stimmen lassen, da es ein Urtheil des Geschmacks und nicht des Verstandes oder der Vernunft seyn soll.
Es scheint, daß dieses eine der Hauptursachen sey, weswegen man dieses ästhetische Beurtheilungsvermögen gerade mit dem Nahmen des Geschmacks belegt hat. Denn es mag mir jemand alle Jngredienzen eines Ge- richts herzählen und von jedem bemerken, daß jedes der- selben mir sonst angenehm sey und oben ein die Gesund- heit dieses Essens mit Recht rühmen, so bin ich gegen alle diese Gründe taub, versuche das Gericht an meiner Zunge und Gaumen, und darnach (nicht nach allgemei- nen Principien) fälle ich mein Urtheil.
Jn der That wird das Geschmacksurtheil durchaus immer als ein einzelnes Urtheil vom Object gefällt. Der Verstand kann durch die Vergleichung des Objects im Puncte des Wohlgefälligen mit dem Urtheile anderer ein allgemeines Urtheil machen z. B. alle Tulpen sind schön; aber das ist alsdenn kein Geschmacks- sondern ein logi- sches Urtheil, welches die Beziehung eines Objects auf den Geschmack zum Prädicate der Dinge von einer ge- wissen Art überhaupt machte; dasjenige aber, wodurch ich eine einzelne gegebene Tulpe schön d. i. mein Wohlge- fallen an derselben allgemeingültig finde, ist allein das Geschmacksurtheil. Dessen Eigenthümlichkeit besteht aber darinn: daß, ob es gleich blos subjective Gültigkeit hat, es dennoch alle Subjecte so in Anspruch nimmt, als es nur immer geschehen könnte, wenn es ein obje-
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
ſtimmen laſſen, da es ein Urtheil des Geſchmacks und nicht des Verſtandes oder der Vernunft ſeyn ſoll.
Es ſcheint, daß dieſes eine der Haupturſachen ſey, weswegen man dieſes aͤſthetiſche Beurtheilungsvermoͤgen gerade mit dem Nahmen des Geſchmacks belegt hat. Denn es mag mir jemand alle Jngredienzen eines Ge- richts herzaͤhlen und von jedem bemerken, daß jedes der- ſelben mir ſonſt angenehm ſey und oben ein die Geſund- heit dieſes Eſſens mit Recht ruͤhmen, ſo bin ich gegen alle dieſe Gruͤnde taub, verſuche das Gericht an meiner Zunge und Gaumen, und darnach (nicht nach allgemei- nen Principien) faͤlle ich mein Urtheil.
Jn der That wird das Geſchmacksurtheil durchaus immer als ein einzelnes Urtheil vom Object gefaͤllt. Der Verſtand kann durch die Vergleichung des Objects im Puncte des Wohlgefaͤlligen mit dem Urtheile anderer ein allgemeines Urtheil machen z. B. alle Tulpen ſind ſchoͤn; aber das iſt alsdenn kein Geſchmacks- ſondern ein logi- ſches Urtheil, welches die Beziehung eines Objects auf den Geſchmack zum Praͤdicate der Dinge von einer ge- wiſſen Art uͤberhaupt machte; dasjenige aber, wodurch ich eine einzelne gegebene Tulpe ſchoͤn d. i. mein Wohlge- fallen an derſelben allgemeinguͤltig finde, iſt allein das Geſchmacksurtheil. Deſſen Eigenthuͤmlichkeit beſteht aber darinn: daß, ob es gleich blos ſubjective Guͤltigkeit hat, es dennoch alle Subjecte ſo in Anſpruch nimmt, als es nur immer geſchehen koͤnnte, wenn es ein obje-
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
ſtimmen laſſen, da es ein Urtheil des Geſchmacks und
nicht des Verſtandes oder der Vernunft ſeyn ſoll.
Es ſcheint, daß dieſes eine der Haupturſachen ſey,
weswegen man dieſes aͤſthetiſche Beurtheilungsvermoͤgen
gerade mit dem Nahmen des Geſchmacks belegt hat.
Denn es mag mir jemand alle Jngredienzen eines Ge-
richts herzaͤhlen und von jedem bemerken, daß jedes der-
ſelben mir ſonſt angenehm ſey und oben ein die Geſund-
heit dieſes Eſſens mit Recht ruͤhmen, ſo bin ich gegen
alle dieſe Gruͤnde taub, verſuche das Gericht an meiner
Zunge und Gaumen, und darnach (nicht nach allgemei-
nen Principien) faͤlle ich mein Urtheil.
Jn der That wird das Geſchmacksurtheil durchaus
immer als ein einzelnes Urtheil vom Object gefaͤllt. Der
Verſtand kann durch die Vergleichung des Objects im
Puncte des Wohlgefaͤlligen mit dem Urtheile anderer ein
allgemeines Urtheil machen z. B. alle Tulpen ſind ſchoͤn;
aber das iſt alsdenn kein Geſchmacks- ſondern ein logi-
ſches Urtheil, welches die Beziehung eines Objects auf
den Geſchmack zum Praͤdicate der Dinge von einer ge-
wiſſen Art uͤberhaupt machte; dasjenige aber, wodurch
ich eine einzelne gegebene Tulpe ſchoͤn d. i. mein Wohlge-
fallen an derſelben allgemeinguͤltig finde, iſt allein das
Geſchmacksurtheil. Deſſen Eigenthuͤmlichkeit beſteht
aber darinn: daß, ob es gleich blos ſubjective Guͤltigkeit
hat, es dennoch alle Subjecte ſo in Anſpruch nimmt,
als es nur immer geſchehen koͤnnte, wenn es ein obje-
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/204>, abgerufen am 04.12.2024.
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