Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite
I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik
VI.
Ueber die Postulate
der reinen practischen Vernunft überhaupt.

Sie gehen alle vom Grundsatze der Moralität aus,
der kein Postulat, sondern ein Gesetz ist, durch welches
Vernunft mittelbar den Willen bestimmt, welcher Wille
eben dadurch, daß er so bestimmt ist, als reiner Wille,
diese nothwendige Bedingungen der Befolgung seiner
Vorschrift fodert. Diese Postulate sind nicht theoreti-
sche Dogmata, sondern Voraussetzungen in nothwen-
dig practischer Rücksicht, erweitern also zwar das spe-
culative Erkenntniß, geben aber den Ideen der specu-
lativen
Vernunft im Allgemeinen (vermittelst ihrer
Beziehung aufs Practische) objective Realität, und be-
rechtigen sie zu Begriffen, deren Möglichkeit auch nur
zu behaupten sie sich sonst nicht anmaaßen könnte.

Diese Postulate sind die der Unsterblichkeit, der
Freyheit, positiv betrachtet, (als der Causalität eines
Wesens, so fern es zur intelligibelen Welt gehört,) und
des Daseyns Gottes. Das erste fließt aus der pra-
ctisch nothwendigen Bedingung der Angemessenheit der
Dauer zur Vollständigkeit der Erfüllung des moralischen
Gesetzes; das zweyte aus der nothwendigen Voraus-
setzung der Unabhängigkeit von der Sinnenwelt und des
Vermögens der Bestimmung seines Willens, nach dem

Ge-
I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik
VI.
Ueber die Poſtulate
der reinen practiſchen Vernunft uͤberhaupt.

Sie gehen alle vom Grundſatze der Moralitaͤt aus,
der kein Poſtulat, ſondern ein Geſetz iſt, durch welches
Vernunft mittelbar den Willen beſtimmt, welcher Wille
eben dadurch, daß er ſo beſtimmt iſt, als reiner Wille,
dieſe nothwendige Bedingungen der Befolgung ſeiner
Vorſchrift fodert. Dieſe Poſtulate ſind nicht theoreti-
ſche Dogmata, ſondern Vorausſetzungen in nothwen-
dig practiſcher Ruͤckſicht, erweitern alſo zwar das ſpe-
culative Erkenntniß, geben aber den Ideen der ſpecu-
lativen
Vernunft im Allgemeinen (vermittelſt ihrer
Beziehung aufs Practiſche) objective Realitaͤt, und be-
rechtigen ſie zu Begriffen, deren Moͤglichkeit auch nur
zu behaupten ſie ſich ſonſt nicht anmaaßen koͤnnte.

Dieſe Poſtulate ſind die der Unſterblichkeit, der
Freyheit, poſitiv betrachtet, (als der Cauſalitaͤt eines
Weſens, ſo fern es zur intelligibelen Welt gehoͤrt,) und
des Daſeyns Gottes. Das erſte fließt aus der pra-
ctiſch nothwendigen Bedingung der Angemeſſenheit der
Dauer zur Vollſtaͤndigkeit der Erfuͤllung des moraliſchen
Geſetzes; das zweyte aus der nothwendigen Voraus-
ſetzung der Unabhaͤngigkeit von der Sinnenwelt und des
Vermoͤgens der Beſtimmung ſeines Willens, nach dem

Ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0246" n="238"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> B. <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t. Von der Dialectik</fw><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VI.</hi><lb/><hi rendition="#g">Ueber die Po&#x017F;tulate</hi><lb/>
der reinen practi&#x017F;chen Vernunft u&#x0364;berhaupt.</hi> </head><lb/>
              <p><hi rendition="#in">S</hi>ie gehen alle vom Grund&#x017F;atze der Moralita&#x0364;t aus,<lb/>
der kein Po&#x017F;tulat, &#x017F;ondern ein Ge&#x017F;etz i&#x017F;t, durch welches<lb/>
Vernunft mittelbar den Willen be&#x017F;timmt, welcher Wille<lb/>
eben dadurch, daß er &#x017F;o be&#x017F;timmt i&#x017F;t, als reiner Wille,<lb/>
die&#x017F;e nothwendige Bedingungen der Befolgung &#x017F;einer<lb/>
Vor&#x017F;chrift fodert. Die&#x017F;e Po&#x017F;tulate &#x017F;ind nicht theoreti-<lb/>
&#x017F;che Dogmata, &#x017F;ondern <hi rendition="#fr">Voraus&#x017F;etzungen</hi> in nothwen-<lb/>
dig practi&#x017F;cher Ru&#x0364;ck&#x017F;icht, erweitern al&#x017F;o zwar das &#x017F;pe-<lb/>
culative Erkenntniß, geben aber den Ideen der <choice><sic>&#x017F;peeu-<lb/>
lativen</sic><corr>&#x017F;pecu-<lb/>
lativen</corr></choice> Vernunft <hi rendition="#fr">im Allgemeinen</hi> (vermittel&#x017F;t ihrer<lb/>
Beziehung aufs Practi&#x017F;che) objective Realita&#x0364;t, und be-<lb/>
rechtigen &#x017F;ie zu Begriffen, deren Mo&#x0364;glichkeit auch nur<lb/>
zu behaupten &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;on&#x017F;t nicht anmaaßen ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
              <p>Die&#x017F;e Po&#x017F;tulate &#x017F;ind die der <hi rendition="#fr">Un&#x017F;terblichkeit,</hi> der<lb/><hi rendition="#fr">Freyheit,</hi> po&#x017F;itiv betrachtet, (als der Cau&#x017F;alita&#x0364;t eines<lb/>
We&#x017F;ens, &#x017F;o fern es zur intelligibelen Welt geho&#x0364;rt,) und<lb/>
des <hi rendition="#fr">Da&#x017F;eyns Gottes.</hi> Das <hi rendition="#fr">er&#x017F;te</hi> fließt aus der pra-<lb/>
cti&#x017F;ch nothwendigen Bedingung der Angeme&#x017F;&#x017F;enheit der<lb/>
Dauer zur Voll&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit der Erfu&#x0364;llung des morali&#x017F;chen<lb/>
Ge&#x017F;etzes; das <hi rendition="#fr">zweyte</hi> aus der nothwendigen Voraus-<lb/>
&#x017F;etzung der Unabha&#x0364;ngigkeit von der Sinnenwelt und des<lb/>
Vermo&#x0364;gens der Be&#x017F;timmung &#x017F;eines Willens, nach dem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ge-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0246] I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik VI. Ueber die Poſtulate der reinen practiſchen Vernunft uͤberhaupt. Sie gehen alle vom Grundſatze der Moralitaͤt aus, der kein Poſtulat, ſondern ein Geſetz iſt, durch welches Vernunft mittelbar den Willen beſtimmt, welcher Wille eben dadurch, daß er ſo beſtimmt iſt, als reiner Wille, dieſe nothwendige Bedingungen der Befolgung ſeiner Vorſchrift fodert. Dieſe Poſtulate ſind nicht theoreti- ſche Dogmata, ſondern Vorausſetzungen in nothwen- dig practiſcher Ruͤckſicht, erweitern alſo zwar das ſpe- culative Erkenntniß, geben aber den Ideen der ſpecu- lativen Vernunft im Allgemeinen (vermittelſt ihrer Beziehung aufs Practiſche) objective Realitaͤt, und be- rechtigen ſie zu Begriffen, deren Moͤglichkeit auch nur zu behaupten ſie ſich ſonſt nicht anmaaßen koͤnnte. Dieſe Poſtulate ſind die der Unſterblichkeit, der Freyheit, poſitiv betrachtet, (als der Cauſalitaͤt eines Weſens, ſo fern es zur intelligibelen Welt gehoͤrt,) und des Daſeyns Gottes. Das erſte fließt aus der pra- ctiſch nothwendigen Bedingung der Angemeſſenheit der Dauer zur Vollſtaͤndigkeit der Erfuͤllung des moraliſchen Geſetzes; das zweyte aus der nothwendigen Voraus- ſetzung der Unabhaͤngigkeit von der Sinnenwelt und des Vermoͤgens der Beſtimmung ſeines Willens, nach dem Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/246
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/246>, abgerufen am 21.11.2024.