Speculation bringen könne und, ob man auf diese über- haupt etwas rechnen, oder sie lieber gegen das Practi- sche gar aufgeben müsse. Anstatt also mit dem Schwerdte darein zu schlagen, so sehet vielmehr von dem sicheren Sitze der Critik diesem Streite geruhig zu, der vor die Kämpfende mühsam, vor euch unterhaltend und bey einem, gewiß unblutigen Ausgange, vor eure Einsichten ersprieß- lich ausfallen muß. Denn es ist sehr was Ungereimtes, von der Vernunft Aufklärung zu erwarten und ihr doch vorher vorzuschreiben, auf welche Seite sie nothwendig ausfallen müsse. Ueberdem wird Vernunft schon von selbst durch Vernunft so wol gebändigt und in Schranken gehal- ten, daß ihr gar nicht nöthig habt, Schaarwachen aufzu- bieten, um demienigen Theile, dessen besorgliche Ober- macht euch gefährlich scheint, bürgerlichen Widerstand entgegen zu setzen. In dieser Dialectik giebts keinen Sieg, über den ihr besorgt zu seyn Ursache hättet.
Auch bedarf die Vernunft gar sehr eines solchen Streits und es wäre zu wünschen, daß er eher und mit uneingeschränkter öffentlicher Erlaubniß wäre geführt wor- den. Denn um desto früher wäre eine reife Critik zu Stande gekommen, bey deren Erscheinung alle diese Streit- händel von selbst wegfallen müssen, indem die Streitende ihre Verblendung und Vorurtheile, welche sie veruneinigt haben, einsehen lernen.
Es giebt eine gewisse Unlauterkeit in der menschli- chen Natur, die am Ende doch, wie alles, was von der
Natur
Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc.
Speculation bringen koͤnne und, ob man auf dieſe uͤber- haupt etwas rechnen, oder ſie lieber gegen das Practi- ſche gar aufgeben muͤſſe. Anſtatt alſo mit dem Schwerdte darein zu ſchlagen, ſo ſehet vielmehr von dem ſicheren Sitze der Critik dieſem Streite geruhig zu, der vor die Kaͤmpfende muͤhſam, vor euch unterhaltend und bey einem, gewiß unblutigen Ausgange, vor eure Einſichten erſprieß- lich ausfallen muß. Denn es iſt ſehr was Ungereimtes, von der Vernunft Aufklaͤrung zu erwarten und ihr doch vorher vorzuſchreiben, auf welche Seite ſie nothwendig ausfallen muͤſſe. Ueberdem wird Vernunft ſchon von ſelbſt durch Vernunft ſo wol gebaͤndigt und in Schranken gehal- ten, daß ihr gar nicht noͤthig habt, Schaarwachen aufzu- bieten, um demienigen Theile, deſſen beſorgliche Ober- macht euch gefaͤhrlich ſcheint, buͤrgerlichen Widerſtand entgegen zu ſetzen. In dieſer Dialectik giebts keinen Sieg, uͤber den ihr beſorgt zu ſeyn Urſache haͤttet.
Auch bedarf die Vernunft gar ſehr eines ſolchen Streits und es waͤre zu wuͤnſchen, daß er eher und mit uneingeſchraͤnkter oͤffentlicher Erlaubniß waͤre gefuͤhrt wor- den. Denn um deſto fruͤher waͤre eine reife Critik zu Stande gekommen, bey deren Erſcheinung alle dieſe Streit- haͤndel von ſelbſt wegfallen muͤſſen, indem die Streitende ihre Verblendung und Vorurtheile, welche ſie veruneinigt haben, einſehen lernen.
Es giebt eine gewiſſe Unlauterkeit in der menſchli- chen Natur, die am Ende doch, wie alles, was von der
Natur
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Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc.
Speculation bringen koͤnne und, ob man auf dieſe uͤber-
haupt etwas rechnen, oder ſie lieber gegen das Practi-
ſche gar aufgeben muͤſſe. Anſtatt alſo mit dem Schwerdte
darein zu ſchlagen, ſo ſehet vielmehr von dem ſicheren
Sitze der Critik dieſem Streite geruhig zu, der vor die
Kaͤmpfende muͤhſam, vor euch unterhaltend und bey einem,
gewiß unblutigen Ausgange, vor eure Einſichten erſprieß-
lich ausfallen muß. Denn es iſt ſehr was Ungereimtes,
von der Vernunft Aufklaͤrung zu erwarten und ihr doch
vorher vorzuſchreiben, auf welche Seite ſie nothwendig
ausfallen muͤſſe. Ueberdem wird Vernunft ſchon von ſelbſt
durch Vernunft ſo wol gebaͤndigt und in Schranken gehal-
ten, daß ihr gar nicht noͤthig habt, Schaarwachen aufzu-
bieten, um demienigen Theile, deſſen beſorgliche Ober-
macht euch gefaͤhrlich ſcheint, buͤrgerlichen Widerſtand
entgegen zu ſetzen. In dieſer Dialectik giebts keinen Sieg,
uͤber den ihr beſorgt zu ſeyn Urſache haͤttet.
Auch bedarf die Vernunft gar ſehr eines ſolchen
Streits und es waͤre zu wuͤnſchen, daß er eher und mit
uneingeſchraͤnkter oͤffentlicher Erlaubniß waͤre gefuͤhrt wor-
den. Denn um deſto fruͤher waͤre eine reife Critik zu
Stande gekommen, bey deren Erſcheinung alle dieſe Streit-
haͤndel von ſelbſt wegfallen muͤſſen, indem die Streitende
ihre Verblendung und Vorurtheile, welche ſie veruneinigt
haben, einſehen lernen.
Es giebt eine gewiſſe Unlauterkeit in der menſchli-
chen Natur, die am Ende doch, wie alles, was von der
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 747. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/777>, abgerufen am 22.11.2024.
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