bricht: ohne Einschränkung und gefällige Regeln; al- lein doch so, daß man sah, daß es schön und gefällig werden wollte. Sie ward die Siegessängerin des Kö- nigs; je größer seine Siege wurden, je höher griff sie die Saiten ihrer Leier, und jedermann staunte. Weit und breit wurde dies Wunder von Weibe bekannt, welches so tief unter der Hülle der Armuth verborgen, einen göttlichen König in göttlichen Tönen besang. Aus- wärtige hörten sie, hörten sie mit Entzücken, und konn- tens nicht glauben, bis sie durch reisende Fremden von der Wahrheit versichert wurden.
Dennoch brachten ihre Arbeiten selten so viel ein, daß sie den andern Morgen ohne Kummer hätte er- warten können; denn es fehlte oft an Gelegenheit, welche Nutzen brachte; und ihres Mannes Gewerbe ging hier noch schlechter fort als in Fraustadt, weil hier die Mode eigensinniger war als dort. Auch mied er nur eine Weile lang den Trunk, und setzte die üble Gewohnheit zu trinken auch in dieser Stadt von Zeit zu Zeit fort, ob er gleich hier mehrere Aufpasser sei- ner Sitten hatte, als zu Fraustadt. Dieses verhin- derte die Ordnung der Haushaltung, und vernichtete allen aufkeimenden Wohlstand derselben.
Als sich die Familie ein Jahr in Glogau befunden hatte, gebahr die Dichter in dem Karsch ihr drittes
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bricht: ohne Einſchraͤnkung und gefaͤllige Regeln; al- lein doch ſo, daß man ſah, daß es ſchoͤn und gefaͤllig werden wollte. Sie ward die Siegesſaͤngerin des Koͤ- nigs; je groͤßer ſeine Siege wurden, je hoͤher griff ſie die Saiten ihrer Leier, und jedermann ſtaunte. Weit und breit wurde dies Wunder von Weibe bekannt, welches ſo tief unter der Huͤlle der Armuth verborgen, einen goͤttlichen Koͤnig in goͤttlichen Toͤnen beſang. Aus- waͤrtige hoͤrten ſie, hoͤrten ſie mit Entzuͤcken, und konn- tens nicht glauben, bis ſie durch reiſende Fremden von der Wahrheit verſichert wurden.
Dennoch brachten ihre Arbeiten ſelten ſo viel ein, daß ſie den andern Morgen ohne Kummer haͤtte er- warten koͤnnen; denn es fehlte oft an Gelegenheit, welche Nutzen brachte; und ihres Mannes Gewerbe ging hier noch ſchlechter fort als in Frauſtadt, weil hier die Mode eigenſinniger war als dort. Auch mied er nur eine Weile lang den Trunk, und ſetzte die uͤble Gewohnheit zu trinken auch in dieſer Stadt von Zeit zu Zeit fort, ob er gleich hier mehrere Aufpaſſer ſei- ner Sitten hatte, als zu Frauſtadt. Dieſes verhin- derte die Ordnung der Haushaltung, und vernichtete allen aufkeimenden Wohlſtand derſelben.
Als ſich die Familie ein Jahr in Glogau befunden hatte, gebahr die Dichter in dem Karſch ihr drittes
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bricht: ohne Einſchraͤnkung und gefaͤllige Regeln; al-
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werden wollte. Sie ward die Siegesſaͤngerin des Koͤ-
nigs; je groͤßer ſeine Siege wurden, je hoͤher griff ſie
die Saiten ihrer Leier, und jedermann ſtaunte. Weit
und breit wurde dies Wunder von Weibe bekannt,
welches ſo tief unter der Huͤlle der Armuth verborgen,
einen goͤttlichen Koͤnig in goͤttlichen Toͤnen beſang. Aus-
waͤrtige hoͤrten ſie, hoͤrten ſie mit Entzuͤcken, und konn-
tens nicht glauben, bis ſie durch reiſende Fremden von
der Wahrheit verſichert wurden.
Dennoch brachten ihre Arbeiten ſelten ſo viel ein,
daß ſie den andern Morgen ohne Kummer haͤtte er-
warten koͤnnen; denn es fehlte oft an Gelegenheit,
welche Nutzen brachte; und ihres Mannes Gewerbe
ging hier noch ſchlechter fort als in Frauſtadt, weil
hier die Mode eigenſinniger war als dort. Auch mied
er nur eine Weile lang den Trunk, und ſetzte die uͤble
Gewohnheit zu trinken auch in dieſer Stadt von Zeit
zu Zeit fort, ob er gleich hier mehrere Aufpaſſer ſei-
ner Sitten hatte, als zu Frauſtadt. Dieſes verhin-
derte die Ordnung der Haushaltung, und vernichtete
allen aufkeimenden Wohlſtand derſelben.
Als ſich die Familie ein Jahr in Glogau befunden
hatte, gebahr die Dichter in dem Karſch ihr drittes
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/105>, abgerufen am 21.11.2024.
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