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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Die Architectonik der reinen Vernunft.
Elemente unserer Erkentniß, deren die eine völlig a priori
in unserer Gewalt sind, die andere nur a posteriori aus
der Erfahrung genommen werden können, selbst bey Den-
kern von Gewerbe, nur sehr undeutlich blieb, und daher
niemals die Gränzbestimmung einer besondern Art von
Erkentniß, mithin nicht die ächte Idee einer Wissenschaft,
die so lange und so sehr die menschliche Vernunft beschäf-
tigt hat, zu Stande bringen konte. Wenn man sagte:
Metaphysik ist die Wissenschaft von den ersten Principien
der menschlichen Erkentniß, so bemerkte man dadurch nicht
eine ganz besondere Art, sondern nur einen Rang in Anse-
hung der Allgemeinheit, dadurch sie also vom Empirischen
nicht kentlich unterschieden werden konte; denn auch un-
ter empirischen Principien sind einige allgemeiner, und
darum höher als andere und, in der Reihe einer solchen
Unterordnung, (da man das, was völlig a priori, von
dem, was nur a posteriori erkant wird, nicht unterschei-
det), wo soll man den Abschnitt machen, der den ersten
Theil und die oberste Glieder von dem lezten und den un-
tergeordneten unterschiede? Was würde man dazu sagen,
wenn die Zeitrechnung die Epochen der Welt nur so be-
zeichnen könte, daß sie sie in die erste Jahrhunderte und
in die darauf folgende eintheilete. Gehöret das fünfte, das
zehnte etc. Jahrhundert auch zu den ersten? würde man fra-
gen; eben so frage ich: gehört der Begriff des Ausge-
dehnten zur Metaphysik? ihr antwortet, ia! ey, aber auch
der des Cörpers? ia! und der des flüssigen Cörpers? ihr

wer-

Die Architectonik der reinen Vernunft.
Elemente unſerer Erkentniß, deren die eine voͤllig a priori
in unſerer Gewalt ſind, die andere nur a poſteriori aus
der Erfahrung genommen werden koͤnnen, ſelbſt bey Den-
kern von Gewerbe, nur ſehr undeutlich blieb, und daher
niemals die Graͤnzbeſtimmung einer beſondern Art von
Erkentniß, mithin nicht die aͤchte Idee einer Wiſſenſchaft,
die ſo lange und ſo ſehr die menſchliche Vernunft beſchaͤf-
tigt hat, zu Stande bringen konte. Wenn man ſagte:
Metaphyſik iſt die Wiſſenſchaft von den erſten Principien
der menſchlichen Erkentniß, ſo bemerkte man dadurch nicht
eine ganz beſondere Art, ſondern nur einen Rang in Anſe-
hung der Allgemeinheit, dadurch ſie alſo vom Empiriſchen
nicht kentlich unterſchieden werden konte; denn auch un-
ter empiriſchen Principien ſind einige allgemeiner, und
darum hoͤher als andere und, in der Reihe einer ſolchen
Unterordnung, (da man das, was voͤllig a priori, von
dem, was nur a poſteriori erkant wird, nicht unterſchei-
det), wo ſoll man den Abſchnitt machen, der den erſten
Theil und die oberſte Glieder von dem lezten und den un-
tergeordneten unterſchiede? Was wuͤrde man dazu ſagen,
wenn die Zeitrechnung die Epochen der Welt nur ſo be-
zeichnen koͤnte, daß ſie ſie in die erſte Jahrhunderte und
in die darauf folgende eintheilete. Gehoͤret das fuͤnfte, das
zehnte ꝛc. Jahrhundert auch zu den erſten? wuͤrde man fra-
gen; eben ſo frage ich: gehoͤrt der Begriff des Ausge-
dehnten zur Metaphyſik? ihr antwortet, ia! ey, aber auch
der des Coͤrpers? ia! und der des fluͤſſigen Coͤrpers? ihr

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[843/0873] Die Architectonik der reinen Vernunft. Elemente unſerer Erkentniß, deren die eine voͤllig a priori in unſerer Gewalt ſind, die andere nur a poſteriori aus der Erfahrung genommen werden koͤnnen, ſelbſt bey Den- kern von Gewerbe, nur ſehr undeutlich blieb, und daher niemals die Graͤnzbeſtimmung einer beſondern Art von Erkentniß, mithin nicht die aͤchte Idee einer Wiſſenſchaft, die ſo lange und ſo ſehr die menſchliche Vernunft beſchaͤf- tigt hat, zu Stande bringen konte. Wenn man ſagte: Metaphyſik iſt die Wiſſenſchaft von den erſten Principien der menſchlichen Erkentniß, ſo bemerkte man dadurch nicht eine ganz beſondere Art, ſondern nur einen Rang in Anſe- hung der Allgemeinheit, dadurch ſie alſo vom Empiriſchen nicht kentlich unterſchieden werden konte; denn auch un- ter empiriſchen Principien ſind einige allgemeiner, und darum hoͤher als andere und, in der Reihe einer ſolchen Unterordnung, (da man das, was voͤllig a priori, von dem, was nur a poſteriori erkant wird, nicht unterſchei- det), wo ſoll man den Abſchnitt machen, der den erſten Theil und die oberſte Glieder von dem lezten und den un- tergeordneten unterſchiede? Was wuͤrde man dazu ſagen, wenn die Zeitrechnung die Epochen der Welt nur ſo be- zeichnen koͤnte, daß ſie ſie in die erſte Jahrhunderte und in die darauf folgende eintheilete. Gehoͤret das fuͤnfte, das zehnte ꝛc. Jahrhundert auch zu den erſten? wuͤrde man fra- gen; eben ſo frage ich: gehoͤrt der Begriff des Ausge- dehnten zur Metaphyſik? ihr antwortet, ia! ey, aber auch der des Coͤrpers? ia! und der des fluͤſſigen Coͤrpers? ihr wer-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 843. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/873>, abgerufen am 25.11.2024.