gen bringt, die sie a priori geben kan und wodurch sie, so zu reden, Meister über die Natur wird: da hingegen reine Philosophie mit discursiven Begriffen a priori in der Natur herum pfuscht, ohne die Realität derselben a priori anschauend und eben dadurch beglaubigt machen zu kön- nen. Auch scheint es den Meistern in dieser Kunst an die- ser Zuversicht zu sich selbst und dem gemeinen Wesen an grossen Erwartungen von ihrer Geschicklichkeit, wenn sie sich einmal hiemit befassen solten, gar nicht zu fehlen. Denn da sie kaum iemals über ihre Mathematik philosophirt haben, (ein schweres Geschäfte), so komt ihnen der speci- fische Unterschied des einen Vernunftgebrauchs von dem an- dern gar nicht in Sinn und Gedanken. Gangbare und empirisch gebrauchte Regeln, die sie von der gemeinen Vernunft borgen, gelten ihnen denn statt Axiomen. Wo ihnen die Begriffe von Raum und Zeit, womit sie sich (als den einzigen ursprünglichen Quantis) beschäftigen, herkommen mögen, daran ist ihnen gar nichts gelegen und eben so scheint es ihnen unnütz zu seyn, den Ursprung rei- ner Verstandesbegriffe und hiemit auch den Umfang ihrer Gültigkeit zu erforschen, sondern nur sich ihrer zu bedie- nen. In allem diesen thun sie ganz recht, wenn sie nur ihre angewiesene Gränze, nemlich die der Natur nicht überschreiten. So aber gerathen sie unvermerkt, von dem Felde der Sinnlichkeit, auf den unsicheren Boden reiner und selbst transscendentaler Begriffe, wo der Grund (in- stabilis tellus, innabilis unda) ihnen weder zu stehen,
noch
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Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc.
gen bringt, die ſie a priori geben kan und wodurch ſie, ſo zu reden, Meiſter uͤber die Natur wird: da hingegen reine Philoſophie mit diſcurſiven Begriffen a priori in der Natur herum pfuſcht, ohne die Realitaͤt derſelben a priori anſchauend und eben dadurch beglaubigt machen zu koͤn- nen. Auch ſcheint es den Meiſtern in dieſer Kunſt an die- ſer Zuverſicht zu ſich ſelbſt und dem gemeinen Weſen an groſſen Erwartungen von ihrer Geſchicklichkeit, wenn ſie ſich einmal hiemit befaſſen ſolten, gar nicht zu fehlen. Denn da ſie kaum iemals uͤber ihre Mathematik philoſophirt haben, (ein ſchweres Geſchaͤfte), ſo komt ihnen der ſpeci- fiſche Unterſchied des einen Vernunftgebrauchs von dem an- dern gar nicht in Sinn und Gedanken. Gangbare und empiriſch gebrauchte Regeln, die ſie von der gemeinen Vernunft borgen, gelten ihnen denn ſtatt Axiomen. Wo ihnen die Begriffe von Raum und Zeit, womit ſie ſich (als den einzigen urſpruͤnglichen Quantis) beſchaͤftigen, herkommen moͤgen, daran iſt ihnen gar nichts gelegen und eben ſo ſcheint es ihnen unnuͤtz zu ſeyn, den Urſprung rei- ner Verſtandesbegriffe und hiemit auch den Umfang ihrer Guͤltigkeit zu erforſchen, ſondern nur ſich ihrer zu bedie- nen. In allem dieſen thun ſie ganz recht, wenn ſie nur ihre angewieſene Graͤnze, nemlich die der Natur nicht uͤberſchreiten. So aber gerathen ſie unvermerkt, von dem Felde der Sinnlichkeit, auf den unſicheren Boden reiner und ſelbſt transſcendentaler Begriffe, wo der Grund (in- ſtabilis tellus, innabilis unda) ihnen weder zu ſtehen,
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Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc.
gen bringt, die ſie a priori geben kan und wodurch ſie,
ſo zu reden, Meiſter uͤber die Natur wird: da hingegen
reine Philoſophie mit diſcurſiven Begriffen a priori in der
Natur herum pfuſcht, ohne die Realitaͤt derſelben a priori
anſchauend und eben dadurch beglaubigt machen zu koͤn-
nen. Auch ſcheint es den Meiſtern in dieſer Kunſt an die-
ſer Zuverſicht zu ſich ſelbſt und dem gemeinen Weſen an
groſſen Erwartungen von ihrer Geſchicklichkeit, wenn ſie
ſich einmal hiemit befaſſen ſolten, gar nicht zu fehlen.
Denn da ſie kaum iemals uͤber ihre Mathematik philoſophirt
haben, (ein ſchweres Geſchaͤfte), ſo komt ihnen der ſpeci-
fiſche Unterſchied des einen Vernunftgebrauchs von dem an-
dern gar nicht in Sinn und Gedanken. Gangbare und
empiriſch gebrauchte Regeln, die ſie von der gemeinen
Vernunft borgen, gelten ihnen denn ſtatt Axiomen. Wo
ihnen die Begriffe von Raum und Zeit, womit ſie ſich
(als den einzigen urſpruͤnglichen Quantis) beſchaͤftigen,
herkommen moͤgen, daran iſt ihnen gar nichts gelegen und
eben ſo ſcheint es ihnen unnuͤtz zu ſeyn, den Urſprung rei-
ner Verſtandesbegriffe und hiemit auch den Umfang ihrer
Guͤltigkeit zu erforſchen, ſondern nur ſich ihrer zu bedie-
nen. In allem dieſen thun ſie ganz recht, wenn ſie nur
ihre angewieſene Graͤnze, nemlich die der Natur nicht
uͤberſchreiten. So aber gerathen ſie unvermerkt, von dem
Felde der Sinnlichkeit, auf den unſicheren Boden reiner
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 725. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/755>, abgerufen am 22.11.2024.
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