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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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goldnen Schlüssel, die politische Kolika, Tausend und
eine Nacht, die Asiatische Banise, Robinson Krusoe,
und andere, welche noch ungleich seichter waren.

Der Knabe war ungefähr zwei Jahre älter als sie,
und ein Bewohner desselben Städtchens, wo ihre El-
tern lebten. Seine Gestalt konnte, ohne Uebertvei-
bung gesagt, das passendste Muster zu der Abbildung
eines Aesops abgeben, sogar die Schwere der Zunge
und die Heiserkeit der Sprache jenes griechischen Fa-
beldichters fehlten ihm nicht. Indessen war es in sei-
nem Kopfe heller, als in allen Bürgerköpfen seines
Geburtsortes, und sein Herz war mit seinem Ver-
stande in einer schönen Ordnung. Ihm fehlte nur
Erziehung und Umgang, so würde sein Name vielleicht
jezt unter den Philosophen unsers Jahrhunderts
glänzen, anstatt daß er nun als ein armer Pflüger
ein verachtetes und höchst dürftiges Leben vielleicht
schon beschlossen hat. Er hatte eine große Anlage zum
Mechanikus, und verfertigte sich selbst eine hölzerne
Uhr, und bei seiner Feldarbeit täglich allerlei künstli-
ches Schnizwerk, worin er niemals einen Unterricht
gehabt hatte. Wie eigen und fest sein Charakter und
wie lakonisch er in den Ausdrücken seiner Meinungen
war, sehe man aus folgendem Briefe, welchen er der
Dichterin in ihrem glücklichen Zustande schrieb, als er

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goldnen Schluͤſſel, die politiſche Kolika, Tauſend und
eine Nacht, die Aſiatiſche Baniſe, Robinſon Kruſoe,
und andere, welche noch ungleich ſeichter waren.

Der Knabe war ungefaͤhr zwei Jahre aͤlter als ſie,
und ein Bewohner deſſelben Staͤdtchens, wo ihre El-
tern lebten. Seine Geſtalt konnte, ohne Uebertvei-
bung geſagt, das paſſendſte Muſter zu der Abbildung
eines Aeſops abgeben, ſogar die Schwere der Zunge
und die Heiſerkeit der Sprache jenes griechiſchen Fa-
beldichters fehlten ihm nicht. Indeſſen war es in ſei-
nem Kopfe heller, als in allen Buͤrgerkoͤpfen ſeines
Geburtsortes, und ſein Herz war mit ſeinem Ver-
ſtande in einer ſchoͤnen Ordnung. Ihm fehlte nur
Erziehung und Umgang, ſo wuͤrde ſein Name vielleicht
jezt unter den Philoſophen unſers Jahrhunderts
glaͤnzen, anſtatt daß er nun als ein armer Pfluͤger
ein verachtetes und hoͤchſt duͤrftiges Leben vielleicht
ſchon beſchloſſen hat. Er hatte eine große Anlage zum
Mechanikus, und verfertigte ſich ſelbſt eine hoͤlzerne
Uhr, und bei ſeiner Feldarbeit taͤglich allerlei kuͤnſtli-
ches Schnizwerk, worin er niemals einen Unterricht
gehabt hatte. Wie eigen und feſt ſein Charakter und
wie lakoniſch er in den Ausdruͤcken ſeiner Meinungen
war, ſehe man aus folgendem Briefe, welchen er der
Dichterin in ihrem gluͤcklichen Zuſtande ſchrieb, als er

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[25/0057] goldnen Schluͤſſel, die politiſche Kolika, Tauſend und eine Nacht, die Aſiatiſche Baniſe, Robinſon Kruſoe, und andere, welche noch ungleich ſeichter waren. Der Knabe war ungefaͤhr zwei Jahre aͤlter als ſie, und ein Bewohner deſſelben Staͤdtchens, wo ihre El- tern lebten. Seine Geſtalt konnte, ohne Uebertvei- bung geſagt, das paſſendſte Muſter zu der Abbildung eines Aeſops abgeben, ſogar die Schwere der Zunge und die Heiſerkeit der Sprache jenes griechiſchen Fa- beldichters fehlten ihm nicht. Indeſſen war es in ſei- nem Kopfe heller, als in allen Buͤrgerkoͤpfen ſeines Geburtsortes, und ſein Herz war mit ſeinem Ver- ſtande in einer ſchoͤnen Ordnung. Ihm fehlte nur Erziehung und Umgang, ſo wuͤrde ſein Name vielleicht jezt unter den Philoſophen unſers Jahrhunderts glaͤnzen, anſtatt daß er nun als ein armer Pfluͤger ein verachtetes und hoͤchſt duͤrftiges Leben vielleicht ſchon beſchloſſen hat. Er hatte eine große Anlage zum Mechanikus, und verfertigte ſich ſelbſt eine hoͤlzerne Uhr, und bei ſeiner Feldarbeit taͤglich allerlei kuͤnſtli- ches Schnizwerk, worin er niemals einen Unterricht gehabt hatte. Wie eigen und feſt ſein Charakter und wie lakoniſch er in den Ausdruͤcken ſeiner Meinungen war, ſehe man aus folgendem Briefe, welchen er der Dichterin in ihrem gluͤcklichen Zuſtande ſchrieb, als er b 5

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/57>, abgerufen am 23.05.2024.