so gefällig als ehrfurchtsvoll war; sie wußte ihre Re den zu schminken, ohne daß man sie der Schmeichelei beschuldigen konnte.
Je mehr sie so auf die außerordentlichste Weise auf- gemuntert ward, je mehr arbeitete sie, und ihr Genie verlor nichts durch die Menge seiner Geburten. Je- des Stück, auch das kleinste, gab ihm eine neue Schim- merseite, gleich wie die Brillantirung dem Edelsteine, indem sie überall ihm etwas zu berauben scheint, ihn dadurch nur strahlender macht.
Von Magdeburg eilte sie wieder einmal nach Hal- berstadt zu Gleim, welchen sie den Sohn des Apollo nannte, und dessen Beifall sie zum Ziele ihrer Ehrsucht machte. Er wurde der Freund ihres Schicksals; sie machte ihn zum Freunde ihres Herzens, und Niemand war es auch würdiger als Er. Nirgends fand sie al- les, was Geist und Herz erheben konnte, so beisam- men, als in Gleims Musäum und im Zirkel seiner Freunde. Er, der Vater der Dichter in Friedrichs Staaten, welcher seine Dichtkunst aus seinem men schenfreundlichen Herzen schöpft, und die Philoso- phie des Lebens in angenehmer Beredsamkeit aus- strömt, war gewiß der Mann, unter dessen Anlei- tung die Flamme der Dichterin göttlich werden muß- te, ob sie gleich auch seiner kritischen Feile nicht still halten konnte. Er machte sie mit Horaz und
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ſo gefaͤllig als ehrfurchtsvoll war; ſie wußte ihre Re den zu ſchminken, ohne daß man ſie der Schmeichelei beſchuldigen konnte.
Je mehr ſie ſo auf die außerordentlichſte Weiſe auf- gemuntert ward, je mehr arbeitete ſie, und ihr Genie verlor nichts durch die Menge ſeiner Geburten. Je- des Stuͤck, auch das kleinſte, gab ihm eine neue Schim- merſeite, gleich wie die Brillantirung dem Edelſteine, indem ſie uͤberall ihm etwas zu berauben ſcheint, ihn dadurch nur ſtrahlender macht.
Von Magdeburg eilte ſie wieder einmal nach Hal- berſtadt zu Gleim, welchen ſie den Sohn des Apollo nannte, und deſſen Beifall ſie zum Ziele ihrer Ehrſucht machte. Er wurde der Freund ihres Schickſals; ſie machte ihn zum Freunde ihres Herzens, und Niemand war es auch wuͤrdiger als Er. Nirgends fand ſie al- les, was Geiſt und Herz erheben konnte, ſo beiſam- men, als in Gleims Muſaͤum und im Zirkel ſeiner Freunde. Er, der Vater der Dichter in Friedrichs Staaten, welcher ſeine Dichtkunſt aus ſeinem men ſchenfreundlichen Herzen ſchoͤpft, und die Philoſo- phie des Lebens in angenehmer Beredſamkeit aus- ſtroͤmt, war gewiß der Mann, unter deſſen Anlei- tung die Flamme der Dichterin goͤttlich werden muß- te, ob ſie gleich auch ſeiner kritiſchen Feile nicht ſtill halten konnte. Er machte ſie mit Horaz und
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ſo gefaͤllig als ehrfurchtsvoll war; ſie wußte ihre Re
den zu ſchminken, ohne daß man ſie der Schmeichelei
beſchuldigen konnte.
Je mehr ſie ſo auf die außerordentlichſte Weiſe auf-
gemuntert ward, je mehr arbeitete ſie, und ihr Genie
verlor nichts durch die Menge ſeiner Geburten. Je-
des Stuͤck, auch das kleinſte, gab ihm eine neue Schim-
merſeite, gleich wie die Brillantirung dem Edelſteine,
indem ſie uͤberall ihm etwas zu berauben ſcheint, ihn
dadurch nur ſtrahlender macht.
Von Magdeburg eilte ſie wieder einmal nach Hal-
berſtadt zu Gleim, welchen ſie den Sohn des Apollo
nannte, und deſſen Beifall ſie zum Ziele ihrer Ehrſucht
machte. Er wurde der Freund ihres Schickſals; ſie
machte ihn zum Freunde ihres Herzens, und Niemand
war es auch wuͤrdiger als Er. Nirgends fand ſie al-
les, was Geiſt und Herz erheben konnte, ſo beiſam-
men, als in Gleims Muſaͤum und im Zirkel ſeiner
Freunde. Er, der Vater der Dichter in Friedrichs
Staaten, welcher ſeine Dichtkunſt aus ſeinem men
ſchenfreundlichen Herzen ſchoͤpft, und die Philoſo-
phie des Lebens in angenehmer Beredſamkeit aus-
ſtroͤmt, war gewiß der Mann, unter deſſen Anlei-
tung die Flamme der Dichterin goͤttlich werden muß-
te, ob ſie gleich auch ſeiner kritiſchen Feile nicht
ſtill halten konnte. Er machte ſie mit Horaz und
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/131>, abgerufen am 24.11.2024.
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