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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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Pindar vertraut; mit Homer und Sappho. Gern
hätte sie mit allen den Adlerschwingen geflogen; aber
ihre Höhe schien ihr unerreichbar. Lieber und leich-
ter dünkte ihr der Schwung der Sappho: sie versuchte
ihn, wählte statt Phaon, den Dichter, als Thyrsis,
und sang diesen zum zweitenmal unsterblich. Thyrsis
blieb, wie Phaon auf der Flucht, nicht für ihre Lieder,
aber für die Sängerin kalt. Ein neuer Kummer für
sie, welchen sie bis dahin noch nicht gekannt hatte --
Thyrsis that indessen zu ihrem äußern Glücke die
feurigsten Schritte; und indem sie bald von Hal-
berstadt nach Magdeburg, bald von da wieder zu-
rück abwechselnde Reisen machte, entwarf er einen
Plan, durch welchen die Kinder ihrer Muse ihr nicht
allein Ehre, sondern auch Nutzen bringen sollten. Er
sammelte nehmlich ihre Gedichte, machte eine Auswahl
davon, und foderte das Publikum zu einem Vorschuß
für die Sammlung auf, welche Auffoderung in Deutsch-
land so neu, als die Dichterin merkwürdig war; und
welchem Vorschritt nachher viele Schriftsteller und
Buchhändler nach folgten *). Gleims edler Vorsatz war,
durch den Vorschuß so viel zusammen zu schaffen,
daß sie in Zukunft so ziemlich unabhängig leben

*) Dieses ist die Sammlung, welche unter dem Titel: Aus-
erlesene Gedichte von A. L. Karschin
, 1763 zu
Berlin herausgekommen sind.

Pindar vertraut; mit Homer und Sappho. Gern
haͤtte ſie mit allen den Adlerſchwingen geflogen; aber
ihre Hoͤhe ſchien ihr unerreichbar. Lieber und leich-
ter duͤnkte ihr der Schwung der Sappho: ſie verſuchte
ihn, waͤhlte ſtatt Phaon, den Dichter, als Thyrſis,
und ſang dieſen zum zweitenmal unſterblich. Thyrſis
blieb, wie Phaon auf der Flucht, nicht fuͤr ihre Lieder,
aber fuͤr die Saͤngerin kalt. Ein neuer Kummer fuͤr
ſie, welchen ſie bis dahin noch nicht gekannt hatte —
Thyrſis that indeſſen zu ihrem aͤußern Gluͤcke die
feurigſten Schritte; und indem ſie bald von Hal-
berſtadt nach Magdeburg, bald von da wieder zu-
ruͤck abwechſelnde Reiſen machte, entwarf er einen
Plan, durch welchen die Kinder ihrer Muſe ihr nicht
allein Ehre, ſondern auch Nutzen bringen ſollten. Er
ſammelte nehmlich ihre Gedichte, machte eine Auswahl
davon, und foderte das Publikum zu einem Vorſchuß
fuͤr die Sammlung auf, welche Auffoderung in Deutſch-
land ſo neu, als die Dichterin merkwuͤrdig war; und
welchem Vorſchritt nachher viele Schriftſteller und
Buchhaͤndler nach folgten *). Gleims edler Vorſatz war,
durch den Vorſchuß ſo viel zuſammen zu ſchaffen,
daß ſie in Zukunft ſo ziemlich unabhaͤngig leben

*) Dieſes iſt die Sammlung, welche unter dem Titel: Aus-
erleſene Gedichte von A. L. Karſchin
, 1763 zu
Berlin herausgekommen ſind.
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[100/0132] Pindar vertraut; mit Homer und Sappho. Gern haͤtte ſie mit allen den Adlerſchwingen geflogen; aber ihre Hoͤhe ſchien ihr unerreichbar. Lieber und leich- ter duͤnkte ihr der Schwung der Sappho: ſie verſuchte ihn, waͤhlte ſtatt Phaon, den Dichter, als Thyrſis, und ſang dieſen zum zweitenmal unſterblich. Thyrſis blieb, wie Phaon auf der Flucht, nicht fuͤr ihre Lieder, aber fuͤr die Saͤngerin kalt. Ein neuer Kummer fuͤr ſie, welchen ſie bis dahin noch nicht gekannt hatte — Thyrſis that indeſſen zu ihrem aͤußern Gluͤcke die feurigſten Schritte; und indem ſie bald von Hal- berſtadt nach Magdeburg, bald von da wieder zu- ruͤck abwechſelnde Reiſen machte, entwarf er einen Plan, durch welchen die Kinder ihrer Muſe ihr nicht allein Ehre, ſondern auch Nutzen bringen ſollten. Er ſammelte nehmlich ihre Gedichte, machte eine Auswahl davon, und foderte das Publikum zu einem Vorſchuß fuͤr die Sammlung auf, welche Auffoderung in Deutſch- land ſo neu, als die Dichterin merkwuͤrdig war; und welchem Vorſchritt nachher viele Schriftſteller und Buchhaͤndler nach folgten *). Gleims edler Vorſatz war, durch den Vorſchuß ſo viel zuſammen zu ſchaffen, daß ſie in Zukunft ſo ziemlich unabhaͤngig leben *) Dieſes iſt die Sammlung, welche unter dem Titel: Aus- erleſene Gedichte von A. L. Karſchin, 1763 zu Berlin herausgekommen ſind.

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/132>, abgerufen am 21.11.2024.