weder ihre Vorzüge zu kennen, noch eitel oder erobe- rungs- und gewinnsüchtig darauf zu seyn. So erhaben und fein die Stimmung ihrer Seele war, so erhob sie sich mit derselben doch nie außer der ihr angewiesenen Sphäre. Wünsche nach einem solidern Stande, als der, in welchen sie treten mußte, und nach einem Gatten, welcher ihren feinen Gefühlen angemessen wäre, schei- nen freilich durch ihr ganzes Betragen durch; und eine beständige Unzufriedenheit, welche sie selbst in den guten Tagen ihres rohen Standes äußerte, zeugen von diesen verborgenen Wünschen; allein ihre Tugenden, welche unzertrennliche Gefährten ihres Wesens waren, ließen sie nie unerlaubte noch unlautere Wünsche thun. Sie ward in allen das Opfer ihrer strengen Grund- sätze, und trieb dieselben, selbst gegen sich, fast bis zur Grausamkeit, ohne daß sie jemals eine Reue darüber geäußert hätte. In ihrem jungfräulichen Stande konnte sie von den Edelleuten, welche den Hof besu- chen kamen, nicht ganz unbemerkt bleiben, so sehr sie sich auch zu verbergen suchte; allein alles, was ihr von solchen Herren Galantes wiederfuhr, oder geboten wurde, (ob es gleich nur höchst zufälliger Weise ge- schehen konnte, weil sie sich jeder Gelegenheit dazu ent- zog) entdeckte sie ihren Fräuleins offenherzig und frei- willig, welches der sicherste Weg war, wo sie weder straucheln noch fallen konnte.
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weder ihre Vorzuͤge zu kennen, noch eitel oder erobe- rungs- und gewinnſuͤchtig darauf zu ſeyn. So erhaben und fein die Stimmung ihrer Seele war, ſo erhob ſie ſich mit derſelben doch nie außer der ihr angewieſenen Sphaͤre. Wuͤnſche nach einem ſolidern Stande, als der, in welchen ſie treten mußte, und nach einem Gatten, welcher ihren feinen Gefuͤhlen angemeſſen waͤre, ſchei- nen freilich durch ihr ganzes Betragen durch; und eine beſtaͤndige Unzufriedenheit, welche ſie ſelbſt in den guten Tagen ihres rohen Standes aͤußerte, zeugen von dieſen verborgenen Wuͤnſchen; allein ihre Tugenden, welche unzertrennliche Gefaͤhrten ihres Weſens waren, ließen ſie nie unerlaubte noch unlautere Wuͤnſche thun. Sie ward in allen das Opfer ihrer ſtrengen Grund- ſaͤtze, und trieb dieſelben, ſelbſt gegen ſich, faſt bis zur Grauſamkeit, ohne daß ſie jemals eine Reue daruͤber geaͤußert haͤtte. In ihrem jungfraͤulichen Stande konnte ſie von den Edelleuten, welche den Hof beſu- chen kamen, nicht ganz unbemerkt bleiben, ſo ſehr ſie ſich auch zu verbergen ſuchte; allein alles, was ihr von ſolchen Herren Galantes wiederfuhr, oder geboten wurde, (ob es gleich nur hoͤchſt zufaͤlliger Weiſe ge- ſchehen konnte, weil ſie ſich jeder Gelegenheit dazu ent- zog) entdeckte ſie ihren Fraͤuleins offenherzig und frei- willig, welches der ſicherſte Weg war, wo ſie weder ſtraucheln noch fallen konnte.
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weder ihre Vorzuͤge zu kennen, noch eitel oder erobe-
rungs- und gewinnſuͤchtig darauf zu ſeyn. So erhaben
und fein die Stimmung ihrer Seele war, ſo erhob ſie
ſich mit derſelben doch nie außer der ihr angewieſenen
Sphaͤre. Wuͤnſche nach einem ſolidern Stande, als der,
in welchen ſie treten mußte, und nach einem Gatten,
welcher ihren feinen Gefuͤhlen angemeſſen waͤre, ſchei-
nen freilich durch ihr ganzes Betragen durch; und
eine beſtaͤndige Unzufriedenheit, welche ſie ſelbſt in den
guten Tagen ihres rohen Standes aͤußerte, zeugen von
dieſen verborgenen Wuͤnſchen; allein ihre Tugenden,
welche unzertrennliche Gefaͤhrten ihres Weſens waren,
ließen ſie nie unerlaubte noch unlautere Wuͤnſche thun.
Sie ward in allen das Opfer ihrer ſtrengen Grund-
ſaͤtze, und trieb dieſelben, ſelbſt gegen ſich, faſt bis zur
Grauſamkeit, ohne daß ſie jemals eine Reue daruͤber
geaͤußert haͤtte. In ihrem jungfraͤulichen Stande
konnte ſie von den Edelleuten, welche den Hof beſu-
chen kamen, nicht ganz unbemerkt bleiben, ſo ſehr ſie
ſich auch zu verbergen ſuchte; allein alles, was ihr von
ſolchen Herren Galantes wiederfuhr, oder geboten
wurde, (ob es gleich nur hoͤchſt zufaͤlliger Weiſe ge-
ſchehen konnte, weil ſie ſich jeder Gelegenheit dazu ent-
zog) entdeckte ſie ihren Fraͤuleins offenherzig und frei-
willig, welches der ſicherſte Weg war, wo ſie weder
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/41>, abgerufen am 21.11.2024.
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