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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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handelte das Mädchen nach dem gemeinen Schlag eines
ihm untergebenen Geschöpfes. Er nahm ihre große Un-
schuld für Albernheit, ihre Zurückhaltung für Ver-
stellung, ihren feinen Stolz für lächerlichen Hoch-
muth und ihre etwanigen Aeußerungen von Klugheit
und Verstand für kindische Superklugheit. Er war
von Jugend auf gewöhnt gewesen, despotisch über die-
jenigen zu regieren, welche er um und neben sich ge-
habt hatte, und so verfuhr er auch hier. Er riß das
Mädchen von ihren vornehmen Bekanntschaften ab,
unter dem Vorwande, daß sie die Wirthschaft lernen
müßte, verfuhr ohngefähr mit ihr nach dem Exempel,
wie sich die Müllersfrau gegen ihre Mutter verhal-
ten hatte, und ließ sie keinem anständigen Menschen
mehr vor Augen. Sein Plan, welchen er dabei hatte,
zeigte sich nicht eher, als bis sie heran reifte, da
sagte er der Mutter, daß er wol ihre Tochter haben
möchte. Die Mutter, welche Niemanden etwas ab-
schlagen konnte, glaubte auch hier nichts einwenden
zu dürfen, ob er gleich noch kein Brod für eine Frau
hatte. Die Tochter wurde weiter nicht um ihren Wil-
len gebeten: weil sie nicht blendende Reize hatte, so
glaubten beide, daß sie kein Unrecht thäten. Mehr
davon zu sagen, würde wie Repressalien klingen, und
hier am unschicklichen Orte stehn. Genug, er bekam eine
kleine Bedienung, das Mädchen ward seine Frau, und die

handelte das Maͤdchen nach dem gemeinen Schlag eines
ihm untergebenen Geſchoͤpfes. Er nahm ihre große Un-
ſchuld fuͤr Albernheit, ihre Zuruͤckhaltung fuͤr Ver-
ſtellung, ihren feinen Stolz fuͤr laͤcherlichen Hoch-
muth und ihre etwanigen Aeußerungen von Klugheit
und Verſtand fuͤr kindiſche Superklugheit. Er war
von Jugend auf gewoͤhnt geweſen, despotiſch uͤber die-
jenigen zu regieren, welche er um und neben ſich ge-
habt hatte, und ſo verfuhr er auch hier. Er riß das
Maͤdchen von ihren vornehmen Bekanntſchaften ab,
unter dem Vorwande, daß ſie die Wirthſchaft lernen
muͤßte, verfuhr ohngefaͤhr mit ihr nach dem Exempel,
wie ſich die Muͤllersfrau gegen ihre Mutter verhal-
ten hatte, und ließ ſie keinem anſtaͤndigen Menſchen
mehr vor Augen. Sein Plan, welchen er dabei hatte,
zeigte ſich nicht eher, als bis ſie heran reifte, da
ſagte er der Mutter, daß er wol ihre Tochter haben
moͤchte. Die Mutter, welche Niemanden etwas ab-
ſchlagen konnte, glaubte auch hier nichts einwenden
zu duͤrfen, ob er gleich noch kein Brod fuͤr eine Frau
hatte. Die Tochter wurde weiter nicht um ihren Wil-
len gebeten: weil ſie nicht blendende Reize hatte, ſo
glaubten beide, daß ſie kein Unrecht thaͤten. Mehr
davon zu ſagen, wuͤrde wie Repreſſalien klingen, und
hier am unſchicklichen Orte ſtehn. Genug, er bekam eine
kleine Bedienung, das Maͤdchen ward ſeine Frau, und die

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[111/0143] handelte das Maͤdchen nach dem gemeinen Schlag eines ihm untergebenen Geſchoͤpfes. Er nahm ihre große Un- ſchuld fuͤr Albernheit, ihre Zuruͤckhaltung fuͤr Ver- ſtellung, ihren feinen Stolz fuͤr laͤcherlichen Hoch- muth und ihre etwanigen Aeußerungen von Klugheit und Verſtand fuͤr kindiſche Superklugheit. Er war von Jugend auf gewoͤhnt geweſen, despotiſch uͤber die- jenigen zu regieren, welche er um und neben ſich ge- habt hatte, und ſo verfuhr er auch hier. Er riß das Maͤdchen von ihren vornehmen Bekanntſchaften ab, unter dem Vorwande, daß ſie die Wirthſchaft lernen muͤßte, verfuhr ohngefaͤhr mit ihr nach dem Exempel, wie ſich die Muͤllersfrau gegen ihre Mutter verhal- ten hatte, und ließ ſie keinem anſtaͤndigen Menſchen mehr vor Augen. Sein Plan, welchen er dabei hatte, zeigte ſich nicht eher, als bis ſie heran reifte, da ſagte er der Mutter, daß er wol ihre Tochter haben moͤchte. Die Mutter, welche Niemanden etwas ab- ſchlagen konnte, glaubte auch hier nichts einwenden zu duͤrfen, ob er gleich noch kein Brod fuͤr eine Frau hatte. Die Tochter wurde weiter nicht um ihren Wil- len gebeten: weil ſie nicht blendende Reize hatte, ſo glaubten beide, daß ſie kein Unrecht thaͤten. Mehr davon zu ſagen, wuͤrde wie Repreſſalien klingen, und hier am unſchicklichen Orte ſtehn. Genug, er bekam eine kleine Bedienung, das Maͤdchen ward ſeine Frau, und die

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/143>, abgerufen am 21.11.2024.