Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
in Ansehung derselben, obgleich verschiedene dieser Sätze synthetisch und unmittelbar gewiß (indemonstrabilia) seyn, dennoch im eigentlichen Verstande keine Axiomen. Denn daß gleiches zu gleichem hinzugethan, oder von die- sem abgezogen, ein gleiches gebe, sind analytische Sätze, indem ich mir der Identität der einen Grössenerzeugung mit der andern unmittelbar bewust bin; Axiomen aber sol- len synthetische Sätze a priori seyn. Dagegen sind die evidente Sätze der Zahlverhältniß zwar allerdings synthe- tisch, aber nicht allgemein, wie die der Geometrie, und eben um deswillen auch nicht Axiomen, sondern können Zahlformeln genant werden. Daß 7 + 5 = 12 sey, ist kein analytischer Satz. Denn ich denke weder in der Vorstellung von 7, noch von 5, noch in der Vorstellung von der Zusammensetzung beyder die Zahl 12, (daß ich diese in der Addition beyder denken solle, davon ist hier nicht die Rede; denn bey dem analytischen Satze ist nur die Frage, ob ich das Prädicat wirklich in der Vorstellung des Subiects denke). Ob er aber gleich synthetisch ist, so ist er doch nur ein einzelner Satz. So fern hier blos auf die Synthesis des gleichartigen (der Einheiten) gese- hen wird, so kan die Synthesis hier nur auf eine einzige Art geschehen, wiewol der Gebrauch dieser Zahlen nach- her allgemein ist. Wenn ich sage: durch drey Linien, de- ren zwey zusammengenommen grösser sind, als die dritte, läßt sich ein Triangel zeichnen; so habe ich hier die blosse Function der productiven Einbildungskraft, welche die
Linien
Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
in Anſehung derſelben, obgleich verſchiedene dieſer Saͤtze ſynthetiſch und unmittelbar gewiß (indemonſtrabilia) ſeyn, dennoch im eigentlichen Verſtande keine Axiomen. Denn daß gleiches zu gleichem hinzugethan, oder von die- ſem abgezogen, ein gleiches gebe, ſind analytiſche Saͤtze, indem ich mir der Identitaͤt der einen Groͤſſenerzeugung mit der andern unmittelbar bewuſt bin; Axiomen aber ſol- len ſynthetiſche Saͤtze a priori ſeyn. Dagegen ſind die evidente Saͤtze der Zahlverhaͤltniß zwar allerdings ſynthe- tiſch, aber nicht allgemein, wie die der Geometrie, und eben um deswillen auch nicht Axiomen, ſondern koͤnnen Zahlformeln genant werden. Daß 7 + 5 = 12 ſey, iſt kein analytiſcher Satz. Denn ich denke weder in der Vorſtellung von 7, noch von 5, noch in der Vorſtellung von der Zuſammenſetzung beyder die Zahl 12, (daß ich dieſe in der Addition beyder denken ſolle, davon iſt hier nicht die Rede; denn bey dem analytiſchen Satze iſt nur die Frage, ob ich das Praͤdicat wirklich in der Vorſtellung des Subiects denke). Ob er aber gleich ſynthetiſch iſt, ſo iſt er doch nur ein einzelner Satz. So fern hier blos auf die Syntheſis des gleichartigen (der Einheiten) geſe- hen wird, ſo kan die Syntheſis hier nur auf eine einzige Art geſchehen, wiewol der Gebrauch dieſer Zahlen nach- her allgemein iſt. Wenn ich ſage: durch drey Linien, de- ren zwey zuſammengenommen groͤſſer ſind, als die dritte, laͤßt ſich ein Triangel zeichnen; ſo habe ich hier die bloſſe Function der productiven Einbildungskraft, welche die
Linien
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><p><pbfacs="#f0194"n="164"/><fwplace="top"type="header">Elementarl. <hirendition="#aq">II.</hi> Th. <hirendition="#aq">I.</hi> Abth. <hirendition="#aq">II.</hi> Buch. <hirendition="#aq">II.</hi> Hauptſt.</fw><lb/>
in Anſehung derſelben, obgleich verſchiedene dieſer Saͤtze<lb/>ſynthetiſch und unmittelbar gewiß (<hirendition="#aq">indemonſtrabilia</hi>)<lb/>ſeyn, dennoch im eigentlichen Verſtande keine Axiomen.<lb/>
Denn daß gleiches zu gleichem hinzugethan, oder von die-<lb/>ſem abgezogen, ein gleiches gebe, ſind analytiſche Saͤtze,<lb/>
indem ich mir der Identitaͤt der einen Groͤſſenerzeugung<lb/>
mit der andern unmittelbar bewuſt bin; Axiomen aber ſol-<lb/>
len ſynthetiſche Saͤtze <hirendition="#aq">a priori</hi>ſeyn. Dagegen ſind die<lb/>
evidente Saͤtze der Zahlverhaͤltniß zwar allerdings ſynthe-<lb/>
tiſch, aber nicht allgemein, wie die der Geometrie, und<lb/>
eben um deswillen auch nicht Axiomen, ſondern koͤnnen<lb/>
Zahlformeln genant werden. Daß 7 + 5 = 12 ſey,<lb/>
iſt kein analytiſcher Satz. Denn ich denke weder in der<lb/>
Vorſtellung von 7, noch von 5, noch in der Vorſtellung<lb/>
von der Zuſammenſetzung beyder die Zahl 12, (daß ich<lb/>
dieſe in der Addition beyder denken ſolle, davon iſt hier<lb/>
nicht die Rede; denn bey dem analytiſchen Satze iſt nur<lb/>
die Frage, ob ich das Praͤdicat wirklich in der Vorſtellung<lb/>
des Subiects denke). Ob er aber gleich ſynthetiſch iſt,<lb/>ſo iſt er doch nur ein einzelner Satz. So fern hier blos<lb/>
auf die Syntheſis des gleichartigen (der Einheiten) geſe-<lb/>
hen wird, ſo kan die Syntheſis hier nur auf eine einzige<lb/>
Art geſchehen, wiewol der Gebrauch dieſer Zahlen nach-<lb/>
her allgemein iſt. Wenn ich ſage: durch drey Linien, de-<lb/>
ren zwey zuſammengenommen groͤſſer ſind, als die dritte,<lb/>
laͤßt ſich ein Triangel zeichnen; ſo habe ich hier die bloſſe<lb/>
Function der productiven Einbildungskraft, welche die<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Linien</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[164/0194]
Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
in Anſehung derſelben, obgleich verſchiedene dieſer Saͤtze
ſynthetiſch und unmittelbar gewiß (indemonſtrabilia)
ſeyn, dennoch im eigentlichen Verſtande keine Axiomen.
Denn daß gleiches zu gleichem hinzugethan, oder von die-
ſem abgezogen, ein gleiches gebe, ſind analytiſche Saͤtze,
indem ich mir der Identitaͤt der einen Groͤſſenerzeugung
mit der andern unmittelbar bewuſt bin; Axiomen aber ſol-
len ſynthetiſche Saͤtze a priori ſeyn. Dagegen ſind die
evidente Saͤtze der Zahlverhaͤltniß zwar allerdings ſynthe-
tiſch, aber nicht allgemein, wie die der Geometrie, und
eben um deswillen auch nicht Axiomen, ſondern koͤnnen
Zahlformeln genant werden. Daß 7 + 5 = 12 ſey,
iſt kein analytiſcher Satz. Denn ich denke weder in der
Vorſtellung von 7, noch von 5, noch in der Vorſtellung
von der Zuſammenſetzung beyder die Zahl 12, (daß ich
dieſe in der Addition beyder denken ſolle, davon iſt hier
nicht die Rede; denn bey dem analytiſchen Satze iſt nur
die Frage, ob ich das Praͤdicat wirklich in der Vorſtellung
des Subiects denke). Ob er aber gleich ſynthetiſch iſt,
ſo iſt er doch nur ein einzelner Satz. So fern hier blos
auf die Syntheſis des gleichartigen (der Einheiten) geſe-
hen wird, ſo kan die Syntheſis hier nur auf eine einzige
Art geſchehen, wiewol der Gebrauch dieſer Zahlen nach-
her allgemein iſt. Wenn ich ſage: durch drey Linien, de-
ren zwey zuſammengenommen groͤſſer ſind, als die dritte,
laͤßt ſich ein Triangel zeichnen; ſo habe ich hier die bloſſe
Function der productiven Einbildungskraft, welche die
Linien
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/194>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.