die Edlen im Lande, und selbst im Auslande, suchten ihre schriftliche Bekanntschaft. Der Generallieutenant von Seidlitz schrieb aus dem Felde an sie, in Ausdrücken der innigsten Verehrung ihres Genies; und als die Dichterin ihm, wie auf die Sprache der Großen, antwortete; schrieb er ihr bald in einem an- dern Briefe zurück: er wünschte, daß sie unglücklich seyn möchte, damit er das Vergnügen haben könnte, ihr Erster Freund zu werden. Vermuthlich hatte der General nicht genaue Kundschaft von ihrem Schicksal, sondern stellte zu dem Feuer ihrer Gesänge ein schönes, junges, feuriges Weib, ein Bild seiner Einbildungs- kraft. Als er hernach von ihrem Selbst näher unter- richtet worden, hörte der feurige Briefwechsel auf, und schloß sich zuletzt in Stillschweigen.
Indessen wuchs die Zahl ihrer gegenwärtigen und auswärtigen Bewunderer immer mehr an, ob sie gleich nur noch weitscheifige und in mancher Rücksicht un- wichtige Gedichte machte. Allein, jedes verrieth das Original-Genie, und dieser Stempel fand überall seine Kenner. Ihr Ruf war auch nach Berlin erschollen. Verschiedene von den Einwohnern dieser Stadt schrie- ben an die Dichterin, aus Verlangen, Briefe von ihr zu lesen, vorzüglich eine Generalin von Wreech, welche nachher Anlaß gab, daß sie nach Berlin geführt ward. Aber die Dichterin kannte nichts von der Seltenheit
die Edlen im Lande, und ſelbſt im Auslande, ſuchten ihre ſchriftliche Bekanntſchaft. Der Generallieutenant von Seidlitz ſchrieb aus dem Felde an ſie, in Ausdruͤcken der innigſten Verehrung ihres Genies; und als die Dichterin ihm, wie auf die Sprache der Großen, antwortete; ſchrieb er ihr bald in einem an- dern Briefe zuruͤck: er wuͤnſchte, daß ſie ungluͤcklich ſeyn moͤchte, damit er das Vergnuͤgen haben koͤnnte, ihr Erſter Freund zu werden. Vermuthlich hatte der General nicht genaue Kundſchaft von ihrem Schickſal, ſondern ſtellte zu dem Feuer ihrer Geſaͤnge ein ſchoͤnes, junges, feuriges Weib, ein Bild ſeiner Einbildungs- kraft. Als er hernach von ihrem Selbſt naͤher unter- richtet worden, hoͤrte der feurige Briefwechſel auf, und ſchloß ſich zuletzt in Stillſchweigen.
Indeſſen wuchs die Zahl ihrer gegenwaͤrtigen und auswaͤrtigen Bewunderer immer mehr an, ob ſie gleich nur noch weitſcheifige und in mancher Ruͤckſicht un- wichtige Gedichte machte. Allein, jedes verrieth das Original-Genie, und dieſer Stempel fand uͤberall ſeine Kenner. Ihr Ruf war auch nach Berlin erſchollen. Verſchiedene von den Einwohnern dieſer Stadt ſchrie- ben an die Dichterin, aus Verlangen, Briefe von ihr zu leſen, vorzuͤglich eine Generalin von Wreech, welche nachher Anlaß gab, daß ſie nach Berlin gefuͤhrt ward. Aber die Dichterin kannte nichts von der Seltenheit
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die Edlen im Lande, und ſelbſt im Auslande, ſuchten
ihre ſchriftliche Bekanntſchaft. Der Generallieutenant
von Seidlitz ſchrieb aus dem Felde an ſie, in
Ausdruͤcken der innigſten Verehrung ihres Genies;
und als die Dichterin ihm, wie auf die Sprache der
Großen, antwortete; ſchrieb er ihr bald in einem an-
dern Briefe zuruͤck: er wuͤnſchte, daß ſie ungluͤcklich
ſeyn moͤchte, damit er das Vergnuͤgen haben koͤnnte,
ihr Erſter Freund zu werden. Vermuthlich hatte der
General nicht genaue Kundſchaft von ihrem Schickſal,
ſondern ſtellte zu dem Feuer ihrer Geſaͤnge ein ſchoͤnes,
junges, feuriges Weib, ein Bild ſeiner Einbildungs-
kraft. Als er hernach von ihrem Selbſt naͤher unter-
richtet worden, hoͤrte der feurige Briefwechſel auf,
und ſchloß ſich zuletzt in Stillſchweigen.
Indeſſen wuchs die Zahl ihrer gegenwaͤrtigen und
auswaͤrtigen Bewunderer immer mehr an, ob ſie gleich
nur noch weitſcheifige und in mancher Ruͤckſicht un-
wichtige Gedichte machte. Allein, jedes verrieth das
Original-Genie, und dieſer Stempel fand uͤberall ſeine
Kenner. Ihr Ruf war auch nach Berlin erſchollen.
Verſchiedene von den Einwohnern dieſer Stadt ſchrie-
ben an die Dichterin, aus Verlangen, Briefe von ihr
zu leſen, vorzuͤglich eine Generalin von Wreech, welche
nachher Anlaß gab, daß ſie nach Berlin gefuͤhrt ward.
Aber die Dichterin kannte nichts von der Seltenheit
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/110>, abgerufen am 21.11.2024.
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