deren Größe sich nach einem bestimmten Maasstabe beurtheilen, erzwingen oder bezahlen läßt, sondern auch daß das Gemüth sich zwar beschäftigt aber dabey doch, ohne auf einen andern Zweck hinauszusehen, (unabhängig vom Lohne) befriedigt und erweckt fühlt.
Der Redner giebt also zwar etwas, was er nicht verspricht, nämlich ein unterhaltendes Spiel der Einbil- dungskraft; aber er bricht auch dem etwas ab, was er verspricht, und was doch sein angekündigtes Geschäfte ist, nämlich den Verstand zweckmäßig zu beschäftigen. Der Dichter dagegen verspricht wenig und kündigt ein bloßes Spiel mit Jdeen an, leistet aber etwas, was eines Geschäftes würdig ist, nämlich dem Verstande spielend Nahrung zu verschaffen und seinen Begriffen durch Einbildungskraft Leben zu geben.
2) Die bildende Künste, oder die des Aus- drucks für Jdeen in der Sinnenanschauung (nicht durch Vorstellungen der bloßen Einbildungskraft, die durch Worte aufgeregt werden) sind entweder die der Sinnenwahrheit oder des Sinnenscheins. Die erste heißt die Plastick, die zweyte die Mahlerey. Beide machen Gestalten im Raume zum Ausdrucke für Jdeen: jene macht Gestalten für zwey Sinne kennbar, dem Gesichte und Gefühl (ob zwar den letzteren nicht in Absicht auf Schönheit) diese nur für den erstern. Die ästhetische Jdee (Archetypon, Urbild) liegt zu beyden in der Einbildungskraft zum Grunde, die Gestalt aber, die
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
deren Groͤße ſich nach einem beſtimmten Maasſtabe beurtheilen, erzwingen oder bezahlen laͤßt, ſondern auch daß das Gemuͤth ſich zwar beſchaͤftigt aber dabey doch, ohne auf einen andern Zweck hinauszuſehen, (unabhaͤngig vom Lohne) befriedigt und erweckt fuͤhlt.
Der Redner giebt alſo zwar etwas, was er nicht verſpricht, naͤmlich ein unterhaltendes Spiel der Einbil- dungskraft; aber er bricht auch dem etwas ab, was er verſpricht, und was doch ſein angekuͤndigtes Geſchaͤfte iſt, naͤmlich den Verſtand zweckmaͤßig zu beſchaͤftigen. Der Dichter dagegen verſpricht wenig und kuͤndigt ein bloßes Spiel mit Jdeen an, leiſtet aber etwas, was eines Geſchaͤftes wuͤrdig iſt, naͤmlich dem Verſtande ſpielend Nahrung zu verſchaffen und ſeinen Begriffen durch Einbildungskraft Leben zu geben.
2) Die bildende Kuͤnſte, oder die des Aus- drucks fuͤr Jdeen in der Sinnenanſchauung (nicht durch Vorſtellungen der bloßen Einbildungskraft, die durch Worte aufgeregt werden) ſind entweder die der Sinnenwahrheit oder des Sinnenſcheins. Die erſte heißt die Plaſtick, die zweyte die Mahlerey. Beide machen Geſtalten im Raume zum Ausdrucke fuͤr Jdeen: jene macht Geſtalten fuͤr zwey Sinne kennbar, dem Geſichte und Gefuͤhl (ob zwar den letzteren nicht in Abſicht auf Schoͤnheit) dieſe nur fuͤr den erſtern. Die aͤſthetiſche Jdee (Archetypon, Urbild) liegt zu beyden in der Einbildungskraft zum Grunde, die Geſtalt aber, die
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
deren Groͤße ſich nach einem beſtimmten Maasſtabe
beurtheilen, erzwingen oder bezahlen laͤßt, ſondern auch
daß das Gemuͤth ſich zwar beſchaͤftigt aber dabey
doch, ohne auf einen andern Zweck hinauszuſehen,
(unabhaͤngig vom Lohne) befriedigt und erweckt fuͤhlt.
Der Redner giebt alſo zwar etwas, was er nicht
verſpricht, naͤmlich ein unterhaltendes Spiel der Einbil-
dungskraft; aber er bricht auch dem etwas ab, was er
verſpricht, und was doch ſein angekuͤndigtes Geſchaͤfte
iſt, naͤmlich den Verſtand zweckmaͤßig zu beſchaͤftigen.
Der Dichter dagegen verſpricht wenig und kuͤndigt ein
bloßes Spiel mit Jdeen an, leiſtet aber etwas, was
eines Geſchaͤftes wuͤrdig iſt, naͤmlich dem Verſtande
ſpielend Nahrung zu verſchaffen und ſeinen Begriffen
durch Einbildungskraft Leben zu geben.
2) Die bildende Kuͤnſte, oder die des Aus-
drucks fuͤr Jdeen in der Sinnenanſchauung (nicht
durch Vorſtellungen der bloßen Einbildungskraft, die
durch Worte aufgeregt werden) ſind entweder die der
Sinnenwahrheit oder des Sinnenſcheins. Die
erſte heißt die Plaſtick, die zweyte die Mahlerey.
Beide machen Geſtalten im Raume zum Ausdrucke fuͤr
Jdeen: jene macht Geſtalten fuͤr zwey Sinne kennbar,
dem Geſichte und Gefuͤhl (ob zwar den letzteren nicht in
Abſicht auf Schoͤnheit) dieſe nur fuͤr den erſtern. Die
aͤſthetiſche Jdee (Archetypon, Urbild) liegt zu beyden in
der Einbildungskraft zum Grunde, die Geſtalt aber, die
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/268>, abgerufen am 05.12.2024.
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