Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Architectonik der reinen Vernunft.

Alle reine Erkentniß a priori macht also, vermö-
ge dem besondern Erkentnißvermögen, darin es allein sei-
nen Sitz haben kan, eine besondere Einheit aus und Me-
taphysik ist dieienige Philosophie, welche iene Erkentniß
in dieser systematischen Einheit darstellen soll. Der specu-
lative Theil derselben, der sich diesen Nahmen vorzüglich
zugeeignet hat, nemlich die, welche wir Metaphysik der
Natur nennen und alles, so fern es ist, (nicht das, was
seyn soll) aus Begriffen a priori erwägt, wird nun auf fol-
gende Art eingetheilt.

Die im engeren Verstande so genante Metaphysik be-
steht aus der Transscendentalphilosophie und der Physiolo-
gie der reinen Vernunft. Die erstere betrachtet nur den Ver-
stand und Vernunft selbst in einem System aller Begriffe
und Grundsätze, die sich auf Gegenstände überhaupt bezie-
hen, ohne Obiecte anzunehmen, die gegeben wären (On-
tologia
), die zweite betrachtet Natur, d. i. den Inbegriff
gegebener Gegenstände, (sie mögen nun den Sinnen, oder,
wenn man will, einer andern Art von Anschauung ge-
geben seyn), und ist also Physiologie (obgleich nur ratio-
nalis
). Nun ist aber der Gebrauch der Vernunft in die-
ser rationalen Naturbetrachtung entweder physisch, oder
hyperphysisch, oder besser, entweder immanent oder trans-
scendent. Der erstere geht auf die Natur, so weit als
ihre Erkentniß in der Erfahrung (in concreto) kan an-
gewandt werden, der zweite auf dieienige Verknüpfung der
Gegenstände der Erfahrung welche alle Erfahrung über-

steigt.
Die Architectonik der reinen Vernunft.

Alle reine Erkentniß a priori macht alſo, vermoͤ-
ge dem beſondern Erkentnißvermoͤgen, darin es allein ſei-
nen Sitz haben kan, eine beſondere Einheit aus und Me-
taphyſik iſt dieienige Philoſophie, welche iene Erkentniß
in dieſer ſyſtematiſchen Einheit darſtellen ſoll. Der ſpecu-
lative Theil derſelben, der ſich dieſen Nahmen vorzuͤglich
zugeeignet hat, nemlich die, welche wir Metaphyſik der
Natur nennen und alles, ſo fern es iſt, (nicht das, was
ſeyn ſoll) aus Begriffen a priori erwaͤgt, wird nun auf fol-
gende Art eingetheilt.

Die im engeren Verſtande ſo genante Metaphyſik be-
ſteht aus der Transſcendentalphiloſophie und der Phyſiolo-
gie der reinen Vernunft. Die erſtere betrachtet nur den Ver-
ſtand und Vernunft ſelbſt in einem Syſtem aller Begriffe
und Grundſaͤtze, die ſich auf Gegenſtaͤnde uͤberhaupt bezie-
hen, ohne Obiecte anzunehmen, die gegeben waͤren (On-
tologia
), die zweite betrachtet Natur, d. i. den Inbegriff
gegebener Gegenſtaͤnde, (ſie moͤgen nun den Sinnen, oder,
wenn man will, einer andern Art von Anſchauung ge-
geben ſeyn), und iſt alſo Phyſiologie (obgleich nur ratio-
nalis
). Nun iſt aber der Gebrauch der Vernunft in die-
ſer rationalen Naturbetrachtung entweder phyſiſch, oder
hyperphyſiſch, oder beſſer, entweder immanent oder trans-
ſcendent. Der erſtere geht auf die Natur, ſo weit als
ihre Erkentniß in der Erfahrung (in concreto) kan an-
gewandt werden, der zweite auf dieienige Verknuͤpfung der
Gegenſtaͤnde der Erfahrung welche alle Erfahrung uͤber-

ſteigt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0875" n="845"/>
          <fw place="top" type="header">Die Architectonik der reinen Vernunft.</fw><lb/>
          <p>Alle reine Erkentniß <hi rendition="#aq">a priori</hi> macht al&#x017F;o, vermo&#x0364;-<lb/>
ge dem be&#x017F;ondern Erkentnißvermo&#x0364;gen, darin es allein &#x017F;ei-<lb/>
nen Sitz haben kan, eine be&#x017F;ondere Einheit aus und Me-<lb/>
taphy&#x017F;ik i&#x017F;t dieienige Philo&#x017F;ophie, welche iene Erkentniß<lb/>
in die&#x017F;er &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Einheit dar&#x017F;tellen &#x017F;oll. Der &#x017F;pecu-<lb/>
lative Theil der&#x017F;elben, der &#x017F;ich die&#x017F;en Nahmen vorzu&#x0364;glich<lb/>
zugeeignet hat, nemlich die, welche wir Metaphy&#x017F;ik der<lb/>
Natur nennen und alles, &#x017F;o fern es i&#x017F;t, (nicht das, was<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;oll) aus Begriffen <hi rendition="#aq">a priori</hi> erwa&#x0364;gt, wird nun auf fol-<lb/>
gende Art eingetheilt.</p><lb/>
          <p>Die im engeren Ver&#x017F;tande &#x017F;o genante Metaphy&#x017F;ik be-<lb/>
&#x017F;teht aus der Trans&#x017F;cendentalphilo&#x017F;ophie und der Phy&#x017F;iolo-<lb/>
gie der reinen Vernunft. Die er&#x017F;tere betrachtet nur den Ver-<lb/>
&#x017F;tand und Vernunft &#x017F;elb&#x017F;t in einem Sy&#x017F;tem aller Begriffe<lb/>
und Grund&#x017F;a&#x0364;tze, die &#x017F;ich auf Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde u&#x0364;berhaupt bezie-<lb/>
hen, ohne Obiecte anzunehmen, die gegeben wa&#x0364;ren (<hi rendition="#aq">On-<lb/>
tologia</hi>), die zweite betrachtet Natur, d. i. den Inbegriff<lb/>
gegebener Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, (&#x017F;ie mo&#x0364;gen nun den Sinnen, oder,<lb/>
wenn man will, einer andern Art von An&#x017F;chauung ge-<lb/>
geben &#x017F;eyn), und i&#x017F;t al&#x017F;o <hi rendition="#fr">Phy&#x017F;iologie</hi> (obgleich nur <hi rendition="#aq">ratio-<lb/>
nalis</hi>). Nun i&#x017F;t aber der Gebrauch der Vernunft in die-<lb/>
&#x017F;er rationalen Naturbetrachtung entweder phy&#x017F;i&#x017F;ch, oder<lb/>
hyperphy&#x017F;i&#x017F;ch, oder be&#x017F;&#x017F;er, entweder immanent oder trans-<lb/>
&#x017F;cendent. Der er&#x017F;tere geht auf die Natur, &#x017F;o weit als<lb/>
ihre Erkentniß in der Erfahrung (<hi rendition="#aq">in concreto</hi>) kan an-<lb/>
gewandt werden, der zweite auf dieienige Verknu&#x0364;pfung der<lb/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde der Erfahrung welche alle Erfahrung u&#x0364;ber-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;teigt.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[845/0875] Die Architectonik der reinen Vernunft. Alle reine Erkentniß a priori macht alſo, vermoͤ- ge dem beſondern Erkentnißvermoͤgen, darin es allein ſei- nen Sitz haben kan, eine beſondere Einheit aus und Me- taphyſik iſt dieienige Philoſophie, welche iene Erkentniß in dieſer ſyſtematiſchen Einheit darſtellen ſoll. Der ſpecu- lative Theil derſelben, der ſich dieſen Nahmen vorzuͤglich zugeeignet hat, nemlich die, welche wir Metaphyſik der Natur nennen und alles, ſo fern es iſt, (nicht das, was ſeyn ſoll) aus Begriffen a priori erwaͤgt, wird nun auf fol- gende Art eingetheilt. Die im engeren Verſtande ſo genante Metaphyſik be- ſteht aus der Transſcendentalphiloſophie und der Phyſiolo- gie der reinen Vernunft. Die erſtere betrachtet nur den Ver- ſtand und Vernunft ſelbſt in einem Syſtem aller Begriffe und Grundſaͤtze, die ſich auf Gegenſtaͤnde uͤberhaupt bezie- hen, ohne Obiecte anzunehmen, die gegeben waͤren (On- tologia), die zweite betrachtet Natur, d. i. den Inbegriff gegebener Gegenſtaͤnde, (ſie moͤgen nun den Sinnen, oder, wenn man will, einer andern Art von Anſchauung ge- geben ſeyn), und iſt alſo Phyſiologie (obgleich nur ratio- nalis). Nun iſt aber der Gebrauch der Vernunft in die- ſer rationalen Naturbetrachtung entweder phyſiſch, oder hyperphyſiſch, oder beſſer, entweder immanent oder trans- ſcendent. Der erſtere geht auf die Natur, ſo weit als ihre Erkentniß in der Erfahrung (in concreto) kan an- gewandt werden, der zweite auf dieienige Verknuͤpfung der Gegenſtaͤnde der Erfahrung welche alle Erfahrung uͤber- ſteigt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/875
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 845. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/875>, abgerufen am 17.05.2024.