Das Postulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erken- nen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung, de- ren man sich bewust ist, zwar nicht eben unmittelbar, von dem Gegenstande selbst, dessen Daseyn erkant werden soll, aber doch Zusammenhang desselben mit irgend einer wirk- lichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Verknüpfung in einer Erfahrung über- haupt darlegen.
In dem blossen Begriffe eines Dinges kan gar kein Character seines Daseyns angetroffen werden. Denn ob derselbe gleich noch so vollständig sey, daß nicht das min- deste ermangele, um ein Ding mit allen seinen innern Be- stimmungen zu denken, so hat das Daseyn mit allem die- sen doch gar nichts zu thun, sondern nur mit der Frage: ob ein solches Ding uns gegeben sey, so, daß die Wahr- nehmung desselben vor dem Begriffe allenfals vorhergehen könne. Denn, daß der Begriff vor der Wahrnehmung vorhergeht, bedeutet dessen blosse Möglichkeit, die Wahr- nehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergiebt, ist der einzige Character der Wirklichkeit. Man kan aber auch vor der Wahrnehmung des Dinges, und also com- parative a priori das Daseyn desselben erkennen, wenn es nur mit einigen Wahrnehmungen, nach den Grundsätzen der empirischen Verknüpfung derselben (den Analogien) zusammenhängt. Denn alsdenn hängt doch das Daseyn des Dinges mit unsern Wahrnehmungen in einer möglichen
Erfah-
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III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc.
Das Poſtulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erken- nen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung, de- ren man ſich bewuſt iſt, zwar nicht eben unmittelbar, von dem Gegenſtande ſelbſt, deſſen Daſeyn erkant werden ſoll, aber doch Zuſammenhang deſſelben mit irgend einer wirk- lichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Verknuͤpfung in einer Erfahrung uͤber- haupt darlegen.
In dem bloſſen Begriffe eines Dinges kan gar kein Character ſeines Daſeyns angetroffen werden. Denn ob derſelbe gleich noch ſo vollſtaͤndig ſey, daß nicht das min- deſte ermangele, um ein Ding mit allen ſeinen innern Be- ſtimmungen zu denken, ſo hat das Daſeyn mit allem die- ſen doch gar nichts zu thun, ſondern nur mit der Frage: ob ein ſolches Ding uns gegeben ſey, ſo, daß die Wahr- nehmung deſſelben vor dem Begriffe allenfals vorhergehen koͤnne. Denn, daß der Begriff vor der Wahrnehmung vorhergeht, bedeutet deſſen bloſſe Moͤglichkeit, die Wahr- nehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergiebt, iſt der einzige Character der Wirklichkeit. Man kan aber auch vor der Wahrnehmung des Dinges, und alſo com- parative a priori das Daſeyn deſſelben erkennen, wenn es nur mit einigen Wahrnehmungen, nach den Grundſaͤtzen der empiriſchen Verknuͤpfung derſelben (den Analogien) zuſammenhaͤngt. Denn alsdenn haͤngt doch das Daſeyn des Dinges mit unſern Wahrnehmungen in einer moͤglichen
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III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc.
Das Poſtulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erken-
nen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung, de-
ren man ſich bewuſt iſt, zwar nicht eben unmittelbar, von
dem Gegenſtande ſelbſt, deſſen Daſeyn erkant werden ſoll,
aber doch Zuſammenhang deſſelben mit irgend einer wirk-
lichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung,
welche alle reale Verknuͤpfung in einer Erfahrung uͤber-
haupt darlegen.
In dem bloſſen Begriffe eines Dinges kan gar kein
Character ſeines Daſeyns angetroffen werden. Denn ob
derſelbe gleich noch ſo vollſtaͤndig ſey, daß nicht das min-
deſte ermangele, um ein Ding mit allen ſeinen innern Be-
ſtimmungen zu denken, ſo hat das Daſeyn mit allem die-
ſen doch gar nichts zu thun, ſondern nur mit der Frage:
ob ein ſolches Ding uns gegeben ſey, ſo, daß die Wahr-
nehmung deſſelben vor dem Begriffe allenfals vorhergehen
koͤnne. Denn, daß der Begriff vor der Wahrnehmung
vorhergeht, bedeutet deſſen bloſſe Moͤglichkeit, die Wahr-
nehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergiebt, iſt
der einzige Character der Wirklichkeit. Man kan aber
auch vor der Wahrnehmung des Dinges, und alſo com-
parative a priori das Daſeyn deſſelben erkennen, wenn
es nur mit einigen Wahrnehmungen, nach den Grundſaͤtzen
der empiriſchen Verknuͤpfung derſelben (den Analogien)
zuſammenhaͤngt. Denn alsdenn haͤngt doch das Daſeyn
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/255>, abgerufen am 22.11.2024.
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