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung ihre ga&#x0364;nzliche<lb/>
Religionsfreiheit vergo&#x0364;nnen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, wenn<lb/>
&#x017F;ie anders die ho&#x0364;ch&#x017F;te Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit des<lb/>
Einzelnen und Ganzen befo&#x0364;rdern will.</hi></p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">§. 407.</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0222] Allgemeine ewig gluͤckſelig mache. Daraus folgt aber un- widerſprechlich: daß diejenige Religion falſch ſei, welche den Menſchen zeitlich und ewig ungluͤcklich macht. Wenn alſo der Staatswirth ſieht, daß jemand im Staa- te einen Lehrbegrif hegt, der ihn und andre zeitlich ungluͤcklich macht, ſo ſoll er denſel- ben ſo beſtimmen, daß er auf ſeinen Neben- menſchen zu wirken unfaͤhig wird; in Ab- ſicht auf die zukuͤnftige Seligkeit aber, ſoll er ſich begnuͤgen, wenn ein jeder Menſch nur Gelegenheit hat, ſeine Begrife zu verbeſſern. §. 406. Aus dieſem allem ziehe ich nun den richtigen Schluß: daß die Landespo- lizei alle Religionen im Staate dulden muͤſſe, die der zeitlichen Gluͤckſeligkeit des einzelnen Buͤrgers und des allge- meinen Staates nicht hinderlich ſind, und daß ſie derowegen jeder Kirche un- ter obiger Einſchraͤnkung ihre gaͤnzliche Religionsfreiheit vergoͤnnen muͤſſe, wenn ſie anders die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit des Einzelnen und Ganzen befoͤrdern will. §. 407.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jungstilling_versuch_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jungstilling_versuch_1779/222
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Versuch einer Grundlehre sämmtlicher Kameralwissenschaften. Lautern, 1779, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jungstilling_versuch_1779/222>, abgerufen am 21.11.2024.