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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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züglich lieb, sondern es wurde ihr Alles, ihre Freude,
ihr Wunsch und das Leben ihres Lebens! Allein die
Vorsicht, welche der Dichterin das Glück großer Ehre
zugedacht hatte, nahm ihr das Glück ihres Herzens
durch den Tod. Das geliebte Kind starb, als es sieben
Jahr alt war, zu Groß-Glogau.

Bis dahin verlebte sie noch ein paar kummervolle
Jahre in Fraustadt. Einsmals, als sie das Kind ih-
res Herzens noch an der Brust tränkte, war sie wegen
Geldmangel genöthiget, eine Reise nach Pohlnisch
Lissa zu thun, wo einer ihrer vornehmen Freunde
Hochzeit machte. Es war im kalten Februar, und die
Dichterin hatte nichts als ein luftiges Sommergewand
anzuziehn. Ein Nord mit Schneegestöber brausete
hinter ihren eiligen Schritten her, und in ihrer Tasche
befand sich kein Heller, wodurch sie ihre halberstarr-
ten Glieder hätte wieder erwärmen können. Sie kam
aber glücklich zur rechten Zeit nach Lissa, wo man sie
denn desto reichlicher erquickte und beschenkte, auch sie
wieder nach Hause fahren ließ. Allein von der Erkäl-
tung, welche das bis zu ihrer Wiederkunft halb ver-
schmachtete Kind durch die Milch einsog, ward es sehr
krank und bekam ein tödtliches Fieber, welches die
Dichterin sich stets mit Wehmuth erinnerte.

So mußte sie jede Gelegenheit ergreifen, um sich
etwas mit ihrer Muse zu erwerben; und die Noth,

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zuͤglich lieb, ſondern es wurde ihr Alles, ihre Freude,
ihr Wunſch und das Leben ihres Lebens! Allein die
Vorſicht, welche der Dichterin das Gluͤck großer Ehre
zugedacht hatte, nahm ihr das Gluͤck ihres Herzens
durch den Tod. Das geliebte Kind ſtarb, als es ſieben
Jahr alt war, zu Groß-Glogau.

Bis dahin verlebte ſie noch ein paar kummervolle
Jahre in Frauſtadt. Einsmals, als ſie das Kind ih-
res Herzens noch an der Bruſt traͤnkte, war ſie wegen
Geldmangel genoͤthiget, eine Reiſe nach Pohlniſch
Liſſa zu thun, wo einer ihrer vornehmen Freunde
Hochzeit machte. Es war im kalten Februar, und die
Dichterin hatte nichts als ein luftiges Sommergewand
anzuziehn. Ein Nord mit Schneegeſtoͤber brauſete
hinter ihren eiligen Schritten her, und in ihrer Taſche
befand ſich kein Heller, wodurch ſie ihre halberſtarr-
ten Glieder haͤtte wieder erwaͤrmen koͤnnen. Sie kam
aber gluͤcklich zur rechten Zeit nach Liſſa, wo man ſie
denn deſto reichlicher erquickte und beſchenkte, auch ſie
wieder nach Hauſe fahren ließ. Allein von der Erkaͤl-
tung, welche das bis zu ihrer Wiederkunft halb ver-
ſchmachtete Kind durch die Milch einſog, ward es ſehr
krank und bekam ein toͤdtliches Fieber, welches die
Dichterin ſich ſtets mit Wehmuth erinnerte.

So mußte ſie jede Gelegenheit ergreifen, um ſich
etwas mit ihrer Muſe zu erwerben; und die Noth,

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[69/0101] zuͤglich lieb, ſondern es wurde ihr Alles, ihre Freude, ihr Wunſch und das Leben ihres Lebens! Allein die Vorſicht, welche der Dichterin das Gluͤck großer Ehre zugedacht hatte, nahm ihr das Gluͤck ihres Herzens durch den Tod. Das geliebte Kind ſtarb, als es ſieben Jahr alt war, zu Groß-Glogau. Bis dahin verlebte ſie noch ein paar kummervolle Jahre in Frauſtadt. Einsmals, als ſie das Kind ih- res Herzens noch an der Bruſt traͤnkte, war ſie wegen Geldmangel genoͤthiget, eine Reiſe nach Pohlniſch Liſſa zu thun, wo einer ihrer vornehmen Freunde Hochzeit machte. Es war im kalten Februar, und die Dichterin hatte nichts als ein luftiges Sommergewand anzuziehn. Ein Nord mit Schneegeſtoͤber brauſete hinter ihren eiligen Schritten her, und in ihrer Taſche befand ſich kein Heller, wodurch ſie ihre halberſtarr- ten Glieder haͤtte wieder erwaͤrmen koͤnnen. Sie kam aber gluͤcklich zur rechten Zeit nach Liſſa, wo man ſie denn deſto reichlicher erquickte und beſchenkte, auch ſie wieder nach Hauſe fahren ließ. Allein von der Erkaͤl- tung, welche das bis zu ihrer Wiederkunft halb ver- ſchmachtete Kind durch die Milch einſog, ward es ſehr krank und bekam ein toͤdtliches Fieber, welches die Dichterin ſich ſtets mit Wehmuth erinnerte. So mußte ſie jede Gelegenheit ergreifen, um ſich etwas mit ihrer Muſe zu erwerben; und die Noth, e 3

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/101>, abgerufen am 21.11.2024.