Gelegenheit hatte, nach und nach alle die übrigen ihr vortheiihaften Bekanntschaften zu machen.
Nach einigen Tagen ihres unaussprechlich glück- lichen Hierseyns ward die Dichterin eines Morgens, nebst ihrer Tochter, in eine Kutsche des Barons ge- setzt, und in die prächtige breite Straße gefahren. Die Karschin, welche zwar nicht die Ursach davon wußte, ahndete dennoch etwas Gutes, weil sie von ihrem Herrn lauter Huld gewohnt war. Die Kutsche hielt vor einem großen Galanterieladen, welche der Haische- kornsche hieß. Hier mußte sie mit ihrer Tochter ausstei- gen und in den Laden gehn, aus welchem sie bald eine ältliche Französin, der ein Dienstmädchen folgte, in ein Putzzimmer führte. Madame, sagte die Franzö- sin, hier auf diesem Tisch sehen sie Kleidungsstücke für sich und ihre Tochter liegen; sie können sich der- selben bedienen, und mein Mädchen wird sie anklei- den helfen. Herr Gott! rief die erstaunte Dichterin, und vermochte weiter nichts zu sagen. Die Demoiselle entfernte sich, und die angenehme Metamorphose ging vor sich, indem das Dienstmädchen beide Personen Stück vor Stück auskleidete, und in dem neuen An- zug modelirte. So fremd der Dichterin jede Bedie- nung war, so ließ sie doch alles geschehn, was das Mädchen mit ihr vornahm, denn die Freude hatte sie zu bestürzt gemacht. Beider Personen neue Klei-
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Gelegenheit hatte, nach und nach alle die uͤbrigen ihr vortheiihaften Bekanntſchaften zu machen.
Nach einigen Tagen ihres unausſprechlich gluͤck- lichen Hierſeyns ward die Dichterin eines Morgens, nebſt ihrer Tochter, in eine Kutſche des Barons ge- ſetzt, und in die praͤchtige breite Straße gefahren. Die Karſchin, welche zwar nicht die Urſach davon wußte, ahndete dennoch etwas Gutes, weil ſie von ihrem Herrn lauter Huld gewohnt war. Die Kutſche hielt vor einem großen Galanterieladen, welche der Haiſche- kornſche hieß. Hier mußte ſie mit ihrer Tochter ausſtei- gen und in den Laden gehn, aus welchem ſie bald eine aͤltliche Franzoͤſin, der ein Dienſtmaͤdchen folgte, in ein Putzzimmer fuͤhrte. Madame, ſagte die Franzoͤ- ſin, hier auf dieſem Tiſch ſehen ſie Kleidungsſtuͤcke fuͤr ſich und ihre Tochter liegen; ſie koͤnnen ſich der- ſelben bedienen, und mein Maͤdchen wird ſie anklei- den helfen. Herr Gott! rief die erſtaunte Dichterin, und vermochte weiter nichts zu ſagen. Die Demoiſelle entfernte ſich, und die angenehme Metamorphoſe ging vor ſich, indem das Dienſtmaͤdchen beide Perſonen Stuͤck vor Stuͤck auskleidete, und in dem neuen An- zug modelirte. So fremd der Dichterin jede Bedie- nung war, ſo ließ ſie doch alles geſchehn, was das Maͤdchen mit ihr vornahm, denn die Freude hatte ſie zu beſtuͤrzt gemacht. Beider Perſonen neue Klei-
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Gelegenheit hatte, nach und nach alle die uͤbrigen ihr
vortheiihaften Bekanntſchaften zu machen.
Nach einigen Tagen ihres unausſprechlich gluͤck-
lichen Hierſeyns ward die Dichterin eines Morgens,
nebſt ihrer Tochter, in eine Kutſche des Barons ge-
ſetzt, und in die praͤchtige breite Straße gefahren. Die
Karſchin, welche zwar nicht die Urſach davon wußte,
ahndete dennoch etwas Gutes, weil ſie von ihrem
Herrn lauter Huld gewohnt war. Die Kutſche hielt
vor einem großen Galanterieladen, welche der Haiſche-
kornſche hieß. Hier mußte ſie mit ihrer Tochter ausſtei-
gen und in den Laden gehn, aus welchem ſie bald eine
aͤltliche Franzoͤſin, der ein Dienſtmaͤdchen folgte, in
ein Putzzimmer fuͤhrte. Madame, ſagte die Franzoͤ-
ſin, hier auf dieſem Tiſch ſehen ſie Kleidungsſtuͤcke
fuͤr ſich und ihre Tochter liegen; ſie koͤnnen ſich der-
ſelben bedienen, und mein Maͤdchen wird ſie anklei-
den helfen. Herr Gott! rief die erſtaunte Dichterin,
und vermochte weiter nichts zu ſagen. Die Demoiſelle
entfernte ſich, und die angenehme Metamorphoſe ging
vor ſich, indem das Dienſtmaͤdchen beide Perſonen
Stuͤck vor Stuͤck auskleidete, und in dem neuen An-
zug modelirte. So fremd der Dichterin jede Bedie-
nung war, ſo ließ ſie doch alles geſchehn, was das
Maͤdchen mit ihr vornahm, denn die Freude hatte ſie
zu beſtuͤrzt gemacht. Beider Perſonen neue Klei-
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/121>, abgerufen am 21.11.2024.
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