Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

schaffen konnte. Diese mancherlei kleinen Hülfsquellen
kamen auch allerdings ihrer Haushaltung wohl zu
statten und würden sie ziemlich kummerfrei gemacht
haben, wenn ihr Mann solche Einkünfte ordentlich an-
gewandt hätte. Allein jemehr sie erwarb, jemehr fürch-
tete er sich vor ihren Vorwürfen, welche sie nun einmal
nicht lassen konnte, und je mehr ging er ins Trinkhaus.
Auf die Weise fielen sie oft wieder in den traurigsten
Mangel zurück, und ehe Gelegenheit kam, wo die Dich-
terin etwas gewinnen konnte, waren schon mehrere
Schulden gemacht, als ihr Verdienst einbrachte. Dazu
wuchsen täglich die häuslichen Mißhelligkeiten mehr
an: je mehr sie sich Freunde erwarb, je mehr lernte sie
sich fühlen. Sie sahe nun ein, daß sie allein im Stande
war, sich zu ernähren und Ehre zu erwerben; und um
so mehr war ihr Mann eine überlästige Person in ih-
rer Haushaltung. Er setzte Kinder in die Welt, welche
sie ernähren mußte, weil er weder große Geschicklich-
keit noch Lust zum Arbeiten hatte. Warf sie ihm dies
vor, so konnte es nicht ausbleiben, daß sie, wenn er
trunken war, gemißhandelt wurde, und je mehr sie sich
beschwerte, je übler verfuhr er mit ihr. Dennoch blie-
ben sie beisammen und sie gebahr ihm die zweite Toch-
ter, ein Engelgleiches Kind, welches wegen seiner klei-
nen Mitleid fodernden Gestalt sogleich das ganze Herz
der Mutter gewann. Sie hatte es nicht allein vor-

ſchaffen konnte. Dieſe mancherlei kleinen Huͤlfsquellen
kamen auch allerdings ihrer Haushaltung wohl zu
ſtatten und wuͤrden ſie ziemlich kummerfrei gemacht
haben, wenn ihr Mann ſolche Einkuͤnfte ordentlich an-
gewandt haͤtte. Allein jemehr ſie erwarb, jemehr fuͤrch-
tete er ſich vor ihren Vorwuͤrfen, welche ſie nun einmal
nicht laſſen konnte, und je mehr ging er ins Trinkhaus.
Auf die Weiſe fielen ſie oft wieder in den traurigſten
Mangel zuruͤck, und ehe Gelegenheit kam, wo die Dich-
terin etwas gewinnen konnte, waren ſchon mehrere
Schulden gemacht, als ihr Verdienſt einbrachte. Dazu
wuchſen taͤglich die haͤuslichen Mißhelligkeiten mehr
an: je mehr ſie ſich Freunde erwarb, je mehr lernte ſie
ſich fuͤhlen. Sie ſahe nun ein, daß ſie allein im Stande
war, ſich zu ernaͤhren und Ehre zu erwerben; und um
ſo mehr war ihr Mann eine uͤberlaͤſtige Perſon in ih-
rer Haushaltung. Er ſetzte Kinder in die Welt, welche
ſie ernaͤhren mußte, weil er weder große Geſchicklich-
keit noch Luſt zum Arbeiten hatte. Warf ſie ihm dies
vor, ſo konnte es nicht ausbleiben, daß ſie, wenn er
trunken war, gemißhandelt wurde, und je mehr ſie ſich
beſchwerte, je uͤbler verfuhr er mit ihr. Dennoch blie-
ben ſie beiſammen und ſie gebahr ihm die zweite Toch-
ter, ein Engelgleiches Kind, welches wegen ſeiner klei-
nen Mitleid fodernden Geſtalt ſogleich das ganze Herz
der Mutter gewann. Sie hatte es nicht allein vor-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0100" n="68"/>
&#x017F;chaffen konnte. Die&#x017F;e mancherlei kleinen Hu&#x0364;lfsquellen<lb/>
kamen auch allerdings ihrer Haushaltung wohl zu<lb/>
&#x017F;tatten und wu&#x0364;rden &#x017F;ie ziemlich kummerfrei gemacht<lb/>
haben, wenn ihr Mann &#x017F;olche Einku&#x0364;nfte ordentlich an-<lb/>
gewandt ha&#x0364;tte. Allein jemehr &#x017F;ie erwarb, jemehr fu&#x0364;rch-<lb/>
tete er &#x017F;ich vor ihren Vorwu&#x0364;rfen, welche &#x017F;ie nun einmal<lb/>
nicht la&#x017F;&#x017F;en konnte, und je mehr ging er ins Trinkhaus.<lb/>
Auf die Wei&#x017F;e fielen &#x017F;ie oft wieder in den traurig&#x017F;ten<lb/>
Mangel zuru&#x0364;ck, und ehe Gelegenheit kam, wo die Dich-<lb/>
terin etwas gewinnen konnte, waren &#x017F;chon mehrere<lb/>
Schulden gemacht, als ihr Verdien&#x017F;t einbrachte. Dazu<lb/>
wuch&#x017F;en ta&#x0364;glich die ha&#x0364;uslichen Mißhelligkeiten mehr<lb/>
an: je mehr &#x017F;ie &#x017F;ich Freunde erwarb, je mehr lernte &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich fu&#x0364;hlen. Sie &#x017F;ahe nun ein, daß &#x017F;ie allein im Stande<lb/>
war, &#x017F;ich zu erna&#x0364;hren und Ehre zu erwerben; und um<lb/>
&#x017F;o mehr war ihr Mann eine u&#x0364;berla&#x0364;&#x017F;tige Per&#x017F;on in ih-<lb/>
rer Haushaltung. Er &#x017F;etzte Kinder in die Welt, welche<lb/>
&#x017F;ie erna&#x0364;hren mußte, weil er weder große Ge&#x017F;chicklich-<lb/>
keit noch Lu&#x017F;t zum Arbeiten hatte. Warf &#x017F;ie ihm dies<lb/>
vor, &#x017F;o konnte es nicht ausbleiben, daß &#x017F;ie, wenn er<lb/>
trunken war, gemißhandelt wurde, und je mehr &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
be&#x017F;chwerte, je u&#x0364;bler verfuhr er mit ihr. Dennoch blie-<lb/>
ben &#x017F;ie bei&#x017F;ammen und &#x017F;ie gebahr ihm die zweite Toch-<lb/>
ter, ein Engelgleiches Kind, welches wegen &#x017F;einer klei-<lb/>
nen Mitleid fodernden Ge&#x017F;talt &#x017F;ogleich das ganze Herz<lb/>
der Mutter gewann. Sie hatte es nicht allein vor-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0100] ſchaffen konnte. Dieſe mancherlei kleinen Huͤlfsquellen kamen auch allerdings ihrer Haushaltung wohl zu ſtatten und wuͤrden ſie ziemlich kummerfrei gemacht haben, wenn ihr Mann ſolche Einkuͤnfte ordentlich an- gewandt haͤtte. Allein jemehr ſie erwarb, jemehr fuͤrch- tete er ſich vor ihren Vorwuͤrfen, welche ſie nun einmal nicht laſſen konnte, und je mehr ging er ins Trinkhaus. Auf die Weiſe fielen ſie oft wieder in den traurigſten Mangel zuruͤck, und ehe Gelegenheit kam, wo die Dich- terin etwas gewinnen konnte, waren ſchon mehrere Schulden gemacht, als ihr Verdienſt einbrachte. Dazu wuchſen taͤglich die haͤuslichen Mißhelligkeiten mehr an: je mehr ſie ſich Freunde erwarb, je mehr lernte ſie ſich fuͤhlen. Sie ſahe nun ein, daß ſie allein im Stande war, ſich zu ernaͤhren und Ehre zu erwerben; und um ſo mehr war ihr Mann eine uͤberlaͤſtige Perſon in ih- rer Haushaltung. Er ſetzte Kinder in die Welt, welche ſie ernaͤhren mußte, weil er weder große Geſchicklich- keit noch Luſt zum Arbeiten hatte. Warf ſie ihm dies vor, ſo konnte es nicht ausbleiben, daß ſie, wenn er trunken war, gemißhandelt wurde, und je mehr ſie ſich beſchwerte, je uͤbler verfuhr er mit ihr. Dennoch blie- ben ſie beiſammen und ſie gebahr ihm die zweite Toch- ter, ein Engelgleiches Kind, welches wegen ſeiner klei- nen Mitleid fodernden Geſtalt ſogleich das ganze Herz der Mutter gewann. Sie hatte es nicht allein vor-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/100
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/100>, abgerufen am 21.11.2024.