Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
Gegenstände der Sinne, aber kein Gebiet (sondern nur
ihren Aufenthalt, domicilium); weil sie zwar gesetzlich
erzeugt werden, aber nicht gesetzgebend sind, sondern die
auf sie gegründete Regeln empirisch, mithin zufällig
sind.

Unser gesamtes Erkenntnisvermögen hat zwey Ge-
biete, das der Naturbegriffe und das des Freyheitsbegrifs;
denn durch beyde ist es a priori gesetzgebend. Die Phi-
losophie theilt sich nun auch, diesem gemäs, in die theo-
retische und practische. Aber der Boden, auf dem ihr
Gebiet errichtet wird, und auf welchem ihre Gesetzgebung
ausgeübt wird, ist immer doch nur der Jnbegrif
der Gegenstände aller möglichen Erfahrung, so fern
sie für nichts mehr als bloße Erscheinungen genom-
men werden; denn ohne das würde keine Gesetzgebung
des Verstandes in Ansehung derselben gedacht werden
können.

Die Gesetzgebung durch Naturbegriffe geschieht durch
den Verstand und ist theoretisch. Die Gesetzgebung durch
den Freyheitsbegrif geschieht von der Vernunft, und ist
blos practisch. Nur allein im practischen kann die Ver-
nunft gesetzgebend seyn; in Ansehung des theoretischen
Erkenntnisses (der Natur) kan sie nur (als gesetzkundig,
vermittelst des Verstandes) aus gegebenen Gesetzen durch
Schlüsse Folgerungen ziehen, die doch immer nur bey
der Natur stehen bleiben. Umgekehrt aber wo Regeln

Kants Crit. d. Urtheilskr b

Einleitung.
Gegenſtaͤnde der Sinne, aber kein Gebiet (ſondern nur
ihren Aufenthalt, domicilium); weil ſie zwar geſetzlich
erzeugt werden, aber nicht geſetzgebend ſind, ſondern die
auf ſie gegruͤndete Regeln empiriſch, mithin zufaͤllig
ſind.

Unſer geſamtes Erkenntnisvermoͤgen hat zwey Ge-
biete, das der Naturbegriffe und das des Freyheitsbegrifs;
denn durch beyde iſt es a priori geſetzgebend. Die Phi-
loſophie theilt ſich nun auch, dieſem gemaͤs, in die theo-
retiſche und practiſche. Aber der Boden, auf dem ihr
Gebiet errichtet wird, und auf welchem ihre Geſetzgebung
ausgeuͤbt wird, iſt immer doch nur der Jnbegrif
der Gegenſtaͤnde aller moͤglichen Erfahrung, ſo fern
ſie fuͤr nichts mehr als bloße Erſcheinungen genom-
men werden; denn ohne das wuͤrde keine Geſetzgebung
des Verſtandes in Anſehung derſelben gedacht werden
koͤnnen.

Die Geſetzgebung durch Naturbegriffe geſchieht durch
den Verſtand und iſt theoretiſch. Die Geſetzgebung durch
den Freyheitsbegrif geſchieht von der Vernunft, und iſt
blos practiſch. Nur allein im practiſchen kann die Ver-
nunft geſetzgebend ſeyn; in Anſehung des theoretiſchen
Erkenntniſſes (der Natur) kan ſie nur (als geſetzkundig,
vermittelſt des Verſtandes) aus gegebenen Geſetzen durch
Schluͤſſe Folgerungen ziehen, die doch immer nur bey
der Natur ſtehen bleiben. Umgekehrt aber wo Regeln

Kants Crit. d. Urtheilskr b
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0023" n="XVII"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde der Sinne, aber kein Gebiet (&#x017F;ondern nur<lb/>
ihren Aufenthalt, <hi rendition="#aq">domicilium</hi>); weil &#x017F;ie zwar ge&#x017F;etzlich<lb/>
erzeugt werden, aber nicht ge&#x017F;etzgebend &#x017F;ind, &#x017F;ondern die<lb/>
auf &#x017F;ie gegru&#x0364;ndete Regeln empiri&#x017F;ch, mithin zufa&#x0364;llig<lb/>
&#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Un&#x017F;er ge&#x017F;amtes Erkenntnisvermo&#x0364;gen hat zwey Ge-<lb/>
biete, das der Naturbegriffe und das des Freyheitsbegrifs;<lb/>
denn durch beyde i&#x017F;t es <hi rendition="#aq">a priori</hi> ge&#x017F;etzgebend. Die Phi-<lb/>
lo&#x017F;ophie theilt &#x017F;ich nun auch, die&#x017F;em gema&#x0364;s, in die theo-<lb/>
reti&#x017F;che und practi&#x017F;che. Aber der Boden, auf dem ihr<lb/>
Gebiet errichtet wird, und auf welchem ihre Ge&#x017F;etzgebung<lb/><hi rendition="#fr">ausgeu&#x0364;bt</hi> wird, i&#x017F;t immer doch nur der Jnbegrif<lb/>
der Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde aller mo&#x0364;glichen Erfahrung, &#x017F;o fern<lb/>
&#x017F;ie fu&#x0364;r nichts mehr als bloße Er&#x017F;cheinungen genom-<lb/>
men werden; denn ohne das wu&#x0364;rde keine Ge&#x017F;etzgebung<lb/>
des Ver&#x017F;tandes in An&#x017F;ehung der&#x017F;elben gedacht werden<lb/>
ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Die Ge&#x017F;etzgebung durch Naturbegriffe ge&#x017F;chieht durch<lb/>
den Ver&#x017F;tand und i&#x017F;t theoreti&#x017F;ch. Die Ge&#x017F;etzgebung durch<lb/>
den Freyheitsbegrif ge&#x017F;chieht von der Vernunft, und i&#x017F;t<lb/>
blos practi&#x017F;ch. Nur allein im practi&#x017F;chen kann die Ver-<lb/>
nunft ge&#x017F;etzgebend &#x017F;eyn; in An&#x017F;ehung des theoreti&#x017F;chen<lb/>
Erkenntni&#x017F;&#x017F;es (der Natur) kan &#x017F;ie nur (als ge&#x017F;etzkundig,<lb/>
vermittel&#x017F;t des Ver&#x017F;tandes) aus gegebenen Ge&#x017F;etzen durch<lb/>
Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e Folgerungen ziehen, die doch immer nur bey<lb/>
der Natur &#x017F;tehen bleiben. Umgekehrt aber wo Regeln<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Kants Crit. d. Urtheilskr</hi> b</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[XVII/0023] Einleitung. Gegenſtaͤnde der Sinne, aber kein Gebiet (ſondern nur ihren Aufenthalt, domicilium); weil ſie zwar geſetzlich erzeugt werden, aber nicht geſetzgebend ſind, ſondern die auf ſie gegruͤndete Regeln empiriſch, mithin zufaͤllig ſind. Unſer geſamtes Erkenntnisvermoͤgen hat zwey Ge- biete, das der Naturbegriffe und das des Freyheitsbegrifs; denn durch beyde iſt es a priori geſetzgebend. Die Phi- loſophie theilt ſich nun auch, dieſem gemaͤs, in die theo- retiſche und practiſche. Aber der Boden, auf dem ihr Gebiet errichtet wird, und auf welchem ihre Geſetzgebung ausgeuͤbt wird, iſt immer doch nur der Jnbegrif der Gegenſtaͤnde aller moͤglichen Erfahrung, ſo fern ſie fuͤr nichts mehr als bloße Erſcheinungen genom- men werden; denn ohne das wuͤrde keine Geſetzgebung des Verſtandes in Anſehung derſelben gedacht werden koͤnnen. Die Geſetzgebung durch Naturbegriffe geſchieht durch den Verſtand und iſt theoretiſch. Die Geſetzgebung durch den Freyheitsbegrif geſchieht von der Vernunft, und iſt blos practiſch. Nur allein im practiſchen kann die Ver- nunft geſetzgebend ſeyn; in Anſehung des theoretiſchen Erkenntniſſes (der Natur) kan ſie nur (als geſetzkundig, vermittelſt des Verſtandes) aus gegebenen Geſetzen durch Schluͤſſe Folgerungen ziehen, die doch immer nur bey der Natur ſtehen bleiben. Umgekehrt aber wo Regeln Kants Crit. d. Urtheilskr b

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/23
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. XVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/23>, abgerufen am 04.12.2024.