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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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Nach einem kurzen höchstglücklichen Aufenthalt in
Halberstadt reisete sie nach Magdeburg; dort nahm
sie die Gemahlin des damaligen Kommendanten, die
Frau von Reichmann, auf, und machte sie in ih-
rem Hause zur dritten Person. Das dankbare Herz
der Dichterin hatte in dieser Dame einen neuen Ge-
genstand zur Bewunderung. An jedem Morgen ward
ihre Wohlthäterin mit einem neuen Liede begrüßt, und
die Frau Kommendantin war sinnreich genug, ihr jeden
Tag einen neuen Plan zu neuer Arbeit zu geben. Der
König kämpfte noch im Felde; der Preußische Hof war
zu Magdeburg, und die Erwartung zwischen Krieg
und Frieden lag auf der kritischen Waage. Gegen-
stände genug für sie, welche Friedrichs Schicksale
zur Dichtkunst begeistert hatten! Sie sang vortrefli-
che, nie gesungene Lieder zu Magdeburg, und die vor-
treflichsten mit der ihr eigenen Geschwindigkeit. Sie
mußten gedruckt werden, denn jedermann wollte sie
haben, und nur zu bald waren sie vergriffen. Der Hof
hörte von ihr, die gnädigste Königin ließ sie rufen, und
wiederholentlich rufen; Ihrer Majestät folgten die
übrigen höchsten Personen, und es war ein neues
Wunder, daß ein seit eilf Monaten aus dem tiefsten
Staube hervorgezogenes Weib vor den Ersten Ver-
wandten des Throns mit einer Gegenwart des Geistes,
und zugleich mit einer Dreistigkeit bestand, welche eben

Nach einem kurzen hoͤchſtgluͤcklichen Aufenthalt in
Halberſtadt reiſete ſie nach Magdeburg; dort nahm
ſie die Gemahlin des damaligen Kommendanten, die
Frau von Reichmann, auf, und machte ſie in ih-
rem Hauſe zur dritten Perſon. Das dankbare Herz
der Dichterin hatte in dieſer Dame einen neuen Ge-
genſtand zur Bewunderung. An jedem Morgen ward
ihre Wohlthaͤterin mit einem neuen Liede begruͤßt, und
die Frau Kommendantin war ſinnreich genug, ihr jeden
Tag einen neuen Plan zu neuer Arbeit zu geben. Der
Koͤnig kaͤmpfte noch im Felde; der Preußiſche Hof war
zu Magdeburg, und die Erwartung zwiſchen Krieg
und Frieden lag auf der kritiſchen Waage. Gegen-
ſtaͤnde genug fuͤr ſie, welche Friedrichs Schickſale
zur Dichtkunſt begeiſtert hatten! Sie ſang vortrefli-
che, nie geſungene Lieder zu Magdeburg, und die vor-
treflichſten mit der ihr eigenen Geſchwindigkeit. Sie
mußten gedruckt werden, denn jedermann wollte ſie
haben, und nur zu bald waren ſie vergriffen. Der Hof
hoͤrte von ihr, die gnaͤdigſte Koͤnigin ließ ſie rufen, und
wiederholentlich rufen; Ihrer Majeſtaͤt folgten die
uͤbrigen hoͤchſten Perſonen, und es war ein neues
Wunder, daß ein ſeit eilf Monaten aus dem tiefſten
Staube hervorgezogenes Weib vor den Erſten Ver-
wandten des Throns mit einer Gegenwart des Geiſtes,
und zugleich mit einer Dreiſtigkeit beſtand, welche eben

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[98/0130] Nach einem kurzen hoͤchſtgluͤcklichen Aufenthalt in Halberſtadt reiſete ſie nach Magdeburg; dort nahm ſie die Gemahlin des damaligen Kommendanten, die Frau von Reichmann, auf, und machte ſie in ih- rem Hauſe zur dritten Perſon. Das dankbare Herz der Dichterin hatte in dieſer Dame einen neuen Ge- genſtand zur Bewunderung. An jedem Morgen ward ihre Wohlthaͤterin mit einem neuen Liede begruͤßt, und die Frau Kommendantin war ſinnreich genug, ihr jeden Tag einen neuen Plan zu neuer Arbeit zu geben. Der Koͤnig kaͤmpfte noch im Felde; der Preußiſche Hof war zu Magdeburg, und die Erwartung zwiſchen Krieg und Frieden lag auf der kritiſchen Waage. Gegen- ſtaͤnde genug fuͤr ſie, welche Friedrichs Schickſale zur Dichtkunſt begeiſtert hatten! Sie ſang vortrefli- che, nie geſungene Lieder zu Magdeburg, und die vor- treflichſten mit der ihr eigenen Geſchwindigkeit. Sie mußten gedruckt werden, denn jedermann wollte ſie haben, und nur zu bald waren ſie vergriffen. Der Hof hoͤrte von ihr, die gnaͤdigſte Koͤnigin ließ ſie rufen, und wiederholentlich rufen; Ihrer Majeſtaͤt folgten die uͤbrigen hoͤchſten Perſonen, und es war ein neues Wunder, daß ein ſeit eilf Monaten aus dem tiefſten Staube hervorgezogenes Weib vor den Erſten Ver- wandten des Throns mit einer Gegenwart des Geiſtes, und zugleich mit einer Dreiſtigkeit beſtand, welche eben

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/130>, abgerufen am 24.11.2024.