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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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dem Staube heraus, welcher es bedeckte, und mun-
terten sie durch Gastfreiheit und kleine Geschenke auf,
ihr Talent zu üben. Dankbarkeit und Geistesfeuer
würden sie schon hier zur Dichterin gemacht haben,
wäre sie auch nicht so sehr von der Nothwendigkeit ge-
drungen worden. Nun war die Bahn geöffnet, nun
sahe sie den Weg vor sich, auf welchem sie sich allen-
falls vor den größten Mangel schützen konnte. Sie
ergriff jede Gelegenheit, worüber sich Verse machen
ließen, und indem es ihr die Armuth hieß, alles mit-
zunehmen, wodurch sie etwas gewinnen konnte, übte
sie zugleich die Kräfte ihres Genies und wurde mit je-
dem Tage stärker darin. Fraustadt allein konnte ihr
nicht Gelegenheiten genug geben, um sich etwas zu
verdienen; sie bereisete also die benachbarten Städte
und Dörfer, wo sie sich den vornehmsten Einwohnern
bekannt machte, unter ihren Augen die Verse nieder-
schrieb, welche man von ihr verlangte, und mit Ge-
schenken wieder in ihre Heimath zurückkehrte. Keine
Wallfahrt dünkte ihr zu mühsam, welche sie in dieser
Absicht machte, und keine Jahrszeit hielt sie davon zu-
rück, so bald der Drang der Nahrungssorgen ihr kein
andres Mittel übrig ließ. Sie besang Hochzeiten,
Kindtaufen, Namens- und Geburtstage und allerlei
Vorfälle im menschlichen Leben, und sang mit Freu-
den, wenn sie nur dadurch den Unterhalt eines Tages

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dem Staube heraus, welcher es bedeckte, und mun-
terten ſie durch Gaſtfreiheit und kleine Geſchenke auf,
ihr Talent zu uͤben. Dankbarkeit und Geiſtesfeuer
wuͤrden ſie ſchon hier zur Dichterin gemacht haben,
waͤre ſie auch nicht ſo ſehr von der Nothwendigkeit ge-
drungen worden. Nun war die Bahn geoͤffnet, nun
ſahe ſie den Weg vor ſich, auf welchem ſie ſich allen-
falls vor den groͤßten Mangel ſchuͤtzen konnte. Sie
ergriff jede Gelegenheit, woruͤber ſich Verſe machen
ließen, und indem es ihr die Armuth hieß, alles mit-
zunehmen, wodurch ſie etwas gewinnen konnte, uͤbte
ſie zugleich die Kraͤfte ihres Genies und wurde mit je-
dem Tage ſtaͤrker darin. Frauſtadt allein konnte ihr
nicht Gelegenheiten genug geben, um ſich etwas zu
verdienen; ſie bereiſete alſo die benachbarten Staͤdte
und Doͤrfer, wo ſie ſich den vornehmſten Einwohnern
bekannt machte, unter ihren Augen die Verſe nieder-
ſchrieb, welche man von ihr verlangte, und mit Ge-
ſchenken wieder in ihre Heimath zuruͤckkehrte. Keine
Wallfahrt duͤnkte ihr zu muͤhſam, welche ſie in dieſer
Abſicht machte, und keine Jahrszeit hielt ſie davon zu-
ruͤck, ſo bald der Drang der Nahrungsſorgen ihr kein
andres Mittel uͤbrig ließ. Sie beſang Hochzeiten,
Kindtaufen, Namens- und Geburtstage und allerlei
Vorfaͤlle im menſchlichen Leben, und ſang mit Freu-
den, wenn ſie nur dadurch den Unterhalt eines Tages

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[67/0099] dem Staube heraus, welcher es bedeckte, und mun- terten ſie durch Gaſtfreiheit und kleine Geſchenke auf, ihr Talent zu uͤben. Dankbarkeit und Geiſtesfeuer wuͤrden ſie ſchon hier zur Dichterin gemacht haben, waͤre ſie auch nicht ſo ſehr von der Nothwendigkeit ge- drungen worden. Nun war die Bahn geoͤffnet, nun ſahe ſie den Weg vor ſich, auf welchem ſie ſich allen- falls vor den groͤßten Mangel ſchuͤtzen konnte. Sie ergriff jede Gelegenheit, woruͤber ſich Verſe machen ließen, und indem es ihr die Armuth hieß, alles mit- zunehmen, wodurch ſie etwas gewinnen konnte, uͤbte ſie zugleich die Kraͤfte ihres Genies und wurde mit je- dem Tage ſtaͤrker darin. Frauſtadt allein konnte ihr nicht Gelegenheiten genug geben, um ſich etwas zu verdienen; ſie bereiſete alſo die benachbarten Staͤdte und Doͤrfer, wo ſie ſich den vornehmſten Einwohnern bekannt machte, unter ihren Augen die Verſe nieder- ſchrieb, welche man von ihr verlangte, und mit Ge- ſchenken wieder in ihre Heimath zuruͤckkehrte. Keine Wallfahrt duͤnkte ihr zu muͤhſam, welche ſie in dieſer Abſicht machte, und keine Jahrszeit hielt ſie davon zu- ruͤck, ſo bald der Drang der Nahrungsſorgen ihr kein andres Mittel uͤbrig ließ. Sie beſang Hochzeiten, Kindtaufen, Namens- und Geburtstage und allerlei Vorfaͤlle im menſchlichen Leben, und ſang mit Freu- den, wenn ſie nur dadurch den Unterhalt eines Tages e 2

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/99>, abgerufen am 21.11.2024.