Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst.
ganz unbestimt und zufällig, ob sie auch associabel wären;
und in dem Falle, daß sie es nicht wären, so würde eine
Menge Wahrnehmungen, und auch wohl eine ganze Sinn-
lichkeit möglich seyn, in welcher viel empirisches Bewust-
seyn in meinem Gemüth anzutreffen wäre, aber getrent,
und ohne daß es zu einem Bewustseyn meiner selbst ge-
hörete, welches aber unmöglich ist. Denn nur dadurch,
daß ich alle Wahrnehmungen zu einem Bewustseyn (der
ursprünglichen Apperception) zehle, kan ich bey allen Wahr-
nehmungen sagen: daß ich mir ihrer bewust sey. Es
muß also ein obiectiver, d. i. vor allen empirischen Gese-
tzen der Einbildungskraft a priori einzusehender Grund
seyn, worauf die Möglichkeit, ia sogar die Nothwendig-
keit eines durch alle Erscheinungen sich erstreckenden Ge-
setzes beruht, sie nemlich durchgängig als solche Data der
Sinne anzusehen, welche an sich associabel, und allgemei-
nen Regeln einer durchgängigen Verknüpfung in der Re-
production unterworfen seyn. Diesen obiectiven Grund
aller Association der Erscheinungen nenne ich die Affinität
derselben. Diesen können wir aber nirgends anders, als
in dem Grundsatze von der Einheit der Apperception, in
Ansehung aller Erkentnisse, die mir angehören sollen, an-
treffen. Nach diesem müssen durchaus alle Erscheinungen,
so ins Gemüth kommen, oder apprehendirt werden, daß
sie zur Einheit der Apperception zusammenstimmen, wel-
ches, ohne synthetische Einheit in ihrer Verknüpfung, die
mithin auch obiectiv nothwendig ist, unmöglich seyn würde.


Die

Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt.
ganz unbeſtimt und zufaͤllig, ob ſie auch aſſociabel waͤren;
und in dem Falle, daß ſie es nicht waͤren, ſo wuͤrde eine
Menge Wahrnehmungen, und auch wohl eine ganze Sinn-
lichkeit moͤglich ſeyn, in welcher viel empiriſches Bewuſt-
ſeyn in meinem Gemuͤth anzutreffen waͤre, aber getrent,
und ohne daß es zu einem Bewuſtſeyn meiner ſelbſt ge-
hoͤrete, welches aber unmoͤglich iſt. Denn nur dadurch,
daß ich alle Wahrnehmungen zu einem Bewuſtſeyn (der
urſpruͤnglichen Apperception) zehle, kan ich bey allen Wahr-
nehmungen ſagen: daß ich mir ihrer bewuſt ſey. Es
muß alſo ein obiectiver, d. i. vor allen empiriſchen Geſe-
tzen der Einbildungskraft a priori einzuſehender Grund
ſeyn, worauf die Moͤglichkeit, ia ſogar die Nothwendig-
keit eines durch alle Erſcheinungen ſich erſtreckenden Ge-
ſetzes beruht, ſie nemlich durchgaͤngig als ſolche Data der
Sinne anzuſehen, welche an ſich aſſociabel, und allgemei-
nen Regeln einer durchgaͤngigen Verknuͤpfung in der Re-
production unterworfen ſeyn. Dieſen obiectiven Grund
aller Aſſociation der Erſcheinungen nenne ich die Affinitaͤt
derſelben. Dieſen koͤnnen wir aber nirgends anders, als
in dem Grundſatze von der Einheit der Apperception, in
Anſehung aller Erkentniſſe, die mir angehoͤren ſollen, an-
treffen. Nach dieſem muͤſſen durchaus alle Erſcheinungen,
ſo ins Gemuͤth kommen, oder apprehendirt werden, daß
ſie zur Einheit der Apperception zuſammenſtimmen, wel-
ches, ohne ſynthetiſche Einheit in ihrer Verknuͤpfung, die
mithin auch obiectiv nothwendig iſt, unmoͤglich ſeyn wuͤrde.


Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0152" n="122"/><fw place="top" type="header">Elementarl. <hi rendition="#aq">II.</hi> Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> Abth. <hi rendition="#aq">I.</hi> Buch. <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t.</fw><lb/>
ganz unbe&#x017F;timt und zufa&#x0364;llig, ob &#x017F;ie auch a&#x017F;&#x017F;ociabel wa&#x0364;ren;<lb/>
und in dem Falle, daß &#x017F;ie es nicht wa&#x0364;ren, &#x017F;o wu&#x0364;rde eine<lb/>
Menge Wahrnehmungen, und auch wohl eine ganze Sinn-<lb/>
lichkeit mo&#x0364;glich &#x017F;eyn, in welcher viel empiri&#x017F;ches Bewu&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;eyn in meinem Gemu&#x0364;th anzutreffen wa&#x0364;re, aber getrent,<lb/>
und ohne daß es zu einem Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn meiner &#x017F;elb&#x017F;t ge-<lb/>
ho&#x0364;rete, welches aber unmo&#x0364;glich i&#x017F;t. Denn nur dadurch,<lb/>
daß ich alle Wahrnehmungen zu einem Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn (der<lb/>
ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Apperception) zehle, kan ich bey allen Wahr-<lb/>
nehmungen &#x017F;agen: daß ich mir ihrer bewu&#x017F;t &#x017F;ey. Es<lb/>
muß al&#x017F;o ein obiectiver, d. i. vor allen empiri&#x017F;chen Ge&#x017F;e-<lb/>
tzen der Einbildungskraft <hi rendition="#aq">a priori</hi> einzu&#x017F;ehender Grund<lb/>
&#x017F;eyn, worauf die Mo&#x0364;glichkeit, ia &#x017F;ogar die Nothwendig-<lb/>
keit eines durch alle Er&#x017F;cheinungen &#x017F;ich er&#x017F;treckenden Ge-<lb/>
&#x017F;etzes beruht, &#x017F;ie nemlich durchga&#x0364;ngig als &#x017F;olche Data der<lb/>
Sinne anzu&#x017F;ehen, welche an &#x017F;ich a&#x017F;&#x017F;ociabel, und allgemei-<lb/>
nen Regeln einer durchga&#x0364;ngigen Verknu&#x0364;pfung in der Re-<lb/>
production unterworfen &#x017F;eyn. Die&#x017F;en obiectiven Grund<lb/>
aller A&#x017F;&#x017F;ociation der Er&#x017F;cheinungen nenne ich die Affinita&#x0364;t<lb/>
der&#x017F;elben. Die&#x017F;en ko&#x0364;nnen wir aber nirgends anders, als<lb/>
in dem Grund&#x017F;atze von der Einheit der Apperception, in<lb/>
An&#x017F;ehung aller Erkentni&#x017F;&#x017F;e, die mir angeho&#x0364;ren &#x017F;ollen, an-<lb/>
treffen. Nach die&#x017F;em mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en durchaus alle Er&#x017F;cheinungen,<lb/>
&#x017F;o ins Gemu&#x0364;th kommen, oder apprehendirt werden, daß<lb/>
&#x017F;ie zur Einheit der Apperception zu&#x017F;ammen&#x017F;timmen, wel-<lb/>
ches, ohne &#x017F;yntheti&#x017F;che Einheit in ihrer Verknu&#x0364;pfung, die<lb/>
mithin auch obiectiv nothwendig i&#x017F;t, unmo&#x0364;glich &#x017F;eyn wu&#x0364;rde.</p><lb/>
                  <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0152] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. ganz unbeſtimt und zufaͤllig, ob ſie auch aſſociabel waͤren; und in dem Falle, daß ſie es nicht waͤren, ſo wuͤrde eine Menge Wahrnehmungen, und auch wohl eine ganze Sinn- lichkeit moͤglich ſeyn, in welcher viel empiriſches Bewuſt- ſeyn in meinem Gemuͤth anzutreffen waͤre, aber getrent, und ohne daß es zu einem Bewuſtſeyn meiner ſelbſt ge- hoͤrete, welches aber unmoͤglich iſt. Denn nur dadurch, daß ich alle Wahrnehmungen zu einem Bewuſtſeyn (der urſpruͤnglichen Apperception) zehle, kan ich bey allen Wahr- nehmungen ſagen: daß ich mir ihrer bewuſt ſey. Es muß alſo ein obiectiver, d. i. vor allen empiriſchen Geſe- tzen der Einbildungskraft a priori einzuſehender Grund ſeyn, worauf die Moͤglichkeit, ia ſogar die Nothwendig- keit eines durch alle Erſcheinungen ſich erſtreckenden Ge- ſetzes beruht, ſie nemlich durchgaͤngig als ſolche Data der Sinne anzuſehen, welche an ſich aſſociabel, und allgemei- nen Regeln einer durchgaͤngigen Verknuͤpfung in der Re- production unterworfen ſeyn. Dieſen obiectiven Grund aller Aſſociation der Erſcheinungen nenne ich die Affinitaͤt derſelben. Dieſen koͤnnen wir aber nirgends anders, als in dem Grundſatze von der Einheit der Apperception, in Anſehung aller Erkentniſſe, die mir angehoͤren ſollen, an- treffen. Nach dieſem muͤſſen durchaus alle Erſcheinungen, ſo ins Gemuͤth kommen, oder apprehendirt werden, daß ſie zur Einheit der Apperception zuſammenſtimmen, wel- ches, ohne ſynthetiſche Einheit in ihrer Verknuͤpfung, die mithin auch obiectiv nothwendig iſt, unmoͤglich ſeyn wuͤrde. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/152
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/152>, abgerufen am 17.05.2024.