werdet stutzig, denn, wenn es so weiter fortgeht, so wird alles in die Metaphysik gehören. Hieraus sieht man: daß der blosse Grad der Unterordnung (das Besondere unter dem Allgemeinen) keine Gränzen einer Wissenschaft bestimmen könne, sondern in unserem Falle die gänzliche Ungleich- artigkeit und Verschiedenheit des Ursprungs. Was aber die Grundidee der Metaphysik noch auf einer anderen Seite ver- dunkelte, war, daß sie als Erkentniß a priori mit der Ma- thematik eine gewisse Gleichartigkeit zeigt, die zwar, was den Ursprung a priori betrift, sie einander verwandt, was aber die Erkentnißart aus Begriffen bey iener, in Verglei- chung mit der Art, blos durch Construction der Begriffe a priori zu urtheilen, bey dieser, mithin den Unterschied einer philosophischen Erkentniß von der mathematischen an- langt, so zeigt sich eine so entschiedene Ungleichartigkeit, die man zwar iederzeit gleichsam fühlete, niemals aber auf deutliche Criterien bringen konte. Dadurch ist es nun geschehen, daß, da Philosophen selbst in der Entwickelung der Idee ihrer Wissenschaft fehleten, die Bearbeitung der- selben keinen bestimten Zweck und keine sichere Richtschnur haben konte und sie, bey einem so willkührlich gemachten Entwurfe, unwissend in dem Wege, den sie zu nehmen hät- ten, und iederzeit unter sich streitig, über die Entdeckun- gen, die ein ieder auf dem seinigen gemacht haben wolte, ihre Wissenschaft zuerst bey andern und endlich sogar bey sich selbst in Verachtung brachten.
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Methodenlehre III. Hauptſt.
werdet ſtutzig, denn, wenn es ſo weiter fortgeht, ſo wird alles in die Metaphyſik gehoͤren. Hieraus ſieht man: daß der bloſſe Grad der Unterordnung (das Beſondere unter dem Allgemeinen) keine Graͤnzen einer Wiſſenſchaft beſtimmen koͤnne, ſondern in unſerem Falle die gaͤnzliche Ungleich- artigkeit und Verſchiedenheit des Urſprungs. Was aber die Grundidee der Metaphyſik noch auf einer anderen Seite ver- dunkelte, war, daß ſie als Erkentniß a priori mit der Ma- thematik eine gewiſſe Gleichartigkeit zeigt, die zwar, was den Urſprung a priori betrift, ſie einander verwandt, was aber die Erkentnißart aus Begriffen bey iener, in Verglei- chung mit der Art, blos durch Conſtruction der Begriffe a priori zu urtheilen, bey dieſer, mithin den Unterſchied einer philoſophiſchen Erkentniß von der mathematiſchen an- langt, ſo zeigt ſich eine ſo entſchiedene Ungleichartigkeit, die man zwar iederzeit gleichſam fuͤhlete, niemals aber auf deutliche Criterien bringen konte. Dadurch iſt es nun geſchehen, daß, da Philoſophen ſelbſt in der Entwickelung der Idee ihrer Wiſſenſchaft fehleten, die Bearbeitung der- ſelben keinen beſtimten Zweck und keine ſichere Richtſchnur haben konte und ſie, bey einem ſo willkuͤhrlich gemachten Entwurfe, unwiſſend in dem Wege, den ſie zu nehmen haͤt- ten, und iederzeit unter ſich ſtreitig, uͤber die Entdeckun- gen, die ein ieder auf dem ſeinigen gemacht haben wolte, ihre Wiſſenſchaft zuerſt bey andern und endlich ſogar bey ſich ſelbſt in Verachtung brachten.
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Methodenlehre III. Hauptſt.
werdet ſtutzig, denn, wenn es ſo weiter fortgeht, ſo wird
alles in die Metaphyſik gehoͤren. Hieraus ſieht man: daß
der bloſſe Grad der Unterordnung (das Beſondere unter dem
Allgemeinen) keine Graͤnzen einer Wiſſenſchaft beſtimmen
koͤnne, ſondern in unſerem Falle die gaͤnzliche Ungleich-
artigkeit und Verſchiedenheit des Urſprungs. Was aber die
Grundidee der Metaphyſik noch auf einer anderen Seite ver-
dunkelte, war, daß ſie als Erkentniß a priori mit der Ma-
thematik eine gewiſſe Gleichartigkeit zeigt, die zwar, was den
Urſprung a priori betrift, ſie einander verwandt, was
aber die Erkentnißart aus Begriffen bey iener, in Verglei-
chung mit der Art, blos durch Conſtruction der Begriffe a
priori zu urtheilen, bey dieſer, mithin den Unterſchied
einer philoſophiſchen Erkentniß von der mathematiſchen an-
langt, ſo zeigt ſich eine ſo entſchiedene Ungleichartigkeit,
die man zwar iederzeit gleichſam fuͤhlete, niemals aber
auf deutliche Criterien bringen konte. Dadurch iſt es nun
geſchehen, daß, da Philoſophen ſelbſt in der Entwickelung
der Idee ihrer Wiſſenſchaft fehleten, die Bearbeitung der-
ſelben keinen beſtimten Zweck und keine ſichere Richtſchnur
haben konte und ſie, bey einem ſo willkuͤhrlich gemachten
Entwurfe, unwiſſend in dem Wege, den ſie zu nehmen haͤt-
ten, und iederzeit unter ſich ſtreitig, uͤber die Entdeckun-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 844. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/874>, abgerufen am 25.11.2024.
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