dungsstücke waren von modernem Zuschnitt, und sei- nem Zeuge: und beiden Staatsanzügen, wo von Kopf bis zu Fuß kein Stück vergessen war, folgten in ähn- licher Ordnung zwei Anzüge von schlechterm Zeuge, welche das Mädchen zusammenpakte und in die Kut- sche legte, ohne daß die wohlthätige Hand genannt wurde, von welcher dies alles kam. Der Wagen rollte mit den beiden glücklichsten Geschöpfen, welche es viel- leicht an dem Tage in Berlin gab, nach Hause. Nie- mand ließ sich sehen, der darüber einen Dank erwar- tet hätte; allein ein Diener kam, und nöthigte die Dichterin zur Gräflich Gotterschen Mittagstafel. Bis zur Stunde der Mahlzeit strömte der Dank der Dich- terin in mehr als einem Liede hin, ohne zu wissen, wem sie dankte. Sie rieth nur auf den Baron. Bei der Tafel fand sie ihn, sie zieh ihn poetisch seiner schö- nen That, er lächelte nur, und schwieg.
Kein Name für ihren Herrn war ihr nun wich- tig genug, um dadurch das auszudrücken, was sie em- pfand; nicht Wohlthäter, Retter, Freund: Vater nannte sie ihn, und in diesem Namen fand ihr dank- bares Herz einige Ruhe.
Jetzt konnte sie sich mit Anstand in den vorneh- men Zirkeln zeigen, und man schonte ihrer zu keiner Stunde des Tages, um sie zu sehen. War sie nicht aus, so war sie von Besuch umringt, welche alles, was
dungsſtuͤcke waren von modernem Zuſchnitt, und ſei- nem Zeuge: und beiden Staatsanzuͤgen, wo von Kopf bis zu Fuß kein Stuͤck vergeſſen war, folgten in aͤhn- licher Ordnung zwei Anzuͤge von ſchlechterm Zeuge, welche das Maͤdchen zuſammenpakte und in die Kut- ſche legte, ohne daß die wohlthaͤtige Hand genannt wurde, von welcher dies alles kam. Der Wagen rollte mit den beiden gluͤcklichſten Geſchoͤpfen, welche es viel- leicht an dem Tage in Berlin gab, nach Hauſe. Nie- mand ließ ſich ſehen, der daruͤber einen Dank erwar- tet haͤtte; allein ein Diener kam, und noͤthigte die Dichterin zur Graͤflich Gotterſchen Mittagstafel. Bis zur Stunde der Mahlzeit ſtroͤmte der Dank der Dich- terin in mehr als einem Liede hin, ohne zu wiſſen, wem ſie dankte. Sie rieth nur auf den Baron. Bei der Tafel fand ſie ihn, ſie zieh ihn poetiſch ſeiner ſchoͤ- nen That, er laͤchelte nur, und ſchwieg.
Kein Name fuͤr ihren Herrn war ihr nun wich- tig genug, um dadurch das auszudruͤcken, was ſie em- pfand; nicht Wohlthaͤter, Retter, Freund: Vater nannte ſie ihn, und in dieſem Namen fand ihr dank- bares Herz einige Ruhe.
Jetzt konnte ſie ſich mit Anſtand in den vorneh- men Zirkeln zeigen, und man ſchonte ihrer zu keiner Stunde des Tages, um ſie zu ſehen. War ſie nicht aus, ſo war ſie von Beſuch umringt, welche alles, was
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dungsſtuͤcke waren von modernem Zuſchnitt, und ſei-
nem Zeuge: und beiden Staatsanzuͤgen, wo von Kopf
bis zu Fuß kein Stuͤck vergeſſen war, folgten in aͤhn-
licher Ordnung zwei Anzuͤge von ſchlechterm Zeuge,
welche das Maͤdchen zuſammenpakte und in die Kut-
ſche legte, ohne daß die wohlthaͤtige Hand genannt
wurde, von welcher dies alles kam. Der Wagen rollte
mit den beiden gluͤcklichſten Geſchoͤpfen, welche es viel-
leicht an dem Tage in Berlin gab, nach Hauſe. Nie-
mand ließ ſich ſehen, der daruͤber einen Dank erwar-
tet haͤtte; allein ein Diener kam, und noͤthigte die
Dichterin zur Graͤflich Gotterſchen Mittagstafel. Bis
zur Stunde der Mahlzeit ſtroͤmte der Dank der Dich-
terin in mehr als einem Liede hin, ohne zu wiſſen,
wem ſie dankte. Sie rieth nur auf den Baron. Bei
der Tafel fand ſie ihn, ſie zieh ihn poetiſch ſeiner ſchoͤ-
nen That, er laͤchelte nur, und ſchwieg.
Kein Name fuͤr ihren Herrn war ihr nun wich-
tig genug, um dadurch das auszudruͤcken, was ſie em-
pfand; nicht Wohlthaͤter, Retter, Freund: Vater
nannte ſie ihn, und in dieſem Namen fand ihr dank-
bares Herz einige Ruhe.
Jetzt konnte ſie ſich mit Anſtand in den vorneh-
men Zirkeln zeigen, und man ſchonte ihrer zu keiner
Stunde des Tages, um ſie zu ſehen. War ſie nicht
aus, ſo war ſie von Beſuch umringt, welche alles, was
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/122>, abgerufen am 21.11.2024.
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