Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

etwa vierzig Jahr alt war. Ein Charakter, welcher,
ohne daß er's sucht, gewiß Hochachtung einflößt.

Gott mit uns werthe und geehrte Freundin!

"Gegenwärtige Blätter werden Sie überzeugen, daß
ich Ihr Schreiben erhalten habe. Sie aber meyne
nicht etwa, als ob ich Sie geringe schätze, indem ich
mich so schlechten Papiers bediene; hätte ich bessers ge-
habt, so würde ichs wohl genommen haben. Ihr Brief-
chen zu beantworten, mögen zuvörderst Ihre Verse re-
den. Betreffend den Endschluß zu heirathen, so bin
ich keinmal ohne Liebste gewesen. Die günstigen Mu-
sen *) haben zwei der vortheilhaftesten Heirathen mir
anempfohlen. Ich hätte nur bei einer meine Religion
verändern sollen; bei der andern stand mir ein Mädchen
im Wege, die mir von Herzen gewogen und von allen
Mitteln entblößt war, und an der hing mein Herz. Es
hat aber nichts daraus werden können, indem mich
bald darauf die Russen von allen Mitteln entblößt, das
Hemde auf dem Leibe, welches nichts nutz, blieb mir
nur übrig; ich danke Gott, daß ich meine Gesundheit
noch erhalten habe. Brod, Kleider, Wäsche, Pflug
und Zug, samt Getreide, alles muß mit fort, mein mit
Mühe gesammeltes Geld und drei Pferde, daß ich nun
ganz nackend und alles Verdienstes beraubt bin; doch
hat Gott, ihm sei Dank, diesem Mädel einen Mann
gegeben und sie versorgt. Ich aber habe mich die Zeit

*) Er pflegte auch zuweilen Verse zu machen.

etwa vierzig Jahr alt war. Ein Charakter, welcher,
ohne daß er’s ſucht, gewiß Hochachtung einfloͤßt.

Gott mit uns werthe und geehrte Freundin!

„Gegenwaͤrtige Blaͤtter werden Sie uͤberzeugen, daß
ich Ihr Schreiben erhalten habe. Sie aber meyne
nicht etwa, als ob ich Sie geringe ſchaͤtze, indem ich
mich ſo ſchlechten Papiers bediene; haͤtte ich beſſers ge-
habt, ſo wuͤrde ichs wohl genommen haben. Ihr Brief-
chen zu beantworten, moͤgen zuvoͤrderſt Ihre Verſe re-
den. Betreffend den Endſchluß zu heirathen, ſo bin
ich keinmal ohne Liebſte geweſen. Die guͤnſtigen Mu-
ſen *) haben zwei der vortheilhafteſten Heirathen mir
anempfohlen. Ich haͤtte nur bei einer meine Religion
veraͤndern ſollen; bei der andern ſtand mir ein Maͤdchen
im Wege, die mir von Herzen gewogen und von allen
Mitteln entbloͤßt war, und an der hing mein Herz. Es
hat aber nichts daraus werden koͤnnen, indem mich
bald darauf die Ruſſen von allen Mitteln entbloͤßt, das
Hemde auf dem Leibe, welches nichts nutz, blieb mir
nur uͤbrig; ich danke Gott, daß ich meine Geſundheit
noch erhalten habe. Brod, Kleider, Waͤſche, Pflug
und Zug, ſamt Getreide, alles muß mit fort, mein mit
Muͤhe geſammeltes Geld und drei Pferde, daß ich nun
ganz nackend und alles Verdienſtes beraubt bin; doch
hat Gott, ihm ſei Dank, dieſem Maͤdel einen Mann
gegeben und ſie verſorgt. Ich aber habe mich die Zeit

*) Er pflegte auch zuweilen Verſe zu machen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0058" n="26"/>
etwa vierzig Jahr alt war. Ein Charakter, welcher,<lb/>
ohne daß er&#x2019;s &#x017F;ucht, gewiß Hochachtung einflo&#x0364;ßt.</p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">Gott mit uns werthe und geehrte Freundin!</hi> </p><lb/>
        <p>&#x201E;Gegenwa&#x0364;rtige Bla&#x0364;tter werden Sie u&#x0364;berzeugen, daß<lb/>
ich Ihr Schreiben erhalten habe. Sie aber meyne<lb/>
nicht etwa, als ob ich Sie geringe &#x017F;cha&#x0364;tze, indem ich<lb/>
mich &#x017F;o &#x017F;chlechten Papiers bediene; ha&#x0364;tte ich be&#x017F;&#x017F;ers ge-<lb/>
habt, &#x017F;o wu&#x0364;rde ichs wohl genommen haben. Ihr Brief-<lb/>
chen zu beantworten, mo&#x0364;gen zuvo&#x0364;rder&#x017F;t Ihre Ver&#x017F;e re-<lb/>
den. Betreffend den End&#x017F;chluß zu heirathen, &#x017F;o bin<lb/>
ich keinmal ohne Lieb&#x017F;te gewe&#x017F;en. Die gu&#x0364;n&#x017F;tigen Mu-<lb/>
&#x017F;en <note place="foot" n="*)">Er pflegte auch zuweilen Ver&#x017F;e zu machen.</note> haben zwei der vortheilhafte&#x017F;ten Heirathen mir<lb/>
anempfohlen. Ich ha&#x0364;tte nur bei einer meine Religion<lb/>
vera&#x0364;ndern &#x017F;ollen; bei der andern &#x017F;tand mir ein Ma&#x0364;dchen<lb/>
im Wege, die mir von Herzen gewogen und von allen<lb/>
Mitteln entblo&#x0364;ßt war, und an der hing mein Herz. Es<lb/>
hat aber nichts daraus werden ko&#x0364;nnen, indem mich<lb/>
bald darauf die Ru&#x017F;&#x017F;en von allen Mitteln entblo&#x0364;ßt, das<lb/>
Hemde auf dem Leibe, welches nichts nutz, blieb mir<lb/>
nur u&#x0364;brig; ich danke Gott, daß ich meine Ge&#x017F;undheit<lb/>
noch erhalten habe. Brod, Kleider, Wa&#x0364;&#x017F;che, Pflug<lb/>
und Zug, &#x017F;amt Getreide, alles muß mit fort, mein mit<lb/>
Mu&#x0364;he ge&#x017F;ammeltes Geld und drei Pferde, daß ich nun<lb/>
ganz nackend und alles Verdien&#x017F;tes beraubt bin; doch<lb/>
hat Gott, ihm &#x017F;ei Dank, die&#x017F;em Ma&#x0364;del einen Mann<lb/>
gegeben und &#x017F;ie ver&#x017F;orgt. Ich aber habe mich die Zeit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0058] etwa vierzig Jahr alt war. Ein Charakter, welcher, ohne daß er’s ſucht, gewiß Hochachtung einfloͤßt. Gott mit uns werthe und geehrte Freundin! „Gegenwaͤrtige Blaͤtter werden Sie uͤberzeugen, daß ich Ihr Schreiben erhalten habe. Sie aber meyne nicht etwa, als ob ich Sie geringe ſchaͤtze, indem ich mich ſo ſchlechten Papiers bediene; haͤtte ich beſſers ge- habt, ſo wuͤrde ichs wohl genommen haben. Ihr Brief- chen zu beantworten, moͤgen zuvoͤrderſt Ihre Verſe re- den. Betreffend den Endſchluß zu heirathen, ſo bin ich keinmal ohne Liebſte geweſen. Die guͤnſtigen Mu- ſen *) haben zwei der vortheilhafteſten Heirathen mir anempfohlen. Ich haͤtte nur bei einer meine Religion veraͤndern ſollen; bei der andern ſtand mir ein Maͤdchen im Wege, die mir von Herzen gewogen und von allen Mitteln entbloͤßt war, und an der hing mein Herz. Es hat aber nichts daraus werden koͤnnen, indem mich bald darauf die Ruſſen von allen Mitteln entbloͤßt, das Hemde auf dem Leibe, welches nichts nutz, blieb mir nur uͤbrig; ich danke Gott, daß ich meine Geſundheit noch erhalten habe. Brod, Kleider, Waͤſche, Pflug und Zug, ſamt Getreide, alles muß mit fort, mein mit Muͤhe geſammeltes Geld und drei Pferde, daß ich nun ganz nackend und alles Verdienſtes beraubt bin; doch hat Gott, ihm ſei Dank, dieſem Maͤdel einen Mann gegeben und ſie verſorgt. Ich aber habe mich die Zeit *) Er pflegte auch zuweilen Verſe zu machen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/58
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/58>, abgerufen am 18.05.2024.