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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779.

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Kämpfers Geschichte von Japan. Fünftes Buch.
wir eben durch viele dergleichen Bisam-Felder, nach einer halben Meile einen Handweiser
und bald darauf ein weitläuftiges Dorf an, wo man feine Bisenmatten auf den Kauf zu
machen pflegte. Die kleinen Gebirge und Hügel endigten sich linker Hand auf eine halbe,
rechter Hand aber auf zwei Meilen almählig in eine Ebene. Weil von dem kleinen Städt-
chen Mitsiki, das den Namen, wie man sagt, mit der That hat, weil es sehr lang ist,
und wo wir nach einer halben oder drei viertel Meilen eintrafen, der schöne Weg durch das
Regenwetter schlüpfrig geworden war, so ließen wir uns durch etliche Dörfer und kleine
Städte bis ins Dorf Tenrju und ferner bis zu dem nur schlechtweg so genanten großen Flus
in Cangos tragen, über denselben uns mit Prahmen setzen, und alsdenn wiederum in Can-
gos bis kurz vor Abend in die Stadt Famma matz bringen.

Diesseits Misisakka fiel uns ein junger Betler an, der nakt und blos war, und
weiter nichts als eine kurze Strohschürze um den Leib, in der Hand aber einen mit vielen
Papieren behangenen Spies hatte, außerdem auch einen hölzernen Kram mit vielen Bil-
dern von Heiligen und Helden vor sich trug. Vor der kleinen Vorstadt von Mitsiki, wor-
innen es viel lüderliches Weibsvelk giebt, lag ein vom Plazregen durch und durch geweichter
mit dem Tode ringender Pfaffe im freien Felde auf dem Gesichte, der gleichwol noch zum
Zeichen seines Lebens einigen Laut von sich hören lies, damit man ihn nicht für eine Leiche
halten und übel behandeln möchte; ein Anblik, darüber sich ein Stein hätte erbarmen mö-
gen, der aber den Japanern ganz gleichgültig war. Unser höfliche Wirth aus Mitsiki lag
vor der Stadt im Herabgehen des Berges, uns nochmals seine Achtung zu bezeugen, mit
den Händen im Regen auf der nassen Erde, sein Haupt hatte er entblößt und seinen Som-
breiro neben sich. Zu Famma matz erzählte man uns ganz was sonderbares von einem
Jsjepilgrim: es hatte derselbe die Freiheit zu seiner Fahrt von dem Landesherrn seiner Pro-
vinz erhalten, gleich wie er aber die erforderliche Keuschheit bei einer so heiligen Handlung
aus den Augen gesezt, und sich unter Wegs mit einer öffentlichen Weibsperson in eine fleisch-
liche Vermischung eingelassen, so lag er in eben dieser Stellung nun schon seit 14 Tagen in
einem Pfaffenhause feste, ohne daß durch irgend ein Mittel eine solche strafbare Umar-
mung zu trennen gewesen wäre; es wurde dieses Paar so wohl von seinen Freunden und
Bekandten als tausend andern Zuschauern in Augenschein genommen, dabei man denn ge-
wahr worden, daß die Untertheile des Leibes schon nicht mehr vereinigt, die Obertheile hin-
gegen noch feste an einander gewesen. Jch bot am folgenden Tage einen Cupan, um es
zu sehen, man wolte aber nicht, sondern sagte, die Menge Pfaffen mit ihren Korallen-
kränzen hätten das Paar endlich losgebätet. Die Japaner sind abergläubig genug, um
zu behaupten, daß bei den Jsjepilgrims sich ein solcher Zufal jährlich ereignen müsse.

Uebrigens waren heute disseit der Gebirge die ergiebigsten Reis- und Kornäcker,
(denn jenseit auf zwei Meilen von dem gefährlichen Flusse ist das Land grandig, steinig

und

Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Fuͤnftes Buch.
wir eben durch viele dergleichen Biſam-Felder, nach einer halben Meile einen Handweiſer
und bald darauf ein weitlaͤuftiges Dorf an, wo man feine Biſenmatten auf den Kauf zu
machen pflegte. Die kleinen Gebirge und Huͤgel endigten ſich linker Hand auf eine halbe,
rechter Hand aber auf zwei Meilen almaͤhlig in eine Ebene. Weil von dem kleinen Staͤdt-
chen Mitſiki, das den Namen, wie man ſagt, mit der That hat, weil es ſehr lang iſt,
und wo wir nach einer halben oder drei viertel Meilen eintrafen, der ſchoͤne Weg durch das
Regenwetter ſchluͤpfrig geworden war, ſo ließen wir uns durch etliche Doͤrfer und kleine
Staͤdte bis ins Dorf Tenrju und ferner bis zu dem nur ſchlechtweg ſo genanten großen Flus
in Cangos tragen, uͤber denſelben uns mit Prahmen ſetzen, und alsdenn wiederum in Can-
gos bis kurz vor Abend in die Stadt Famma matz bringen.

Dieſſeits Miſiſakka fiel uns ein junger Betler an, der nakt und blos war, und
weiter nichts als eine kurze Strohſchuͤrze um den Leib, in der Hand aber einen mit vielen
Papieren behangenen Spies hatte, außerdem auch einen hoͤlzernen Kram mit vielen Bil-
dern von Heiligen und Helden vor ſich trug. Vor der kleinen Vorſtadt von Mitſiki, wor-
innen es viel luͤderliches Weibsvelk giebt, lag ein vom Plazregen durch und durch geweichter
mit dem Tode ringender Pfaffe im freien Felde auf dem Geſichte, der gleichwol noch zum
Zeichen ſeines Lebens einigen Laut von ſich hoͤren lies, damit man ihn nicht fuͤr eine Leiche
halten und uͤbel behandeln moͤchte; ein Anblik, daruͤber ſich ein Stein haͤtte erbarmen moͤ-
gen, der aber den Japanern ganz gleichguͤltig war. Unſer hoͤfliche Wirth aus Mitſiki lag
vor der Stadt im Herabgehen des Berges, uns nochmals ſeine Achtung zu bezeugen, mit
den Haͤnden im Regen auf der naſſen Erde, ſein Haupt hatte er entbloͤßt und ſeinen Som-
breiro neben ſich. Zu Famma matz erzaͤhlte man uns ganz was ſonderbares von einem
Jſjepilgrim: es hatte derſelbe die Freiheit zu ſeiner Fahrt von dem Landesherrn ſeiner Pro-
vinz erhalten, gleich wie er aber die erforderliche Keuſchheit bei einer ſo heiligen Handlung
aus den Augen geſezt, und ſich unter Wegs mit einer oͤffentlichen Weibsperſon in eine fleiſch-
liche Vermiſchung eingelaſſen, ſo lag er in eben dieſer Stellung nun ſchon ſeit 14 Tagen in
einem Pfaffenhauſe feſte, ohne daß durch irgend ein Mittel eine ſolche ſtrafbare Umar-
mung zu trennen geweſen waͤre; es wurde dieſes Paar ſo wohl von ſeinen Freunden und
Bekandten als tauſend andern Zuſchauern in Augenſchein genommen, dabei man denn ge-
wahr worden, daß die Untertheile des Leibes ſchon nicht mehr vereinigt, die Obertheile hin-
gegen noch feſte an einander geweſen. Jch bot am folgenden Tage einen Cupan, um es
zu ſehen, man wolte aber nicht, ſondern ſagte, die Menge Pfaffen mit ihren Korallen-
kraͤnzen haͤtten das Paar endlich losgebaͤtet. Die Japaner ſind aberglaͤubig genug, um
zu behaupten, daß bei den Jſjepilgrims ſich ein ſolcher Zufal jaͤhrlich ereignen muͤſſe.

Uebrigens waren heute diſſeit der Gebirge die ergiebigſten Reis- und Kornaͤcker,
(denn jenſeit auf zwei Meilen von dem gefaͤhrlichen Fluſſe iſt das Land grandig, ſteinig

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[296/0336] Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Fuͤnftes Buch. wir eben durch viele dergleichen Biſam-Felder, nach einer halben Meile einen Handweiſer und bald darauf ein weitlaͤuftiges Dorf an, wo man feine Biſenmatten auf den Kauf zu machen pflegte. Die kleinen Gebirge und Huͤgel endigten ſich linker Hand auf eine halbe, rechter Hand aber auf zwei Meilen almaͤhlig in eine Ebene. Weil von dem kleinen Staͤdt- chen Mitſiki, das den Namen, wie man ſagt, mit der That hat, weil es ſehr lang iſt, und wo wir nach einer halben oder drei viertel Meilen eintrafen, der ſchoͤne Weg durch das Regenwetter ſchluͤpfrig geworden war, ſo ließen wir uns durch etliche Doͤrfer und kleine Staͤdte bis ins Dorf Tenrju und ferner bis zu dem nur ſchlechtweg ſo genanten großen Flus in Cangos tragen, uͤber denſelben uns mit Prahmen ſetzen, und alsdenn wiederum in Can- gos bis kurz vor Abend in die Stadt Famma matz bringen. Dieſſeits Miſiſakka fiel uns ein junger Betler an, der nakt und blos war, und weiter nichts als eine kurze Strohſchuͤrze um den Leib, in der Hand aber einen mit vielen Papieren behangenen Spies hatte, außerdem auch einen hoͤlzernen Kram mit vielen Bil- dern von Heiligen und Helden vor ſich trug. Vor der kleinen Vorſtadt von Mitſiki, wor- innen es viel luͤderliches Weibsvelk giebt, lag ein vom Plazregen durch und durch geweichter mit dem Tode ringender Pfaffe im freien Felde auf dem Geſichte, der gleichwol noch zum Zeichen ſeines Lebens einigen Laut von ſich hoͤren lies, damit man ihn nicht fuͤr eine Leiche halten und uͤbel behandeln moͤchte; ein Anblik, daruͤber ſich ein Stein haͤtte erbarmen moͤ- gen, der aber den Japanern ganz gleichguͤltig war. Unſer hoͤfliche Wirth aus Mitſiki lag vor der Stadt im Herabgehen des Berges, uns nochmals ſeine Achtung zu bezeugen, mit den Haͤnden im Regen auf der naſſen Erde, ſein Haupt hatte er entbloͤßt und ſeinen Som- breiro neben ſich. Zu Famma matz erzaͤhlte man uns ganz was ſonderbares von einem Jſjepilgrim: es hatte derſelbe die Freiheit zu ſeiner Fahrt von dem Landesherrn ſeiner Pro- vinz erhalten, gleich wie er aber die erforderliche Keuſchheit bei einer ſo heiligen Handlung aus den Augen geſezt, und ſich unter Wegs mit einer oͤffentlichen Weibsperſon in eine fleiſch- liche Vermiſchung eingelaſſen, ſo lag er in eben dieſer Stellung nun ſchon ſeit 14 Tagen in einem Pfaffenhauſe feſte, ohne daß durch irgend ein Mittel eine ſolche ſtrafbare Umar- mung zu trennen geweſen waͤre; es wurde dieſes Paar ſo wohl von ſeinen Freunden und Bekandten als tauſend andern Zuſchauern in Augenſchein genommen, dabei man denn ge- wahr worden, daß die Untertheile des Leibes ſchon nicht mehr vereinigt, die Obertheile hin- gegen noch feſte an einander geweſen. Jch bot am folgenden Tage einen Cupan, um es zu ſehen, man wolte aber nicht, ſondern ſagte, die Menge Pfaffen mit ihren Korallen- kraͤnzen haͤtten das Paar endlich losgebaͤtet. Die Japaner ſind aberglaͤubig genug, um zu behaupten, daß bei den Jſjepilgrims ſich ein ſolcher Zufal jaͤhrlich ereignen muͤſſe. Uebrigens waren heute diſſeit der Gebirge die ergiebigſten Reis- und Kornaͤcker, (denn jenſeit auf zwei Meilen von dem gefaͤhrlichen Fluſſe iſt das Land grandig, ſteinig und

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/336>, abgerufen am 24.11.2024.