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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Viertes Buch.

Als die Nachricht am Morgen des 15. Juni in Madrid eintraf,
war (nach Alvise Corner) ein Jubel, wie nicht seit dem Tage
von Lepanto. Im Palast schickte man sich grade an zum Gang
in die Kapelle; der König ersuchte den Nuntius das Te Deum
zu singen, welches dann auch in allen Kirchen Madrids angestimmt
wurde. Spinola erhielt die grosse Commende von Castilien des
S. Jagoordens. Die Spanier schrieben den Erfolg ihrer "unbe-
sieglichen Macht" zu, und Olivares rief, "dieser Erfolg ist
gegen die Kräfte der ganzen Welt errungen", mit einem Sei-
tenblick auf den venezianischen Gesandten. Diese Auffassung
vergegenwärtigt Calderon's Schauspiel. Die spanischen Haupt-
leute und Mannschaften, ihre wilde Kampflust, ihre Verachtung
andrer Nationen und ihren Ketzerhass, ihren jeder Prüfung stand-
haltenden Humor, konnte nur ein Poet zeichnen, der diese Feld-
züge selbst mitgemacht hatte. Gute Informationen sind darin
verarbeitet, nur die Feldherrn haben zuviel von der schwülstigen
Rhetorik der Don Espadachin. Zu Spinola's Seite steht auch
ein Gonzalo de Cordoba, der Urenkel des gran capitan, die
Namen Bazan, Pimentel werden gebührend verherrlicht; es fehlt
nicht an Ausfällen auf die Italiener und Vläminger (flinflones). In
Wirklichkeit war die Einnahme von Breda ja das Werk italie-
nischer Strategik und Ingenieurkunst, und zum Theil selbst ita-
lienischer Bravour. Denn im Würfelspiel des Kriegs war auch
die einzige grosse blutige Aktion, die Zurückweisung der letzten
ernstlichen Bedrohung dieses Meisterwerks der Belagerungskunst
durch Heinrich Friedrich, den Italienern unter Carlo Roma allein
zugefallen. In Spanien vergisst man immer, wenn man von der
militärischen Befähigung der Italiener abschätzig redet, wie viel
von eignen Erfolgen auf Rechnung der Neapolitaner und Lom-
barden kommt. Diese Nation, sagt Vendramin (Relation von 1595),
hat für sich allein nie Glück gehabt, nur mit andern hat sie sich
gut bewährt. --

Bereits im Anfang der dreissiger Jahre befanden sich zwei
sehr grosse, ebenfalls topographisch-fachmässige Darstellungen, im
Palast. In der einen, im "Sommer-Geschäftszimmer des Königs"
aufgestellt, stand der Marques de Leganes einen Zettel mit der
Beschreibung in der Hand; die andere zeigte im Vordergrund
den Besuch der Statthalterin Infantin Isabella nach der Ueber-

vees apres avoir ete cachees plus de 30 ans. M. Thausing, Wiener Kunstbriefe.
Wien 1884. S. 122 ff.
Viertes Buch.

Als die Nachricht am Morgen des 15. Juni in Madrid eintraf,
war (nach Alvise Corner) ein Jubel, wie nicht seit dem Tage
von Lepanto. Im Palast schickte man sich grade an zum Gang
in die Kapelle; der König ersuchte den Nuntius das Te Deum
zu singen, welches dann auch in allen Kirchen Madrids angestimmt
wurde. Spinola erhielt die grosse Commende von Castilien des
S. Jagoordens. Die Spanier schrieben den Erfolg ihrer „unbe-
sieglichen Macht“ zu, und Olivares rief, „dieser Erfolg ist
gegen die Kräfte der ganzen Welt errungen“, mit einem Sei-
tenblick auf den venezianischen Gesandten. Diese Auffassung
vergegenwärtigt Calderon’s Schauspiel. Die spanischen Haupt-
leute und Mannschaften, ihre wilde Kampflust, ihre Verachtung
andrer Nationen und ihren Ketzerhass, ihren jeder Prüfung stand-
haltenden Humor, konnte nur ein Poet zeichnen, der diese Feld-
züge selbst mitgemacht hatte. Gute Informationen sind darin
verarbeitet, nur die Feldherrn haben zuviel von der schwülstigen
Rhetorik der Don Espadachin. Zu Spinola’s Seite steht auch
ein Gonzalo de Cordoba, der Urenkel des gran capitan, die
Namen Bazan, Pimentel werden gebührend verherrlicht; es fehlt
nicht an Ausfällen auf die Italiener und Vläminger (flinflones). In
Wirklichkeit war die Einnahme von Breda ja das Werk italie-
nischer Strategik und Ingenieurkunst, und zum Theil selbst ita-
lienischer Bravour. Denn im Würfelspiel des Kriegs war auch
die einzige grosse blutige Aktion, die Zurückweisung der letzten
ernstlichen Bedrohung dieses Meisterwerks der Belagerungskunst
durch Heinrich Friedrich, den Italienern unter Carlo Romá allein
zugefallen. In Spanien vergisst man immer, wenn man von der
militärischen Befähigung der Italiener abschätzig redet, wie viel
von eignen Erfolgen auf Rechnung der Neapolitaner und Lom-
barden kommt. Diese Nation, sagt Vendramin (Relation von 1595),
hat für sich allein nie Glück gehabt, nur mit andern hat sie sich
gut bewährt. —

Bereits im Anfang der dreissiger Jahre befanden sich zwei
sehr grosse, ebenfalls topographisch-fachmässige Darstellungen, im
Palast. In der einen, im „Sommer-Geschäftszimmer des Königs“
aufgestellt, stand der Marques de Leganés einen Zettel mit der
Beschreibung in der Hand; die andere zeigte im Vordergrund
den Besuch der Statthalterin Infantin Isabella nach der Ueber-

vées après avoir été cachées plus de 30 ans. M. Thausing, Wiener Kunstbriefe.
Wien 1884. S. 122 ff.
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[358/0384] Viertes Buch. Als die Nachricht am Morgen des 15. Juni in Madrid eintraf, war (nach Alvise Corner) ein Jubel, wie nicht seit dem Tage von Lepanto. Im Palast schickte man sich grade an zum Gang in die Kapelle; der König ersuchte den Nuntius das Te Deum zu singen, welches dann auch in allen Kirchen Madrids angestimmt wurde. Spinola erhielt die grosse Commende von Castilien des S. Jagoordens. Die Spanier schrieben den Erfolg ihrer „unbe- sieglichen Macht“ zu, und Olivares rief, „dieser Erfolg ist gegen die Kräfte der ganzen Welt errungen“, mit einem Sei- tenblick auf den venezianischen Gesandten. Diese Auffassung vergegenwärtigt Calderon’s Schauspiel. Die spanischen Haupt- leute und Mannschaften, ihre wilde Kampflust, ihre Verachtung andrer Nationen und ihren Ketzerhass, ihren jeder Prüfung stand- haltenden Humor, konnte nur ein Poet zeichnen, der diese Feld- züge selbst mitgemacht hatte. Gute Informationen sind darin verarbeitet, nur die Feldherrn haben zuviel von der schwülstigen Rhetorik der Don Espadachin. Zu Spinola’s Seite steht auch ein Gonzalo de Cordoba, der Urenkel des gran capitan, die Namen Bazan, Pimentel werden gebührend verherrlicht; es fehlt nicht an Ausfällen auf die Italiener und Vläminger (flinflones). In Wirklichkeit war die Einnahme von Breda ja das Werk italie- nischer Strategik und Ingenieurkunst, und zum Theil selbst ita- lienischer Bravour. Denn im Würfelspiel des Kriegs war auch die einzige grosse blutige Aktion, die Zurückweisung der letzten ernstlichen Bedrohung dieses Meisterwerks der Belagerungskunst durch Heinrich Friedrich, den Italienern unter Carlo Romá allein zugefallen. In Spanien vergisst man immer, wenn man von der militärischen Befähigung der Italiener abschätzig redet, wie viel von eignen Erfolgen auf Rechnung der Neapolitaner und Lom- barden kommt. Diese Nation, sagt Vendramin (Relation von 1595), hat für sich allein nie Glück gehabt, nur mit andern hat sie sich gut bewährt. — Bereits im Anfang der dreissiger Jahre befanden sich zwei sehr grosse, ebenfalls topographisch-fachmässige Darstellungen, im Palast. In der einen, im „Sommer-Geschäftszimmer des Königs“ aufgestellt, stand der Marques de Leganés einen Zettel mit der Beschreibung in der Hand; die andere zeigte im Vordergrund den Besuch der Statthalterin Infantin Isabella nach der Ueber- 2) 2) vées après avoir été cachées plus de 30 ans. M. Thausing, Wiener Kunstbriefe. Wien 1884. S. 122 ff.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/384>, abgerufen am 18.06.2024.